07:08 BAUPROJEKTE

Schöne, neue, grüne Stadt: Studienauftrag Seetalplatz Ost in Emmen

Geschrieben von: Manuel Pestalozzi (mp)
Teaserbild-Quelle: Visualisierung: Projektteam Westpol

Der Seetalplatz in Emmen soll zu einem neuen, urbanen Zentrum werden. Drei Baufelder im Osten wurden vom Kanton Luzern im Baurecht abgegeben. Dort sollen Genossenschaftswohnungen entstehen. Dem siegreichen Projektteam aus dem Studienauftrag steht ein Landschaftsarchitekturbüro vor.

Visualisierung Studienauftrag Seetalplatz Ost in Emmen

Quelle: Visualisierung: Projektteam Westpol

Die durchgrünten Hofräume der Überbauung werden öffentlich zugänglich sein.

Das Gebiet um den Seetalplatz ist ein Entwicklungsschwerpunkt im Rahmen von «LuzernPlus». So nennt sich ein Netzwerk für die regionale Entwicklung, getragen vom gleichnamigen Gemeindeverband. Es fasst die Entwicklungsgebiete Luzern-Nord, -Ost und -Süd zusammen. Der Seetalplatz gehört zu «LuzernNord».

Er befindet sich bei der Mündung der Emme in die Reuss, unmittelbar nördlich der Stadtgrenze von Luzern. Nach dem Hochwasser von 2005 wurde hier die Abflussleistung der Kleinen Emme erhöht. Neue, höher gesetzte Brücken steigern die Durchflussleistung, der Flussraum wurde auch verbreitert. Dies machte den Weg frei zu einer sicheren Bebauung des unmittelbaren, auch verkehrstechnisch wichtigen Mündungsgebiets.

Der Seetalplatz spannt sich auf zwischen den Zufahrten zu zwei Brücken. Sie überqueren an seinem südwestlichen Rand die Emme. Am nordöstlichen Platzrand, wenige Schritte vom Bahnhof Emmenbrücke entfernt, befindet sich ein neuer Bushof. Der unbebaute, ausgedehnte Freiraum war lange von Parkplätzen und grünen Restflächen umgeben. 

Auf der Fläche nordwestlich von ihm entsteht aktuell unter dem Namen «4Viertel» eine grosse gemischte Überbauung; auf rund 30 000 Quadratmetern Gesamtnutzfläche sind Läden, Büros, sechs Kinosäle mit einem grosszügigen Foyer und gastronomischem Angebot sowie 192 Mietwohnungen vorgesehen. Die Ausführungsphase ist im Gang, es wird erwartet, dass «4Viertel» im Herbst 2023 bezugsbereit ist. Sein Gegenüber sind die Baufelder auf der Südostseite des Seetalplatz, für den der Studienauftrag ausgeschrieben wurde.

Vielfältiger Kosmos gesucht

Die Baufelder B1 bis B3 sind auf drei Seiten von stark befahrenen Strassen begrenzt: im Nordwesten von der Seetalstrasse, welche sie vom Seetalplatz trennt, im Norden von der Reusseggstrasse, an dessen gegenüberliegenden Seite das Baufeld A1 liegt. Dort plant der Kanton die Zentrale Verwaltung Seetalplatz (ZVSE) nach einem Wettbewerbsentwurf des Architekten Max Dudler.

Im Südosten verläuft die Reussbühlstrasse parallel zum Bahndamm und führt wie die Seetalstrasse auf eine Brücke. Im Südwesten folgt direkt auf die Baufelder eine öffentliche Uferpromenade entlang der Emme. Es besteht ein Bebauungsplan, der 2017 durch den Regierungsrat des Kantons Luzern genehmigt wurde und in Rechtskraft erwachsen ist.

TN06_Modell_06

Quelle: Raumgleiter AG

Alle Projektteams erstellten auf der selben Grundlage ihr digitales Modell. Dies schuf eine taugliche Vergleichsbasis.

Im September 2020 hat der Kanton Luzern als Grundeigentümerin die Baufelder mit einer Grundstücksgrösse von rund 17‘000 Quadratmetern im Baurecht ausgeschrieben. Den Zuschlag zur Entwicklung erhielt die Bietergemeinschaft «Wir sind Stadtgarten» / Halter AG. Für die Realisierung und zukünftige Bewirtschaftung der Überbauung wurde die Wohnbaugenossenschaft Rüüssegg mit Sitz in Luzern gegründet, die das Baurecht für die nächsten 70 Jahre besitzt, mit einer Verlängerungsmöglichkeit von 30 Jahren. 

