11:10 BAUPRAXIS

Zooarchitektur in der DDR: Die Typologie des Architekten Graffunder

Geschrieben von: Claudia Bertoldi (cb)
Teaserbild-Quelle: Natascha Meuser, zvg

Das Erscheinungsbild Zoologischer Gärten hat sich seit dem Bau der ersten Anlagen grundlegend verändert. Tiere sollen heute in einer möglichst naturnahen Umgebung leben können. Einen wichtigen Beitrag dafür leistete der deutsche Architekt Heinz Graffunder, der in der DDR diverse Projekten für Zoologische Gärten umsetzte.

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Quelle: Quelle: Deutsche Architektur, Heft 7/1962

Die Flusspferdanlage, das Alfred-Brehm-Haus und die Dickhäuteranlage des Berliner Zoos in der Perspektive.

Die Geschichte der Anlagen, in denen wilde Tiere gehalten werden, reicht Jahrtausende zurück. Zu Schauzwecken, als Kampfobjekte, Jagdhelfer oder zum Verzehren wurden in Ägypten, China und im antiken Rom Wildtiere gehalten. Eine erste zooähnliche Anlage mit sieben Tiergehegen liess König Ludwig XIV. am Schloss von Versailles anlegen.

Im 19. Jahrhundert wurden die ersten Zoologischen Gärten gegründet, die allein der Erholung und der naturkundlichen Bildung dienten. Der erster «Zoologischer Garten» wurde 1828 in London als Sammlung von Tieren für wissenschaftliche Studien eröffnet. Der erste Zoo in Deutschland öffnet 1844 in Berlin seine Tore, 1874 folgte in Basel der erste Zoo der Schweiz. Im damaligen Deutschen Reich gab es um 1900 bereits über 20 Zoos und Aquarien.

Der Beginn des artgerechten Bauens 

Heute hat sich die Ausrichtung der Zoologischen Gärten grundlegend geändert. Sie sind weiterhin Freizeiteinrichtung, Lernort, Forschungsstätte und Naturschutzzentrum, doch der Arten- und Tierschutz und die Qualität der Tierhaltung nehmen eine vorrangige Rolle ein. Dies spiegelt sich auch in der fortschreitenden Umgestaltung vieler Zoos und Tierparks wie auch in Zürich oder Basel wider. Neue und grössere Anlagen entstehen, die dem natürlichen Habitat der Tiere möglichst ähnlich sind. Verschiedene Tierarten leben dort wie in der Freiheit auf gemeinsamen Raum.

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Quelle: Natascha Meuser, zvg

Das Dickhäuterhaus im Tierpark Berlin mit dem Verbindungstor zum Aussengehege. Daneben die Skizzen zur Entwurfsherleitung und das Modell der Anlange.

Die Typologie der Zoobauten

Den Beginn dieser Entwicklung setzte auch ein ostdeutscher Architekt. Heinz Graffunder, hochdotierter Architekt in der DDR und unter anderem geistiger Vater des Vorzeigeprojekts «Palast der Republik» sowie der Rathauspassagen in Berlin, gilt auch heute noch weltweit als einer der bedeutendsten Zooarchitekten des 20. Jahrhunderts. Dem Thema hat Natascha Meuser ein neu erschienenes Buch gewidmet.

Im Zweiten Weltkrieg hatte die Zerstörung auch vor den Zoologischen Anlagen nicht haltgemacht. Viele Tierunterkünfte lagen in Trümmern, die Tiere waren verendet. Doch zunächst musste für die Unterbringung der überlebenden Bevölkerung gesorgt und die Infrastruktur wieder hergestellt werden. 

Ab 1954 standen in Ostdeutschland wieder die Planung und der Ausbau der Zoologischen Gärten auf dem Programm – und damit Heinz Graffunder im Mittelpunkt. Seine Theorien und Studien sowie die Entwicklung einer Entwurfstheorie der Zoobauten machten ihn zum international anerkannten Fachmann auf diesem Gebiet und prägten nachhaltig die internationale Debatte über Zoobauten. Er übernahm unter anderem die Gesamtplanung des Tierparks Berlin und der Zoologischen Gärten Rostock, Cottbus, Magdeburg, Leipzig, Halle und Dresden, sowie die Neuanlage in Erfurt mit zahlreichen Anlagen und Tierhäusern.

