09:44 BAUPRAXIS

Effizienz im Holzbau: Jede Lücke zählt

Geschrieben von: Ben Kron (bk)
Teaserbild-Quelle: Empa

Seit 2015 können in der Schweiz Hochhäuser aus Holz gebaut werden. Bislang waren diese aber überdimensioniert: Wände mit Fensteröffnungen wurden statisch als Luft betrachtet, da Informationen zu ihrem Tragverhalten fehlten. Ein Forschungsprojekt hat diese Wissenslücke nun geschlossen.

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Quelle: Empa

Nadja Manser kontrolliert einen zweistöckigen Versuchsaufbau. Die Ingenieurin ist überzeugt, dass die Berücksichtigung von Holzrahmenbauwänden mit Fensteröffnungen in der Planung eines Holzbaus die Effizienz des Aussteifungssystems erhöht

Gebäude aus Holz haben eine Jahrhunderte lange Tradition: In der waldreichen Schweiz ist der nachwachsende Baustoff bis heute, wenn er richtig eingesetzt wird, eine wichtige, nachhaltige Alternative zum Beton. Lange Zeit aber waren Gebäude mit einer tragenden Holzstruktur auf zwei Geschosse beschränkt, aus Gründen des Brandschutzes. 

Dies änderte sich 2015 grundlegend: Bei den Brandschutznormen wurde die Einführung von vier Baustoff-Brandverhaltensgruppen eingeführt (siehe Kasten «Von der Brennbarkeit zum Brandverhalten»). Seither sind Tragstrukturen aus Holz auch für mehrgeschossige Gebäude zulässig, bis hin zu Hochhäusern, sofern die Brandschutzanforderungen erfüllt sind. Bereits drei Jahre später wurde das erste Schweizer Holzhochhaus mit zehn Stockwerken in Rotkreuz bei Zug fertiggestellt. Beim Bürogebäude mit Namen «Suurstoffi 22» handelt es sich um einen Hybridbau, bei dem der Kern und das Sockelgeschoss aus Beton gefertigt sind. Die Haupttragstruktur des 36 Meter hohen Gebäudes besteht aus Holz.

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Quelle: Empa

Messung der Kräfte, die auf den Holzrahmen einwirken: Bisher wurden diese Segmente von Holzbauten für die statische Berechnung mangels Daten gar nicht berücksichtigt.

Statische Wissenslücke

Mit dem Trend zu höheren Gebäuden in Holzbauweise wuchsen auch die Anforderungen, und Wissenslücken entstanden. Eine davon ist das Tragverhalten von Holzrahmenbau-Wänden mit Fensteröffnungen. Für die auf zwei Stockwerke beschränkten Häuser reichten die vorhandenen Wände problemlos zum Aussteifen der Konstruktion gegen horizontale Kräfte, die aus Wind- oder Erdbebenkräften entstehen. Deshalb wurden diese Wände und ihre Belastbarkeit jeweils nicht berücksichtigt: Bei der statischen Berechnung von Bauten in Holzrahmenbauweise wurden diese Segmente wie Luft behandelt. Doch mit der Möglichkeit, mit Holz beliebig in die Höhe zu bauen, steigen die Anforderungen an die horizontalen Gebäudeaussteifung: Es wird attraktiv, Wände mit Öffnungen für diese Aussteifung ansetzen zu können. 

An der Berner Fachhochschule in Biel, im Institut für Holzbau IHB, erkannten Forschende das Potenzial: Lassen sich Wandsegmente mit Fensteröffnungen in der Statik integrieren, können die Effizienz des Aussteifungssystems erhöht und die Materialaufwände reduziert werden.  Eine Annahme, die sich in ersten Experimenten und Berechnungen am Computer, bestätigte. So kam es 2021 zum Start eines vierjährigen Forschungsprojektes, um diese Wissenslücke zu schliessen: Durch eine Reihe spektakulärer Grossversuche an der Berner Fachhochschule in Biel und an der Empa in Dübendorf, zusammen mit Berechnungen am Computer wurde das benötigte Grundlagenwissen erarbeitet. Das Kooperationsprojekt zwischen der Berner Fachhochschule – Architektur, Holz und Bau, der Empa-Abteilung Ingenieur-Strukturen, und dem Institut für Baustatik und Konstruktion der ETH Zürich ist durch den «Aktionsplan Holz» vom Bundesamt für Umwelt finanziert. Der Verband der Schweizer Holzingenieure (Swiss Timber Engineers) und der Branchenverband Holzbau Schweiz sind als Industriepartner am Projekt beteiligt. Die Firma Ancotech AG gewährleistete innovative, kostengünstige Verankerungen für die experimentell untersuchten Wände. 

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Quelle: Empa

Neben den Messungen im Labor war und ist viel Analyse und Rechenarbeit am Computer gefragt.

Bis zum Versagen belastet

Das Projekt umfasste zahlreiche Versuche und Messungen, in immer grösserem Massstab: Zuerst begannen die Forschenden an der Berner Fachhochschule in Biel, einzelne Beplankungsplatten auf deren Eigenschaften zu untersuchen. Es folgten Experimente an eingeschossigen Wänden mit verschiedenen Fensteröffnungsgrössen und Verbindungsmitteln zwischen Beplankung und Ständerwerk. Im letzten Schritt wurden zweigeschossige Wände und lange Wände mit je zwei Fensteröffnungen in der Bauhalle der Empa experimentell untersucht. Alle Wände wurden in horizontaler Richtung bis zum Versagen belastet. 