Ihr erklärtes Ziel ist die Schaffung von gemeinnützigem Wohnraum. Damit soll ein langfristig positiver Einfluss auf die Gebietsentwicklung ausgeübt und ein Beitrag zur Förderung eines lebendigen Quartiers geleistet werden. Die Wohnbaugenossenschaft Rüüssegg strebt am Seetalplatz eine wirtschaftliche, ökologische und sozial nachhaltige Überbauung an.

Mit dem Studienauftrag war die Erwartung verbunden, dass am Seetalplatz «ein vielfältiger Kosmos von nutzungs-flexiblen Raumstrukturen, Innen- und Aussenräumen und einer Belebung sowie Durchdringung im Inneren mit öffentlichen und halböffentlichen Begegnungspfaden» entsteht. 

Lösungsvorschläge hatten das Spannungsfeld zwischen Einheit und Vielfalt auszuloten, um den Eindruck einer «Monokultur» aufzubrechen. Hohe Erwartungen wurden auch in die Freiraumgestaltung gesetzt; sie hatte dem Ort im Dialog mit der Architektur, der bereits gestalteten Promenade entlang der Emme und dem öffentlichen Seetalplatz eine starke Identität zu verschaffen.

Situation

Quelle: Projektteam Westpol Bild: Raumgleiter AG

Das neue Quartier ist von stark befahrenen Strassen umgeben und grenzt an den Flussraum.

Das Verfahren wurde ausdrücklich als «Digitaler Studienauftrag» durchgeführt. Mit einem klaren Fokus auf phasengerechte Inhalte waren 3D-Informationsmodelle zu erstellen, die sowohl für quantitative Auswertungen als auch im Rahmen der Entscheidungsfindung durch das Beurteilungsgremium interaktiv genutzt wurden. Auf physische Modelle wurde im Rahmen der Präsentation und anschliessenden Beurteilung verzichtet.

Ungewöhnlich war die Auswahl der teilnahmeberechtigten Teams: Eingeladen wurden je drei Architektur- und drei Landschaftsarchitekturbüros. Sie waren verpflichtet, sich mit einem Landschaftsarchitektur-, respektive einem Architekturbüro zu einem Team zusammenzuschliessen – aber nicht mit einem, das bereits eingeladen war. Damit bestand die Chance, dass die Schwerpunkte bei den eingereichten Vorschlägen unterschiedlicher gelagert waren.

Im November 2021 erfolgte eine Zwischen-, im März 2022 die Schlusspräsentation mit anschliessender Beurteilung, zu der alle eingereichten Projekte zugelassen waren. Nach dem finalen Kontrollrundgang wurde die Studie von Westpol Landschaftsarchitektur, Basel, mit Dreier Frenzel architecture + communication, Lausanne durch das Beurteilungsgremium einstimmig zur Weiterbearbeitung empfohlen.

Beurteilung-Studienauftrag

Quelle: Halter AG

Das Beurteilungsgremium studierte die digitalen Projektmodelle anhand einer Reihe frontaler Projektionen.

Von Feldern zur Insel

Das siegreiche Projekt des Teams um Westpol verwandelt die drei durch Strassen und die Emme so klar abgegrenzten Baufelder in eine dicht bebaute Siedlungsinsel. Die Verfasserinnen und Verfasser bezeichnen die einzelnen Gebäude in ihrem Entwurfsperimeter als Inseln im Verband eines Archipels, also einer Inselgruppe. 

Aber eigentlich muss der ganze Planungsbereich «LuzernNord» als Archipel betrachtet werden, mit den diversen Bauvorhaben und Bestandsensembles als Inseln. Jede von ihnen hat einen eigenen Quartiercharakter, ist aber auch Teil eines grösseren Ganzen und muss mit seiner Umgebung interagieren.

Ankerpunkt ist die Nordecke des Areals. Hier erhebt sich, wie im Bebauungsplan vorgesehen, ein zwölfgeschossiges Hochhaus, das zur Reusseggstrasse über einer öffentlichen Arkade leicht vorspringt. In beide Richtungen verlaufen von hier entlang dem Seetalplatz und der Reusseggstrasse sechsgeschossige Blockrandbebauungen. Auf dem Trakt am Seetalplatz erstreckt sich über die ganze Länge ein Gemeinschafts-Dachgarten.