Seine Anlagen sind mit dem heute geforderten Niveau nicht zu vergleichen. Zeitgemässe Zooarchitektur setzt jetzt auf naturnahe Gehege mit grossen Flächen, in denen mehrere Tierarten gemeinsam leben und wo die Architektur fast unsichtbar wird. Zudem spielt der Aspekt Erlebnis eine immer wichtigere Rolle. Doch Graffunder unternahm die ersten Schritte für eine Neuausrichtung weg von der vergitterten Käfighaltung. 

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Quelle: zvg

Erster Masterplan für den Tierpark Berlin. Der Vorentwurf aus dem Jahr 1956.

Neue Ansichten, verändertes Bauen

Die für den Wiederaufbau festgelegten architektonischen Grundlagen für den Baustil und den Einbezug historischer Vorbilder galten nicht für die ostdeutschen Zoologischen Gärten. Hier dominierten Improvisation und Pragmatismus, zudem ein absoluter Mangel an Baumaterialien. Freiwillige halfen, um die Anlagen möglichst schnell wieder zugänglich zu machen. Bereits 1950 öffnete der erste neue Tierpark in Magdeburg. Doch artgerecht waren die Tiere in den funktionellen Zweckbauten nicht untergebracht.

Das sollte sich bald ändern. Denn den neuen Zoobauten in der DDR wurde eine naturwissenschaftliche Bildungsaufgabe zugesprochen, und sie erhielten den Status einer Kulturinstitution. Der Zoo als Bildungsanstalt sollte das hohe kulturelle Niveau und die Stärke der sozialistischen Gesellschaft verkörpern. Dementsprechend wichtig war die politische Bedeutung. Über 100 Tiergärten und Zoos entstanden bis in die 80er-Jahre.

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Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-B1226-0003-001 / Kohls, Ulrich / CC-BY-SA 3.0

Weihnachtsspaziergang am 25.12.63 im Tierpark Friedrichsfelde. Das Alfred-Brehm-Haus war ein besonderer Anziehungspunkt.

Der 1955 eröffnete Tierpark Berlin nahm dabei eine besondere Stellung ein. Hier entstand unter der Leitung Graffunders unter anderem das mit 5300 Quadratmeter Grundfläche damals weltgrösste Tierhaus, das 1963 eröffnete Alfred-Brehm-Haus für Grosskatzen. Viele Projekte wie ein Multifunktionsbau für Wassertiere konnten aber aus Finanzierungsgründen nicht verwirklicht werden.

Harmonisches Bauen für Tiere

Zunächst standen nicht die Gestaltung des künstlichen Umfelds, sondern Elemente des Wohlbefindens und der Gesundheit im Blickpunkt der Zoogestalter. Die Gestaltung der Tiergehege wurde auch mit Elementen aus modernen Materialien umgesetzt, die eher steril und technisch wirkten, wie die aus Beton geformten Eisschollen im Eisbärengehege des Tierparks Berlin. Die Voraussetzung dafür war, dass die Imitate bei den Tieren die gleiche Bedeutung erlangten und artspezifische Handlungsfaktoren erhalten blieben. 

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Quelle: Michael G. Schroeder_CC BY-SA 3.0

Das Alfred-Brehm-Haus wurde von 1956 bis 1963 erbaut. Das von Heinz Graffunder und seinem Architektenkollektiv entworfene Gebäude ist heute ein Baudenkmal.

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Quelle: Sören Kusch CC BY-SA 3.0

Eine Innenansicht des Alfred-Brehm-Hauses im Tierpark Berlin in einer Aufnahme vom Juli 2014.

Doch auch dies änderte sich. Mit dem zunehmenden Tierschutz wandelte sich auch die Architektur. Zooplaner und -biologen waren darauf bedacht, den Tieren ein möglichst natürliches Umfeld zu schaffen. Graffunder konnte bei der Planung dieser Gebäude Ideen und theoretische Reflexionen einbringen, die er beim Entwurf seiner Staatsbauten aussen vor liess. Er sah es als eine besondere Herausforderung, diese architektonischen Aufgaben unter vielfältigsten Bedingungen zu meistern.

Dafür entwickelte er eine eigene Theorie. Ins Zentrum seiner Planung stellte er die harmonische Einheit aus landschaftlichen und architektonischen Elementen. Er setzte damit neue internationale Massstäbe. Seine ausführlichen theoretischen Planungskonzeptionen konnte er vor allem im Tierpark Berlin verwirklichen. Der Tierpark ist in seiner Anlage mit sukzessivem Ausbau seit rund 70 Jahren fast unverändert erhalten geblieben.