Für das Projekt verantwortlich ist die Bauingenieurin Nadja Manser, die rund um die Forschungstätigkeit ihre Doktorarbeit verfasst hat. «Die experimentellen Untersuchungen  haben wir im Februar abgeschlossen», erklärt die Ingenieurin. Auch ihre Dissertation ist fertig. «Jetzt erarbeiten wir zusammen mit der Berner Fachhochschule einen Leitfaden, damit unsere Ergebnisse in Zukunft in der Praxis angewendet werden können.» Manser hofft, dass dieser Leitfaden bis etwa Mitte 2026 veröffentlicht werden kann. Vorgesehen ist ein dreistufiges Vorgehen für die Planung eines Bauwerks in Holzrahmenbauweise. 

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Quelle: Empa

Visuelle Markierungen an der Wand helfen bei der Auswertung der Messergebnisse.

Stufe 1: Vorphase / Machbarkeitsstudie

In dieser Phase des Projekts soll innerhalb von einfachen Berechnungen in wenigen Minuten abgeschätzt werden können, ob ein Gebäude mit Holzrahmenbauwänden ausgesteift werden kann oder nicht.

Stufe 2: Bemessung von regelmässigen Bauwerken

Auf Basis der entwickelten Computermodelle soll eine vereinfachte Bemessung für regelmässige Gebäude entwickelt werden. Damit sollen die Elemente der Holzrahmenbauwände mit Fensteröffnungen bemessen werden können.

Stufe 3: Bemessung von unregelmässigen Bauwerken 

Für Gebäude, die nicht als regelmässig eingestuft werden, werden die Grundlagen geschaffen, dass der planende Ingenieur oder die planende Ingenieurin das entwickelte Computermodell selber aufbauen und das Gebäude selbständig damit berechnen kann.

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Quelle: Empa

Versuchsanordnung im Labor: Die Holzrahmenkonstruktion bekommt nun solange Druck, bis sie versagt.

Nadja Manser ist überzeugt, dass die Berücksichtigung von Holzrahmenbauwänden mit Fensteröffnungen in der Planung eines Holzbaus die Effizienz des Aussteifungssystems erhöht und neue Möglichkeiten eröffnet. «Durch die Berücksichtigung der Wandelemente mit Fensteröffnungen wird die Zahl der teuren Zugverankerungen reduziert, und auch die Kräfte, welche in den Zugverankerungen wirken, nehmen ab. Dies hat zur Folge, dass Material gespart wird und damit die Gebäudeaussteifung günstiger werden wird.»

Weiter schafft die Berücksichtigung dieser Wandelemente flexiblere Nutzungsmöglichkeiten: «Wir haben oft mehrgeschossige Gebäude mit Gastronomie oder Ladenflächen im Erdgeschoss. Hier sind deshalb möglichst wenige tragende Elemente im Gebäudeinneren gefragt. Die  Flexibilität der Gestaltung wird erhöht, wenn man stattdessen Wandelemente mit Fensteröffnungen in der Fassade ansetzen kann.» Bei gewissen Bauwerken könnte durch die Berücksichtigung von Holzrahmenbauwänden mit Fensteröffnungen in Zukunft auf einen Betonkern verzichtet werden. Das Ergebnis wäre eine ressourcenschonende und nachhaltigere Bauweise in Holz.

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Quelle: Empa

Die Ingenieurin Nadja Manser hat das Forschungsprojekt geleitet und dazu auch Ihre Doktorarbeit geschrieben.

Von der Brennbarkeit zum Brandverhalten

Tilia Tower

Quelle: zvg

Die markante Fassadenkonstruktion des «Tilia Tower» soll auf den Etagen auf natürliche Weise Schatten spenden.

Die Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen (VKF) ist in der Schweiz für den Erlass und die Aktualisierung der Brandschutzvorschriften zuständig. Mit der Revision im Jahr 2015 wurde ein eigentlicher Paradigmenwechsel vollzogen: Seither werden Baustoffe nicht mehr allein nach ihrer Brennbarkeit, sondern nach ihrem Brandverhalten – also ihrem Beitrag zum Brandgeschehen – beurteilt.

Kern der neuen Regelung ist die Einführung der sogenannten RF-Klassen («Reaction to Fire»). RF1 bezeichnet Baustoffe ohne Brandbeitrag, etwa Beton oder Glas. RF4 steht für Materialien mit unzulässigem Brandbeitrag, wie Karton oder Holzspäne. Dazwischen liegen die Klassen RF2 («geringer Brandbeitrag») und RF3 («zulässiger Brandbeitrag»). Gewisse Laubhölzer wie Eiche wurden in die Klasse RF2 eingestuft – gemeinsam mit brandschutzbehandelten Materialien. Die meisten anderen Holzarten finden sich in RF3 wieder.

Diese Neubewertung des Baustoffs Holz durch die kantonalen Feuerversicherungen war ein entscheidender Schritt: Sie machte den Weg frei für den mehrgeschossigen Holzbau. Seither entstehen in der Schweiz mehrere innovative Holz- und Hybridhochhäuser: Bereits realisiert ist das 75 Meter hohe Holz-Hybridhochhaus «Zwhatt» in Regensdorf bei Zürich. In Prilly bei Lausanne wächst derzeit der «Tilia Tower» in die Höhe, der dereinst 85 Meter erreichen wird. Das in Winterthur geplante «The Rocket», das mit rund 100 Metern das weltweit höchste Holzwohnhaus hätte werden sollen, wird hingegen nach einer Projektänderung nun in konventioneller Bauweise erstellt. (bk)

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