10:41 BAUBRANCHE

Stadtzürcher wandern ab: Zuhause in der Flughafenregion statt in Zürich

Geschrieben von: Simone Matthieu
Teaserbild-Quelle: Silva Maier

Die Stadtzürcher zieht es in die Flughafenregion: Dank guter ÖV-Anbindung ist man von hier schnell in der Stadt Zürich. Zudem überzeugt die Region mit guten Infrastrukturen und vielen Arbeitsplätzen. Da überlegen sich einige, die City zu verlassen.

Zuwanderung Dübendorf Aussicht ThreePoints

Quelle: Silva Maier

Eine Region, die zunehmend für Wohnungssuchende aus der Stadt Zürich interessant wird: Blick von einem der Three-Points-Hochhäuser in die Umgebung von Dübendorf, im Mai 2024.

Stadtzürcher verlassen die City nur ungern. Die kleine Metropole offeriert alles, was man sich wünscht: Einen perfekt funktionierenden öffentlichen Verkehr, in Gehdistanz von allen Standorten der Stadt aus gut erreichbar. Ein grosses kulturelles Angebot, vielfältige Einkaufs-möglich­keiten, erstklassige Gesundheitseinrichtungen, Restaurants und Naherho-lungs­gebiete – seien es die stadteigenen Pärke oder die Wälder und Wiesen am Stadtrand. Das Einzige, das fehlt, sind Wohnungen.  Oder vielmehr: bezahlbare Wohnungen. 5000 Franken monatlich für eine Zwei- bis Dreizimmer-Unterkunft sind längst keine Seltenheit mehr. Die Mietpreise steigen immer höher, so dass sich viele fragen: Wer kann sich das noch leisten?

Wohnen in Dübendorf und Wallisellen 

Wenn sogar Doppelverdiener mit überdurchschnittlichem Familieneinkommen wegen zu hoher Mieten die Stadt Zürich verlassen, läuft definitiv etwas schief. Geht es so weiter, werden sich bald nur noch äusserst gut Verdienende ein Zuhause in der Limmatstadt leisten können. Das bekam auch das Paar Daniel B.* und Katrin A.* zu spüren. Der 41-jährige Banker und die 38-jährige Lehrerin wohnten viele Jahre bis 2019 im Zürcher Kreis Altstetten. Ihre Wohnung gehörte zwar zu einer Genossenschaft – doch nach einem Umbau stiegen auch hier die Kosten massiv. «Da wir gerade unser zweites Kind erwarteten, brauchten wir eine neue Unterkunft», sagt Daniel B. «Wir wollten etwas Grösseres, der Kinder wegen. Wir konnten uns vorstellen, in der Stadt etwas Anderes zu mieten oder gar etwas zu kaufen», sagt Daniel B. Doch keine Chance. In der Stadt fanden sie nichts Bezahlbares. Deshalb zogen sie nach Stettbach in der Gemeinde Dübendorf, am Stadtrand von Zürich. Wirklich glücklich sind sie dort, zwischen den höchsten Wohnhäusern der Schweiz, nicht. Zu gerne wären sie in der City geblieben.

Alteingesessene Stadtzürcher fürchten, neben der Annehmlichkeiten von Zürich ihr angestammtes Umfeld zu verlieren. So erging es Susanne M.*: Sie und ihr Mann Martin* arbeiten beide im Lehrerberuf, wohnten und arbeiteten viele Jahre in der Stadt Zürich. Doch dann kam die alles verändernde Nachricht: Martin M.s Vater, ein Architekt, liess ein Haus in Wallisellen, das ihm gehörte, attraktiv umbauen – als Erbvorbezug für seinen Sohn. Martin M. war begeistert von der Immobilie. Doch Susanne wehrte sich mit Händen und Füs­sen. Als sich aber herausstellte, dass sie mit Zwillingen schwanger war, schien Wallisellen doch eine Option zu sein. Dennoch sorgte sich Susanne nach wie vor, dass ihre Freunde den Weg nach Wallisellen scheuen und Bekanntschaften verblassen würden. Es gab viel Streit im Hause M. und beinahe eine Trennung. Nach langem Hin und Her liess sich Susanne überzeugen, ein Leben in Wallisellen zu versuchen – im Hinterkopf stets der Plan, notfalls allein zurück in die Stadt zu ziehen. Nach kurzer Zeit des Eingewöhnens lernte Susanne ihre neue Heimat schätzen: Das neue, geräumige Zuhause mit schönem Garten ist perfekt für den Nachwuchs. Und ihre Angst, den Kontakt zu ihrem Freundeskreis in der City zu verlieren, bewahrheitete sich nicht. Seither lebt das Paar harmonisch in der Flughafenregion.