Bei der Planung setzte Graffunder auf die Zusammenarbeit und den Austausch mit Experten wie dem Berliner Tierparkdirektor Heinrich Dathe und zahlreichen Zoologen. Es veranlasste ihn, sich substanziell und zukunftsorientiert auf eine Einheit von moderner Architektur und zeit-gemässer Tierhaltung zu konzentrieren. Die einwandfreie Pflege und Ausstellung der Tiere sollten in Harmonie mit einer geschmackvollen, ästhetisch gestalteten Anlage verwirklicht werden. Die Architektur sollte eine Einheit bilden und zugleich den Bedürfnissen der Tiere, Besucher sowie Zoo-Mitarbeiter gerecht werden.

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Quelle: zvg

Buchseite zum Alfred-Brehm-Haus im Tierpark Berlin

Im eigenen Land kaum bekannt

Für seine Planung staatlicher Bauten erhielt Heinz Graffunder schon zu Lebzeiten Anerkennung. Mit seinem umfangreichen Werk zählt er zu den meistbeschäftigten Architekten seiner Generation. Seine Leistung bei der Planung und Umsetzung der zahlreichen Bauten für Tiere in den Zoologischen Gärten der DDR war bisher kaum der Erwähnung wert. Die Architekten blieben namenlos, auch heute noch weist kein Schild in einem Zoo Ostdeutschlands auf den geistigen Vater der Anlage hin. Für das Projekt Tierpark Berlin wurde er 1969 mit dem Nationalpreis der DDR 1. Klasse ausgezeichnet.

Graffunder prägte die internationale Debatte über Zoobauten entscheidend mit. Er zählt zu den wenigen Architekten, die eine Entwurfstheorie der Zoobauten entwickelten. Seine Texte tragen heute noch zu einer veränderten Wahrnehmung von Zooarchitektur bei. Das Buch ermöglicht einen Einblick in Graffunders Werk mit einer Werkliste seiner Bauten für Tiere. Die wissenschaftliche Aufarbeitung erfolgte in Kooperation mit dem Baukunst-Archiv der Akademie der Künste in Berlin. Viele Pläne werden im Buch erstmals publiziert.

Der Baumeister der DDR

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Quelle: Privatarchiv Graffunder/Huber

Heinz Graffunder mit Kollegen, 1952

Heinz Graffunder wurde 1926 in Berlin geboren. Nach dem Notabitur 1943 wurde der erst 17-Jährige zum Kriegseinsatz eingezogen. Nach dem Krieg arbeitete er zunächst in verschiedenen Baugewerken und absolvierte eine Maurerlehre. 1949 begann er die Ausbildung als Ingenieur für Hochbau an der Vereinigten Bauschule von Gross-Berlin.

Von 1952 bis 1972 arbeitete er als Abteilungsleiter beim VEB Bauprojektierung Gross-Berlin und zeichnete sich für die Verwirklichung wichtiger Projekte des Bauschaffens in der DDR verantwortlich: Neben der Gesamtplanung von Tierpark-Projekten und der Gestaltung von Bauten in diversen Zoos war er unter anderem mit der Planung des Freibad Pankows, des zentralen Regierungsgebäudes am Marx-Engels-Platz und des Gebäudes der Deutschen Innen- und Aussenhandelsgesellschaft in Berlin, der DDR-Botschaft in Budapest, des Winterquartiers des Zentralen Zirkus in Hoppegarten und mehrerer grosser Gebäudekomplexe in Berlin betraut.

1972 wurde er Chefarchitekt des Instituts für Wohn- und Gesellschaftsbauten der Bauakademie der DDR. Er übernahm 1973 die Projektierung des Palasts der Republik, anschliessend des Neubaugebiets Berlin-Marzahn. Von 1984 bis 1990 hatte er eine Professur an der Bauhochschule Cottbus inne und war Mitglied der Internationalen Architektenakademie Sofia. Ab 1990 arbeitete er als freier Architekt. 1994 ist Heinz Graffunder verstorben. (cb)

Heinz Graffunder – Bauten und Projekte für Zoologische Gärten

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Quelle: zvg

Heinz Graffunder : Bauten und Projekte für Zoologische Gärten, Cover

Natascha Meuser; 

DOM publishers, 

Berlin; April 2021; 

304 Seiten und 300 Abbildungen; 

Softcover;

ISBN 978-3-86922-888-4; 

34,80 Franken

Geschrieben von

Ehemalige Redaktorin Baublatt

Claudia Bertoldi war von April 2015 bis April 2022 als Redaktorin beim Baublatt tätig. Ihre Spezialgebiete waren Architektur- und Technikthemen.

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