11:49 BAUBRANCHE

Vor 60 Jahren starben nach Gletscherabbruch im Wallis 88 Menschen

Teaserbild-Quelle: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Com_L14-0616-0002-0002

Vor 60 Jahren, am 30. August 1965, starben auf der Baustelle der Mattmark-Staumauer bei Saas-Almagell VS 88 Menschen. Die Zunge des Allalin-Gletschers brach ab und begrub das Barackenlager der Arbeiter unter sich. Eine Ausstellung im Landesmuseum Zürich erinnert an die Katastrophe.

Bergungsarbeiten nach Abbruch des Allalingletschers, 1965

Quelle: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Com_L14-0616-0002-0002

Am 30. August 1965 – kurz vor Schichtende – bricht ein Stück von der Zunge des Allalingletschers ab. Eine Lawine aus Eis und Geröll stürzt auf die Baracken, Werkstätten und die Kantine der Mattmark-Baustelle. Es sterben 88 Menschen. Bild: Bergungs- und Aufräumarbeiten nach dem Abbruch des Allalingletschers, 1965.

Es war laut dem Landesmuseum Zürich eine der grössten Katastrophen der Schweizer Baugeschichte. Das Museum widmet derzeit dem Bau von Staudämmen in der Schweiz eine Videoinstallation und thematisiert darin auch die Mattmark-Baustelle im Walliser Saas-Tal.

56 Italiener, 23 Schweizer, vier Spanier und fünf Menschen aus anderen Nationen starben bei der Katastrophe. Vor allem Gastarbeiter bauten den Staudamm auf fast 2200 Metern über Meer. Zwei Millionen Kubikmeter brachen ab. Bis zu 50 Meter hoch türmten sich auf der Baustelle stellenweise die Eiskegel.

Auch 60 Jahre nach dem Ereignis gedenkt man der Katastrophe: Am Samstag findet beim Mattmark-Stausee ein Gedenkanlass statt. Die Bischöfe von Sitten und Belluno-Feltre I leiten einen Gedenkgottesdienst. Nach Reden wird ein Gedenkkranz niedergelegt.

Der Walliser Staatsratspräsident Mathias Reynard wird präsent sein, ebenso Italiens Oppositionschefin Elly Schlein sowie weitere Amtsträgerinnen und -träger. Das organisierende Komitee Mattmark 2025 lud für Freitag in Naters VS auch zu einem Rundtischgespräch zu Unfallverhütung und zu einer weiteren Gedenkfeier.

«Zäsur in der Geschichte der Schweiz»

Die Katastrophe von Mattmark sei eine Zäsur in der Geschichte der Schweiz und in der Geschichte der Migration gewesen, sagte vor zehn Jahren Toni Ricciardi vor den Medien. Der Genfer Forscher stellte damals – zum 50. Jahrestag des Unglücks – zusammen mit Co-Autoren eine soziohistorische Analyse zur Katastrophe von 1965 vor.

Nach dem Gletscherabbruch sei in der Schweiz und in Europa eine Debatte über das Schicksal der Migranten entbrannt, schrieben die Autoren im Buch «Mattmark, 30. August 1965. Die Katastrophe». In den 1960er-Jahren sei in der Schweiz offener Rassismus gegenüber Italienern an der Tagesordnung gewesen.

Mattmark habe zu einem «Aufwachen» geführt, sagte ein anderer der Genfer Autoren, Sandro Cattacin, damals vor den Medien. Die verunglückten «Fremdarbeiter» seien plötzlich als Menschen wahrgenommen worden, die Mitgefühl erregten und Wiedergutmachung verdienten.

Staumauer Grande Dixence, 1957

Quelle: Schweizerisches Nationalmuseum, ASL

Die Grande Dixence ist die höchste Gewichtsstaumauer der Welt. Sie staut ein Wasservolumen von 400 Millionen m3 Wasser und bildet volumenmässig den grössten künstlichen See der Schweiz. Bild: Flutung der Staumauer Grande Dixence, 1957.

