07:49 BAUPRAXIS

Wasserbau: Potenzial von Coanda-Rechen ausschöpfen

Geschrieben von: Stefan Schmid (sts)
Teaserbild-Quelle: zvg

Feststoffe im Wasser verursachen hohe Schäden. Wehre sind deshalb mit Entsandern ausgestattet. Für Fische handelt es sich aber um unüberwindliche Barrieren. Coanda-Rechen dienenals Filter und dem Fischabstieg, doch besteht Optimierungspotenzial. Nun wird geforscht.

An die Wasserwirtschaft werden viele Ansprüche gestellt. Mit Rücksicht auf die Natur soll sie dauerhaft die Stromversorgung sicherstellen. Wasserkraftwerke können im alpinen Raum zwar grosse Höhenunterschiede nutzen, doch führen dort Flüsse oft Sedimente mit, die bei Hochdruckanlagen Schäden verursachen. Für die Betriebskosten relevant sind deshalb Wasserfassungen, welche den grössten Teil der Feststoffe herausfiltern. Traditionellerweise bestehen die Fassungen aus Tirolerwehren, die in der Regel mit robusten Fallrechen bestückt sind.

Die in Fliessrichtung angeordneten Rechenstäbe weisen relativ grosse Spaltenweiten von drei bis zehn Zentimetern auf. Dadurch ergibt sich zwar ein hohes spezifisches Schluckvermögen bis zu zwei Kubikmetern pro Laufmeter und Sekunde, doch trennen solche Fassungen das Nutzwasser lediglich von grobem Geschiebe. Kleinere Sedimente müssen speziell mittels Entsandern ausgeschieden werden, um die Schäden an Druckleitung und Turbinen zu minimieren. Denn abgenutzte Anlageteile wie von Quarzsand abgeschliffene Turbinenschaufeln erfordern teure Revisionen und hohe Ersatzinvestitionen. Herkömmliche Fassungen bilden für Fische auf dem Weg flussaufwärts zudem unüberwindliche Barrieren. Den Abstieg über diese Art von Rechen überleben Fische in aller Regel nicht, weil sie wegen der breiten Spalten zwischen die Rechenstäbe fallen und in die Druckleitung gelangen können. Oder sie verletzten sich beim Sturz über das Wehr.

Zumindest für kleine bis mittelgrosse Wasserfassungen könnten Coanda-Rechen für Kraftwerkbetreiber und die Fischpopulation in Flüssen und Gebirgsbächen Vorteile bringen, wie die Fachtagung des Schweizerischen Wasserwirtschaftsverbands zeigte.

Höhere Kapazität möglich

Coanda-Rechen etablieren sich seit einigen Jahren als Alternative zu herkömmlichen Wasserfassungen. Charakteristisch für diesen Typ von Rechen sind viele scharfkantige Stäbe, die in horizontaler Richtung quer zur Flussrichtung angeordnet sind. Die Spaltweiten sind verschieden, betragen je nach Rechentyp aber meist 0,2 bis 2 Millimeter, sodass auch feines Geschiebe wie Kies und Sand sowie Geschwimmsel aus dem Nutzwasser gefiltert werden. Möglich sind aber auch Weiten von zwei bis drei Millimeter. Die Feinrechen nutzen bei Wasser zwei Effekte. Der Coanda-Effekt beschreibt zum einen die Anhangskraft zwischen einem Körper und einer Flüssigkeit oder einem Gas (z. B. Luft). Zum anderen ergibt sich der Abschereffekt durch die Anordnung der Stäbe, die funktionell gegeneinander leicht abgewinkelt sind und dadurch die spezifische Fassungskapazität des Rechens erhöhen. Aufgrund konstruktionsbedingter geringer Spaltenweiten ist die Fassungskapazität von Coanda-Rechen kleiner als jene herkömmlicher Fassungen. Sie beträgt zwischen 50 und 300 Litern pro Laufmeter Rechenbreite. Dennoch können grosse Wassermengen gefasst werden. Die weltweit grösste Anlage mit einem Coanda-Rechen in Aceh, Indonesien, hat eine Fassungskapazität von elf Kubikmetern pro Sekunde, die grösste in Europa erreicht vier Kubikmeter. Coanda-Rechen fanden in den letzten Jahrzehnten zwar schon Verbreitung (siehe Kasten «Bereits im Einsatz»).

Studie zu bestehenden Anlagen

Wie sich der Coanda-Rechen für geschiebereiche Gebirgsbäche weiterentwickeln und der Einsatz optimieren lässt, klärt die HTW Chur im Auftrag des Bundesamts für Energie nun im Rahmen einer Forschungsstudie ab. Die Modellversuche werden an der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich durchgeführt. Obwohl die Rechen bereits bei Wasserfassungen genutzt werden, ortet Franco Schlegel, Dozent Wasserbau und Wasserkraft an der HTW Chur, in der Schweiz aber nach wie vor ein grosses Wissensdefizit, was die Funktionsweise und das Einsatzgebiet von Coanda-Rechen betrifft. «Hersteller und Bauherrschaften wussten nicht, dass es eigentlich schon recht viele solche Anlagen gibt.» Zwar liegen vereinzelte Studien über die Feinrechen vor, doch systematische Analysen und hydraulische Modellversuche unter natürlichen Bedingungen fehlen weitgehend. Zudem besteht technologisch noch Optimierungspotenzial. Verbessern liessen sich die spezifische Schluckfähigkeit, der Abweisungsgrad von Feststoffen sowie die Dauerhaftigkeit von Bauteilen.

In der Schweiz sind mittlerweile rund 50 Anlagen in Betrieb, wobei der neuartige Typ einer Wasserfassung vor allem im Wallis Verbreitung fand und dort neben Kraftwerken auch bei Bewässerungssystemen eingesetzt wird. In die Studie einbezogen wurden insgesamt 22 Anlagen, zwölf mit Standorten in der Schweiz sowie Fassungen in Österreich, Italien und Deutschland.

Die geringe Spaltenbreite und die Nutzung grundsätzlicher physikalischer Prinzipien bieten verschiedene Vorteile. Kies und Sand lassen sich damit zu einem grossen Teil aus dem Triebwassersystem herausfiltern. Die Anlage reinigt sich sozusagen von selbst, indem die Sedimente bei Überwasser ins Unterwasser gespült werden. Erfahrungsgemäss ist lediglich einmal pro Jahr eine Nachreinigung notwendig, was die Wartungskosten gering hält. Da bei Coanda-Rechen die Stäbe dauernd umspült sind, bildet sich auch bei vergleichsweise tiefen Minustemperaturen beim Rechen kein Eis. Und schliesslich könnte der Verzicht auf Sandfänge Betriebskosten senken. Obwohl die Untersuchungen die Vorteile der Rechen grundsätzlich bestätigt haben, hat sich im praktischen Einsatz gezeigt, dass die verbreiteten Annahmen über den Abweisungsgrad der Feinrechen oft zu optimistisch sind. Deshalb sind gleichwohl Massnahmen zur Abscheidung von Feinanteilen erforderlich. Zudem sind die Angaben der Hersteller zum Abweisungsgrad fragwürdig.

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