Der Geisterturm von Tianjin wird nun doch fertiggestellt
Über ein Jahrzehnt lang stand der 597 Meter hohe Wolkenkratzer «Goldin Finance 117» unvollendet in der chinesischen Stadt Tianjin. Nun werden die Bauarbeiten wieder aufgenommen – und der Geisterturm damit nun doch noch vollendet.

Quelle: Goldin Properties Holdings
So präsentierte sich der «Goldin Finance 117» über ein Jahrzehnt lang. Nun wird Geisterturm doch noch fertiggestellt.
Als die Bauarbeiten am «Goldin Finance 117» im Jahr 2008 begannen, galt das Projekt als Ausdruck eines neuen Selbstverständnisses in der aufstrebenden Stadt Tianjin: ein Mega-Wolkenkratzer für die wirtschaftliche Elite – mit 128 Stockwerken, Luxus-Hotel, Aussichtsplattform und einem diamantförmigen Glasatrium auf der Spitze. Es war Teil eines riesigen Masterplans der Goldin Properties Group, der einen ganzen Stadtteil für Superreiche vorsah – inklusive Villen, Polo-Club und Weinmuseum.
597 Meter hoher Geisterturm
Allerdings stand das Grossprojekt zunächst unter keinem
guten Stern: 2015 wurden die Bauarbeiten abrupt eingestellt. Grund dafür war
unter anderem der chinesische Immobilienmarkt: Neue Immobilienentwickler dürfen
in China ihre Projekte erst dann vermarkten, wenn diese baulich abgeschlossen
und von den Behörden abgenommen sind – eine Regelung, die bei etablierten,
meist staatlichen Firmen mitunter gelockert wird, bei privaten Neuentwicklern
wie Goldin Properties jedoch voll zum Tragen kam.
Weil also keine frühzeitigen Rückflüsse aus dem Verkauf erzielt werden konnten, musste das Unternehmen das gesamte, zehn Milliarden Dollar schwere Bauvorhaben selbst finanzieren. Als dann im Juni 2015 die Aktienkurse einbrachen und die chinesische Börse gesamthaft ein Drittel tiefer notierte, geriet Goldin massiv unter Druck. Es fehlte an Geld, der Aktienkurs des Unternehmens stürzte ab, das Projekt wurde fallengelassen – und Tianjin hatte fortan einen 597 Meter hohen, unfertigen Geister-Turm.
Über ein Jahrzehnt ragte der Wolkenkratzer-Rohbau in den Himmel. Nun findet er aber doch noch zu seiner Vollendung: Im Mai 2025 wurde bekannt, dass das Grossprojekt wieder aufgenommen wird. Ein neuer Bauvertrag mit einem Volumen von umgerechnet rund 78 Millionen Dollar wurde ausgestellt. Der ursprüngliche Entwickler Goldin Properties wurde aus dem Projekttitel entfernt und die neue Genehmigung an die P&T Group und BGI Engineering Consultant erteilt – höchstwahrscheinlich mit Hilfe der Landesregierung.

Quelle: Goldin Properties Holdings
Visualisierung der ursprünglichen Vision: Zuoberst hätte der Turm ein diamantförmiges Glasatrium erhalten sollen.
Turm wäre heute nicht bewilligungsfähig
Die Hintergründe für den Neubeginn des Projekts sind vielschichtig: Zum einen steht Chinas Bau- und Immobilienwirtschaft weiterhin unter Druck – teils aufgrund jahrelanger Überhitzung, teils wegen des wirtschaftlichen Abschwungs seit der Pandemie. Um das Vertrauen in den Sektor wiederherzustellen, werden gezielt symbolträchtige Grossprojekte wiederbelebt – neben dem Turm in Tianjin auch der ebenfalls unfertige 468 Meter hohe Greenland Tower in Chengdu.
Ein weiterer Antrieb für die Vollendung des Turms: In China verbietet ein neues Gesetz den Bau neuer Gebäude mit einer Höhe von über 500 Metern. In Städten unter drei Millionen Einwohnern liegt das entsprechende Limit bei 150 Metern, Ausnahmen sind nur in Sonderfällen möglich. Unter diesen seit 2021 geltenden, neuen Rahmenbedingungen wäre der «Goldin Finance 117» heute als Neubau also gar nicht mehr bewilligungsfähig.
Eingeführt wurden diese Höhenbegrenzungen im Zuge einer regulatorischen Neuausrichtung: Weil die chinesische Wirtschaft stark vom Immobiliensektor abhängig ist, versucht die Regierung, überdimensionierte Prestigeprojekte ohne realen Bedarf zu unterbinden. Denn in den vergangenen Jahren entstanden im Land teilweise viele Wolkenkratzer, für die es am Ende weder Mieter noch Nutzer gab.

Quelle: Goldin Properties
Visualisierung der ursprünglichen Vision: Der Mega-Wolkenkratzer war für die wirtschaftliche Elite gedacht – mit 128 Stockwerken, Luxus-Hotel und Aussichtsplattform.
Grosse bauliche Herausforderungen
Der Turm war ursprünglich als dritthöchstes Gebäude der Welt konzipiert worden. Seine extrem schlanke Form mit einem Seitenverhältnis von 9,5:1 überschreitet sogar die zulässigen Grenzwerte der chinesischen Erdbebenverordnung. Um dies auszugleichen, wurde er mit einem zentralen Stahlbetonkern sowie einem Outrigger- und Belt-Truss-System ausgestattet. Mehrere hochfeste Stahlstützen an der Fassade ergänzen das System, das speziell auf die Wind- und Erdbebenlasten in der Region ausgelegt wurde.
Die baulichen Herausforderungen sind erheblich: Das Gebäude stand immerhin zehn Jahre lang ungenutzt im Freien. Deshalb werden erste Schritte wohl die Prüfung der Tragstruktur, Fassadenelemente, Aufzugsschächte und technischen Anlagen umfassen. Auch mögliche Korrosion von Bewehrungsstahl und Materialermüdung dürften untersucht werden. Hinzu kommen technische Updates, da viele bereits verbauten Systeme nach heutigen Normen überarbeitet oder ersetzt werden müssen.
Noch ist unklar, ob der Wolkenkratzer wie ursprünglich geplant als Hotel und Bürogebäude dienen wird. Denn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich seit 2015 verändert. Die Leerstandsquoten in vergleichbaren Türmen sind hoch, viele internationale Investoren haben sich zurückgezogen. Auch deshalb wird in Fachkreisen bereits über eine mögliche Umnutzung spekuliert – etwa zu Wohnraum.
Dennoch planen die chinesischen Behörden das Gebäude bis zum Jahr 2027 fertig zu realisieren. Damit dürfte der als «höchster Geister-Wolkenkratzer der Welt» bekannte Turm doch noch zu seiner Glaskrone kommen.

Quelle: N509FZ wikimedia CC BY-SA 4.0
Eine Aufnahme von 2017 zeigt den unvollständigen 597 Meter hohen Turm.