Auch wurden die Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter zum Thema – sie arbeiteten laut dem Landesmuseum 59 Stunden pro Woche, auch an Sonn- und Feiertagen. Nach dem Unglück kam es zu Solidaritätsaktionen von Gewerkschaften und die Glückskette sammelte 2,3 Millionen Franken.

Gross war die Empörung bei den Angehörigen der Opfer, als 1972 in Visp VS ein Gericht alle 17 Angeklagten freisprach. Darunter befanden sich Ingenieure und Direktoren der Firma Elektrowatt und zwei Angestellte der Schweizerischen Unfallversicherung Suva. Die Klägerfamilien mussten die Hälfte der Prozesskosten tragen. In Genf demonstrierten nach dem Urteil tausend Personen.

In Blatten machte man es besser

Der Abbruch des Birchgletschers oberhalb von Blatten VS im Mai dieses Jahres habe aufgezeigt, wie unerlässlich ein professionelles Monitoring der Berge sei, schreibt das Landesmuseum in seiner Pressemitteilung von dieser Woche. Blattens Bewohnerinnen und Bewohner konnten evakuiert werden. Eine Person kam ums Leben. Bei Saas-Almagell gab es keine Überwachung des Allalingletschers und Warnungen wurden in den Wind geschlagen, wie es vor zehn Jahren hiess.

In der Videoinstallation des Landesmuseums Zürich sind Aussagen von Zeitzeuginnen und -zeugen der Mattmarker Katastrophe zu sehen und hören. So berichtet eine Oberwalliserin vom Tod ihres Vaters und Onkels und ein Saisonnier aus Italien von der Arbeit auf der Baustelle. (Rainer Schneuwly, Keystone-SDA)

Die Ausstellung «Wasserkraft und Widerstand» im Landesmuseum Zürich dauert noch bis zum 2. November 2025. Weitere Informationen unter: www.landesmuseum.ch

Staumauer Punt dal Gall, Lago di Livigno, 1976

Quelle: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz / LBS_L1-769620

Trotz lokalem Widerstand werden Ende der 1960er Jahre am Rande und innerhalb des Schweizerischen Nationalparks zwei Stauseen in Betrieb genommen: der Lago di Livigno und das Ausgleichsbecken Ova Spin. Bild: Staumauer Punt dal Gall, Lago di Livigno, 1976.

Abbruch des Kirchturms von Marmorera im Jahr 1954

Quelle: Stadtarchiv Zürich, V.G.c.161.:4.9.1.03966.

Da die Stadt Zürich Strom braucht, wollen die Zürcher Elektrizitätswerke einen Stausee in Marmorera bauen. Am 17. Oktober 1948 befürworten die Männer von Marmorera mit 24 zu 2 Stimmen den Stausee und erteilen dem EKZ die Konzession für den Bau des Stausees. Für den Stausee werden das Dorf Marmorera, der Weiler Cresta und rund 140 ha Wiesen- und Waldgelände unter Wasser gesetzt. BIld: Abbruch des Kirchturms von Marmorera, 05.07.1954.

Demonstration gegen Kraftwerk am Gebirgsbach Spöl, 1958

Quelle: Schweizerisches Sozialarchiv, Urheber:in unbekannt/F 5067-Fb-105

Im Dezember 1958 demonstrieren zirka 40 Engadiner Frauen in traditioneller Bündner Tracht in Zürich gegen das Kraftwerk am Gebirgsbach Spöl im Schweizerischen Nationalpark.

Protest gegen die Ilanzer Kraftwerke, 1979

Quelle: Schweizerische Greina-Stiftung (SGS)

Seit den 1940er Jahren gibt es Widerstand gegen Wasserkraftwerke wegen ihrer Umweltauswirkungen. Gegen die Errichtung neuer Anlagen werden politische Initiativen ergriffen, die jedoch meist keine Mehrheit finden. In den 1970er Jahren entsteht eine schweizweite Umweltbewegung, die sich gegen Atomstrom und für den Alpenschutz einsetzt. Bild: Protest gegen die Ilanzer Kraftwerke, 17.06.1979.

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