10:37 BAUPRAXIS

Lean-Construction-Tagung: Lean schlägt Improvisation

Geschrieben von: Stefan Breitenmoser (bre)
Teaserbild-Quelle: SBB / Keystone

Wer Lean-Techniken anwendet, kann Kosten sparen. Das zeigt das Beispiel des neuen Vertragsmodells Generalunternehmer Plus beim Bau des Bözbergtunnels. Doch insbesondere für KMU gibt es bei der Implementierung auch einige Stolpersteine.

Es gibt wohl kaum einen Polier, der sich bei Problemen auf der Baustelle nicht schon gedacht hat: «Hätten sie mich vorher gefragt, hätte ich ihnen sagen können, dass das so nicht funktioniert.» Oft wünschen sich die Baubeteiligten, dass sie in einer früheren Phase zu einem Projekt dazugestossen wären. Dieser frühere Einbezug aller Projektbeteiligten ist allerdings nur ein Punkt, wo Lean Construction einsetzt. Denn grundsätzlich geht es bei diesem Ansatz, der ursprünglich aus den Toyota-Werken in Japan stammt, um die Vermeidung von Fehlern am Bau, die Optimierung des Bauprozesses und die stetige Evaluation der Ergebnisse.

Doch braucht man dazu einen Lean-Manager? Und wo macht Lean überhaupt Sinn? Ja, braucht man das als mittelständisches Unternehmen überhaupt? Und was wären die Vorteile? Diesen Fragen ging die vom VDI Wissensforum organisierte Lean-Construction-Konferenz Ende Juni in Frankfurt nach. Für Konferenzleiter Christoph Motzko von der Technischen Universität Darmstadt war schon zu Beginn der Veranstaltung klar: «Lean schlägt Improvisation am Bau». Allerdings muss Lean richtig eingesetzt werden.

So kam der Lean-Gedanke beim Neubau des Bözbergtunnels vor allem im Vertragsmodell zum Tragen. Denn die SBB entschieden sich, das Projekt im neuen Vertragsmodell «Generalunternehmer Plus» (GU +) auszuschreiben. Das bedeutet, dass der im Vertrag vorgesehene Gesamtleistungsauftrag sämtliche Leistungen von der Ausführungsplanung über die eigentlichen Bauleistungen vom Tunnelvortrieb über die Rohbauarbeiten bis hin zum Einbau der Bahntechnik und Übergabe des «schlüsselfertigen» Tunnels an die SBB Ende August 2020 umfasst. Den Zuschlag bekam schliesslich die Implenia Schweiz AG. Die Gesamtkosten für den 2,7 Kilometer langen Tunnel belaufen sich auf 145 Millionen Franken.

Gesamtleistungsmandate bevorzugt

Vorausgegangen war dieser Entscheidung der Fakt, dass das Investitionsvolumen der SBB Projekte in den Jahren 2012 bis 2016 markant gestiegen war. Deshalb hat eine Projektgruppe bestehend aus Vertretern der SBB, des Schweizerischen Baumeisterverbandes und des Fachverbandes Infra bereits 2012 einen Standbericht mit Empfehlungen zur Ausschreibung von Gesamtleistungsmandaten erarbeitet. Das Modell GU + war dabei eines von fünf Modellen zur Vergabe von Gesamtleistungsmandaten. «Es hat sich gezeigt, dass Gesamtleistungsmodelle für Einspurtunnel, Neubaustrecken oder bei Vollsperrungen sinnvoll sind, weil der laufende Bahnbetrieb möglichst keine Auswirkungen auf den vom Gesamtleister vorgesehenen Bauablauf haben darf», so Thomas Zieger, Gesamtprojektleiter Bözbergtunnel. Aus seiner Sicht hat die Vergabe der Bauleistungen als Gesamtpaket vor allem folgende Vorteile:

  • Reduktion der Anzahl Vertragsnehmer
  • Verringerung der Eigenleistungen bei der SBB-Projektleitung
  • Reduktion von Schnittstellen und damit verbundenen Risiken
  • Gewinn von Synergien und damit Kosten- und Zeiteinsparungen infolge der Zusammenlegung von Planungs- und Realisierungs-Know-how
  • schnellere Projektrealisierung durch die Bündelung der Prozesse beim Hauptunternehmer
  • Wirtschaftlichkeit der Angebote durch den frühzeitigen Einbezug von Unternehmervarianten

Als Nachteile sieht Zieger, dass dieses Vertragsmodell eine grössere Vorleistung der SBB-Projektleitung zur Festlegung von Projektanforderungen, Rahmenbedingungen und Standards mit sich bringt und dass es nicht so viele Anbieter gibt, die diese Gesamtleistung überhaupt erbringen können.