Grundriss EG

Quelle: Projektteam Westpol

Im Erdgeschoss des Siegerprojektes sind zahlreiche öffentliche Nutzungen untergebracht. Ein verzweigtes Wegnetz erschliesst alle Wohnhäuser über den Hofraum.

GrundrissOG

Quelle: Projektteam Westpol

Der Grundriss mit Regelgeschossen zeigt eine grosse Vielfalt unterschiedlicher Wohnungen.

An der Reusseggstrasse wird die Bebauung zweimal unterbrochen, zuerst erfolgt eine Abzweigung in die Stadtgasse, eine Sackgasse ins begrünte Innere der Überbauung. Sie wird von zwei aus der Blockrandbebauung herauswachsenden Zeilen flankiert und dient als halböffentliche urbane Flanierstrecke. Unter ihr ist die zweigeschossige Einstellhalle angeordnet.

Die zweite Unterbrechung führt direkt in den begrünten Hofraum, zu einem freistehenden Zeilenbau, der sich bis zur Uferpromenade erstreckt. Östlich davon wird die Blockrandbebauung aufgrund des sich senkenden Terrains bei gleich bleibender Traufhöhe sieben-geschossig. Am Ostrand des Areals folgt sie dem Verlauf der Reussbühlstrasse, dies bildet die einzige Abweichung von der ansonsten rigide beachteten Orthogonalität.

Entlang der Uferpromenade sind «Doppelpunkthäuser» aufgereiht, zwei westlich des erwähnten Zeilenbaus, eines östlich davon. Es handelt sich um verschliffene, dem Verlauf der Arealgrenze folgend versetzte, jeweils in der Höhe um ein Geschoss abgestufte Punkthäuser-Paare mit fünf oder sechs Geschossen. Ein Fusswegnetz führt im Inneren der Baufelder durch die begrünte Hoflandschaft, die von den Treppenhäusern über Waschsalons und Fahrradgaragen direkt von den Erdgeschossen her erreichbar sind.

Visualisierung Studienauftrag Seetalplatz Ost in Emmen

Quelle: Projektteam Westpol

Von manchen Balkonen wird durch den Hofraum hindurch der Kirchturm der Philipp Neri Kirche jenseits der Emme, in Luzern-Reussbühl, sichtbar sein.

Dank der Öffnung des Blockrands ist diese innere Erschliessung auch vielseitig an das allgemeine Wegnetz angebunden und lädt ein zur Durchquerung des Areals. Entlang der Strassenräume sind im überhohen Erdgeschoss zahlreiche Verkaufslokale und an der Arkade unter dem Hochhaus ein Gastronomiebetrieb eingeplant. Weitere Cafés kann sich das Entwurfsteam in den Doppelpunkthäusern an der Uferpromenade vorstellen.

Grosse Wohnungsauswahl

Das siegreiche Studienauftrags-Projekt bietet 401 Eineinhalb- bis Fünfeinhalb-zimmer-Wohnungen in einer grossen Diversität an, zudem drei Clusterwohnungen und sechs Joker-Zimmer. Das Hochhaus am Seetalplatz, der innere Zeilenbau und die «Doppelpunkthäuser» bieten Eckwohnungen mit grosszügigen Wohn- und Essräumen. Im Trakt am Seetalplatz sind Durchwohntypen mit beidseitigen Balkonen und eingestellten Küchenzeilen angeordnet. Teils finden sich auch Kleinwohnungen mit kombüsenartigen Küchen. In den Fügungen der «Doppelpunkthäuser» befinden sich Duplexwohnungen. 

In den Zeilen zur Stadtgasse entstehen wiederum komplett andere Wohnungen; sie sind über gassenseitige, breite Laubengänge erschlossen und verfügen über eine grosse Wohnküche. Eine Besonderheit der Zeilen sind die in den obersten zwei Geschossen angeordneten Maisonettewohnungen, die den oberen Abschluss der Bauten bilden. Den besonders vom Lärm tangierten Wohnungen schrieb das Beurteilungsgremium dank der inneren Gliederung und dem beidseitigem Bezug zu Strasse und Hof sowie klug situierter grosser Balkone ebenfalls eine hohe Wohnqualität zu.

Mit der vorgeschlagenen Mischbauweise mit standardisierten mineralischen Elementen in der Fassade und einer Brettstapel-Holzdecke mit Betonüberzug wird dem Verlangen nach einer ökologischen Bauweise entsprochen. Der Vorschlag stellt nach dem Urteil des Beurteilungsgremiums aufgrund seiner Volumetrie und der inneren Struktur eine gute Grundlage für eine wirtschaftliche Realisierung dar. 

