15:08 BAUPROJEKTE

150 Jahre Gletschergarten Luzern: Von der Baustelle zum Naturdenkmal

Teaserbild-Quelle: Richard, T., CC BY 4.0

Am 1. Mai feiert der Gletschergarten Luzern seinen 150. Geburtstag. Nach wie vor beeindrucken seine im Laufe der Jahrtausende von Schmelzwasser und Geröll tief in den Fels getriebenen Gletschertöpfe. Dass man sie entdeckte, verdanken sie einem Bankkaufmann, der Weinhändler werden wollte.

Postkarte aus dem Jahr 1915

Quelle: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Unbekannt / PK_013519 / Public Domain Mark

Postkarte mit einer Übersicht über den Gletschergarten aus dem Jahr 1915.

Wo der Gletschergarten heute alljährlich Tausende von Besuchern anlockt, befand sich zu Beginn der 1870er-Jahre der Rand eines Steinbruchs. Josef Wilhelm Amrein-Troller, Filialleiter beim Luzerner Speditions- und Bankhaus Knörr, hatte das Stück Land erworben, um in ­seinem felsigen Grund einen Weinkeller anzulegen. Er wollte sich als Weinhändler selbstständig  machen. Doch aus diesen Plänen wurde nichts: Im Herbst des Jahres 1872 kam bei den Arbeiten für den Bau ein beckenartiges, rundes Loch mit beinahe glatt geschliffenen Wänden zum Vorschein. Dem Luzerner Geologen Franz Joseph Kaufmann, der bei einem Spaziergang auf die Baustelle aufmerksam wurde, war schnell klar, dass es sich um einen Gletschertopf handelt.

Gletschertöpfe sind Aushöhlungen im Fels, die das abfliessende Schmelzwasser im Lauf der Jahrtausende in den Grund des Gletscherbetts gegraben hat. Die schüssel- und bisweilen schachtartigen Löcher ­entstehen, weil das Schmelzwasser unter dem Gletscher Wasserwalzen und Wirbel bildet, im Zuge derer die im Wasser mitgeführten Steine und der Sand den Grund formen. 

 Kaufmann überzeugte Amrein-Troller, die Bauarbeiten einzustellen und den Felsen weiter freizulegen. In wenigen Wochen gelangten weitere Gletschertöpfe ans Licht. Kurz darauf zog man Albert Heim, Gletscherforscher und Professor für Geologie an der ETH Zürich, bei, der die aussergewöhnliche Entdeckung begutachtete.

Modernste elektrische Beleuchtung fürs Naturdenkmal

Heim riet Amrein-Troller, das Naturdenkmal zu erhalten. Dass der Wissenschaftler bei dem Bankkaufmann auf offene Ohren gestossen war, dürfte nicht ganz selbstverständlich gewesen sein. Denn Amrein-­Troller hatte sich bereits mit dem Kauf des Landes verschuldet. Trotzdem lud er bereits wenige Monate später, am 1. Mai 1873, ­zur Eröffnung des Gletschergartens. Als zusätzliche Attraktion gab es an Sommerabenden  «elektrische und bengalische Beleuchtung» – und am 4. Mai spielte die Luzerner Kurkapelle auf, wie Amrein-Troller in seinem Inserat ankündigte. Die elektrische ­Beleuchtung war die erste öffentliche Beleuchtung dieser Art in Luzern.

Postkarte von 1930

Quelle: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Unbekannt / PK_004776 / Public Domain Mark

Der Gletschergarten auf einer Postkarte von 1930. Damals war das Areal noch nicht überdacht.

Das Risiko, das Amrein-Troller eingegangen war, zahlte sich aus. Im ersten Jahr nahm er 13 785 Franken 25 ein, wie in e­inem Artikel zum hundertsten Geburtstag des Gletschergartens in der Fachzeitschrift Geographica Helvetica berichtet wurde. Damit hatten er und seine Familie nicht nur ein stattliches Auskommen, sondern er konnte den Gletschergarten auch weiter ausbauen. Unter anderem erhielt die Anlage in den Folgejahren einen Aussichtsturm. 1875 wurde ein weiterer riesiger Gletschertopf ausgegraben, mit einer Tiefe von mehr als neun Metern und einem Durchmesser von acht Metern.

Spiegellabyrinth: Von der Landesausstellung in Genf nach Luzern

Damit ging die Karriere des Gletscher­gartens als Touristenattraktion bereits in den ersten Jahren steil nach oben. Im ­Publikum befanden sich illustre Persönlichkeiten, der Schriftsteller Mark Twain bestaunte die Gletschertöpfe ebenso wie Friedrich Nietzsche und der Polarforscher Fridtjof Nansen. Weitere Attraktionen kamen hinzu. 

Die bekannteste dürfte das von der Alhambra in Granada inspirierte Spiegellabyrinth sein: Für die Landeausstellung in Genf von 1896 erbaut, fand es mit dem Gletschergarten noch im selben Jahr einen neuen Standort. Dies erlebte Amrein allerdings nicht mehr. Er verstarb 1881. Um den Gletschergarten kümmerte sich fortan seine Gattin Marie. Unter ihr wurde die Anlage weiter ausgebaut, unter anderem erhielt sie einen Anbau mit Verkaufsstelle, Ausstellungsräumen sowie einer ­Alpenblumen- und Mineraliensammlung.

Auch wenn sich der Gletschergarten im Laufe seiner 150-jährigen Geschichte gewandelt hat –  in jüngerer Zeit mit der 2021 eröffneten Felsenwelt, die zur Reise durch die Erdgeschichte lädt – ist einiges aus den Anfangszeiten erhalten geblieben. Das gilt für den Aussichtsturm oder für das Schweizer­haus. Vor allem aber für den Gletschertopf, mit dessen Entdeckung alles ­begonnen hatte. ( mai)

Im Jubiläumsjahr sind vielfältige Veranstaltungen geplant: Ab dem 1. Mai «Schräge Führungen», ab 13. September läuft eine Ausstellung des Luzerner Künstler Sipho Mabona und im November wird der Gletschergarten abends illuminiert. Weitere Informationen auf ­https://gletschergarten.ch

Aufnahme aus dem Jahr 1876 aus dem Gletschergarten.

Quelle: Richard, T., CC BY 4.0

Aufnahme aus dem Jahr 1876 aus dem Gletschergarten.

Illustration, Standort des Gletschergartens um 1872

Quelle: Albert Heim, Polona Digital Library, Gemeinfrei

So sah der Standort des Gletschergartens aus, bevor die Gletschertöpfe gefunden worden sind. Illustration aus einer Publikation aus dem Jahr 1913.

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