Die Mannschaft beim Durchbruch des Bözbergtunnels (mit Thomas Zieger vorne in der Mitte).

Quelle: SBB / Keystone

Die Mannschaft beim Durchbruch des Bözbergtunnels (mit Thomas Zieger vorne in der Mitte).

Neue Rollen und Denkweisen

«Bestimmend für den Entscheid zugunsten des Vertragsmodells GU + war die Tatsache, dass die SBB in den Jahren 2016 bis 2020 nicht über genügend eigene Ressourcen verfügt und deshalb die Realisierung des Bauvorhabens Neubau Bözbergtunnel mit möglichst wenig Eigenleistung erfolgen sollte», so Zieger. Jedoch erfordert dieses Modell neue Rollen und Denkweisen. So kommt dem «Owner’s Engineer» eine entscheidende Rolle zu, übernimmt er doch jene Anteile der Bauleitung, welche nicht direkt dem GU + zugeordnet werden können. Der «Owner’s Engineer» unterstützt den Bauherrn bei der vertraglichen Abwicklung, prüft die Ausführungspläne und überwacht stichprobenweise die Bauausführung. Er berät also den Bauherrn in allen Belangen der Projektabwicklung, die Kommunikation läuft stets über ihn.

Der Generalunternehmer hingegen übernimmt die Projektierungsleistungen für die Ausführungsplanung, realisiert sämtliche Vortriebs-, Rohbau- und Bahntechnikarbeiten (mit Ausnahme der Telekom-, Sicherungs- und Fahrleitungsanlagen) und ist somit aufgefordert, innovative Lösungsansätze und Optimierungen einzubringen. Die Abrechnung ist ebenfalls vereinfacht, erfolgt sie doch nach globalisierten Angebotspreisen. «Wir rechnen nicht nach Mengen ab, sondern nach Leistungsstellen», erklärt Zieger. So wird der Tunnel beispielsweise nach Metern abgerechnet. Ausserdem ist ein Bonus-Malus-System im Vertragsmodell vorgesehen. Das heisst, dass nach Vertragsunterzeichnung für Optimierungen am Bauwerk, die zu Kosteneinsparungen führen, eine Vergütungsregelung von 50 Prozent zugunsten des Generalunternehmers und 50 Prozent zugunsten der SBB vorgesehen ist. Damit hat der Generalunternehmer den Anreiz, innovative Lösungen zu präsentieren.

Pneu- statt gleisgebunden

Im Fall des Bözbergtunnels führte das neue Vertragsmodell dazu, dass das GU + seit Projektbeginn bereits 25 Projektänderungen eingereicht hat, wovon die SBB die Mehrzahl bewilligt haben. Diese Projektoptimierungen haben dabei nicht nur Auswirkungen auf Kosten, Qualität und Bauzeit, sondern wirken sich auch auf die Unterhaltskosten im späteren Betrieb aus. So wurde beispielsweise von der Implenia vorgeschlagen, die technischen Räume, welche sich alle 500 Meter in den Querverbindungen befinden, nicht rechtwinklig in den Fels zu hauen, sondern sie in die Querschläge zu integrieren und seitlich anzuordnen. Dies führte zu Einsparungen von 250 000 Franken, wovon die Implenia die Hälfte behalten kann.

Eine andere Projektoptimierung war der Einbau der Bahntechnik durch pneugebundene Logistik. Im Submissionsprojekt war dieser grösstenteils gleisgebunden vorgesehen. Als Voraussetzung hierzu muss allerdings die feste Fahrbahn im Tunnel im Schotteroberbau bereits eingebaut sein. Die Projektoptimierung sieht nun allerdings vor, einen Teil der schienengebundenen Leistungen neu pneugebunden auszuführen, da die pneugebundene Logistik wesentlich flexibler ist. «Daraus ergibt sich der entscheidende Vorteil, dass im Tunnel gleichzeitig mehrere Arbeitsstellen bedient werden können. Da im Doppelspurtunnel Begegnungs- und Überholverkehr möglich ist, können die Gewerke der Bahntechnik anstatt seriell in Parallelarbeit an mehreren Stellen gleichzeitig erfolgen», erläutert Zieger. Ein weiterer Vorteil des vorzeitigen Einbaus der Kabelanlage im Tunnel ist, dass die technischen Anlagen bereits in einem früheren Stadium in Betrieb genommen werden können. Durch die Umstellung des Bauablaufs und der Baulogistik konnte der Einbau der Kabelanlage für das Stromversorgungsnetz um rund zwölf Monate vorgezogen werden und startete bereits Anfang März 2019.

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