Schnitt

Quelle: Projektteam Westpol

Unter der als urbane Promenade ausgestalteten Stadtgasse befindet sich die zweigeschossige Einstellhalle.

Nachgefragt... bei Thomas Häusler

Thomas Häusler

Quelle: Jürg Waldmeier

Thomas Häusler ist der Geschäftsführer der Wohnbaugenossenschaft Rüüssegg und Projektleiter bei Halter AG Business Development.

Können Sie uns etwas zum Verhältnis zwischen der Bietergemeinschaft «Wir sind Stadtgarten» / Halter AG und der Wohnbaugenossenschaft Rüüssegg sagen? Wie sind die Verantwortlichkeiten während der Planungs- und Bauphase verteilt? Wann und unter welchen Umständen erfolgt die finale Übergabe an die Wohnbaugenossenschaft?

«Wir sind Stadtgarten» ist eine Entwicklergenossenschaft, die von der Halter AG ins Leben gerufen wurde. Von der Halter AG geführt, entwickelt die Genossenschaft Projekte in der ganzen Schweiz. Die entsprechenden Projektgenossenschaften – wie in diesem Fall die WBG Rüüssegg – treten als Bauherrschaften und Entwickler auf. Die Realisierung des Projekts obliegt der Halter AG. Die künftigen Bewohnerinnen und Bewohner der Bebauung werden die Genossenschaft nach der Fertigstellung übernehmen und damit zu genossenschaftlich organisierten Eigentümer ihrer Wohnungen; nach einer definierten Übergangszeit treten die Verantwortlichen von «Wir sind Stadtgarten» und der Halter AG aus der Genossenschaft wieder aus.

Das Verfahren wurde ausdrücklich als «Digitaler Studienauftrag» durchgeführt. Statt eines Modells aus Gips vervollständigten die beteiligten Teams eine digitale Vorlage nach bestimmten Standards. Welche Vorteile verspricht man sich davon?

Der digitale Wettbewerb hat sich ein den vergangenen Jahren bewährt. Gemeinsam mit der Firmenschwester Raumgleiter AG hat die Halter AG bereits mehrere Verfahren dieser Art durchgeführt und gute Erfahrungen damit gesammelt. Ein Hauptvorteil ist die unmittelbare Vergleichbarkeit der Wettbewerbsbeiträge in der virtuellen Realität. Die Mitglieder des Beurteilungsgremiums haben die Möglichkeit, jeden erdenklichen Standpunkt einzunehmen und so die Schwachstellen und die Vorzüge der einzelnen Vorschläge mit der grösstmöglichen Transparenz zu vergleichen.

Ungewöhnlich war, dass drei der ausgewählten Teams von Landschaftsarchitekturbüros angeführt werden mussten. Was wurde mit dieser Vorgabe bezweckt?

Das Design des Studienauftrags folgte der Überzeugung, dass qualitätsvolle Aussenräume für ein Projekt an diesem Standort und mit unterschiedlichen Wohnformen mit Genossenschafts- klassischen Miet- und Eigentumswohnungen ein wichtiger Erfolgsfaktor sind. Unsere Erwartungen wurden erfüllt: Das Siegerprojekt zeichnet sich gerade dadurch aus, dass Architektur und die Gestaltung des Aussenraums gleichwertig behandelt wurden. Daraus ist ein Vorschlag hervorgegangen, der die Bauten sehr natürlich in die bestehende Flusslandschaft einbettet und die Natur sozusagen in die Siedlung eingliedert.

Wie ist die weitere Planungs- und die Realisierungsphase organisiert? Wird das Landschaftsarchitekturbüro auch ein Generalplanterteam anführen und die Realisierung der Hochbauten begleiten?

Für die Realisierung des Projekts ist die Halter AG zuständig, die nach dem Gesamtleistermodell und im Auftrag der Wohnbaugenossenschaft Rüüssegg alle Planer und Unternehmer führen wird. Die Halter AG garantiert in dieser Rolle Kosten, Qualität und Termine.

Wie ist der aktuelle Stand des Projektes? Wann rechnen Sie mit dem Spatenstich?

Im Hinblick auf die Erarbeitung des Baugesuchs wird die siegreich aus dem Auswahlverfahren hervorgegangene Studie aktuell überarbeitet. Wir gehen davon aus, dass der Spatenstich Anfang 2024 erfolgen kann. (mp)

Geschrieben von

Freier Mitarbeiter für das Baublatt.

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