Dank gut ausgebautem ÖV schnell im Zentrum Zürichs

Vom Unwillen der Stadtzürcher, ihr Zürich zu verlassen, von ihrer Befürchtung, an einem neuen Ort ein neues Umfeld aufbauen zu müssen, weil sie sich die Mieten in der City nicht mehr leisten können – davon profitieren die nahe gelegenen Städte und Gemeinden der Flughafenregion. Dazu gehören folgende Gemeinden: Wallisellen, Kloten, Dübendorf, Bülach, Opfikon, Bassersdorf, Bachenbülach, Nürensdorf, Oberglatt, Rümlang, Dietlikon, Volketswil, Wangen-Brütisellen oder Winkel. Mit wenigen Ausnahmen ist man von diesen Standorten innerhalb von 15 bis 20 Minuten am Hauptbahnhof Zürich. Die Zahlen beziehen sich auf die Fahrzeit von Bahnhof bis Bahnhof, nicht eingerechnet sind allfällige zusätzliche Verkehrsmittel, um vom Bahnhof bis nach Hause zu kommen. Doch auch dann gelangt man unter Umständen schneller oder gleich schnell in Zürichs Stadtzentrum, als wenn man in einem Aussenquartier der Limmatstadt zu Hause wäre. So dauert beispielsweise die Fahrt mit dem Bus oder Tram von Frankental in Zürich-Höngg 16 bis 27 Minuten an den Hauptbahnhof. Von Zürich-Witikon ist man 25 bis 27 Minuten unterwegs. Am beliebtesten unter den genannten Städten und Gemeinden sind Wallisellen und Dübendorf: Öffentliche Verkehrsmitteln bringen einen in rund zehn Minuten in die City. Auch Kloten besticht mit seiner einwandfreien Infrastruktur und einer guten finanziellen Lage: Erst letztes Jahr konnte der Steuerfuss um 3 Prozent gesenkt werden.

Hochhaus Three Point Dübendorf

Quelle: Silva Maier

Viel Grün, moderne Wohnungen und eine gute ÖV-Anbindung – damit punktet Dübendorf.

Der Boom Dübendorfs und vor allem seines Quartiers Stettbach ist längst keine Überraschung mehr. Hier wird fleissig in die Höhe gebaut. Die Three-Points-Wohntürme mit bis zu 38 Stockwerken sind ein Vorzeige-Beispiel für verdichtetes Bauen, das in den nächsten Jahren immer mehr auch an anderen Orten zum Thema werden dürfte. In Opfikon zeigt sich das Bedürfnis nach mehr Wohnraum schon sehr lange. Die sowieso bereits in der Nähe von Zürich liegende Gemeinde rückte 2012 mit der Verwirklichung einer neuen Gross-Überbauung noch näher: Der Glattpark. Gleich hinter den Gebäuden des Schweizer Fernsehens gelegen, profitieren die Bewohner des Quartiers vom Zugang zu Zürichs Infrastruktur. Dass auch Kloten und Wallisellen zu den Wunschdestinationen gehören, ist bemerkenswert: Lange wurden diese Orte wegen des Fluglärms gemieden.

Kloten, nahe bei Zürich und Winterthur

René Huber, der Stadtpräsident von Kloten sagt: «Das Wachstum von Kloten ist eine konstante Entwicklung. Die Stadt ist seit jeher attraktiv. Das hat viel zu tun mit der Erweiterung des Flughafens und den damit direkt und indirekt verbundenen Arbeitsplätzen.» Die Lage mitten im Wirtschaftszentrum des Kantons ist gefragt. «Tausende Arbeitsplätze am Flughafen sind in wenigen Minuten erreichbar. Kloten ist verkehrstechnisch bestens erschlossen.» Weitere Gründe sind die Nähe zu Zürich und Winterthur. Kloten verfügt zudem über vielfältige Bildungsangebote, Freizeitgestaltungs-Möglichkeiten, eine gute Gesundheitsversorgung und attraktiven Wohnraum. «Der Stadtrat hat in den letzten Jahren grosse Anstrengungen unternommen, damit Kloten ein beliebter Wohnort wird», erläutert der Stadtpräsident. So erhalten die Einwohner etwa Schallschutz-Zuschüsse aus dem Fluglärmfonds, um ihre Wohnungen und Häuser mit Baumassnahmen gegen den Fluglärm zu schützen.

Ein weiterer Pluspunkt: Auf einer Länge von rund drei Kilometern soll in den nächsten Jahren die heute kanalisierte Glatt von der Birchbrücke bis ins Gebiet Fromatt verlegt, verbreitert und renaturiert werden. Der Bevölkerung steht so künftig westlich des Flughafens eine naturnahe Naherholungszone mit neuen Fahrrad- und Wanderwegen sowie mehreren Rastplätzen zur Verfügung. Die Renaturierung der Glatt wird übrigens bis 2030 den ganzen Flusslauf von Opfikon bis Dübendorf umfassen.  

Leider komme die Stadt Kloten dem  grossen Bedarf nach neuem Wohnraum kaum nach, wie René Huber mit Bedauern sagt: «Kloten hat in den letzten Jahren zwar an Wohnungen zugelegt, diese reichen aber bei weitem nicht, um die Nachfrage zu befriedigen. Bei uns gibt es kaum leere Wohnungen. Angebot und Nachfrage stimmen nicht überein. Deshalb sind die Mietzinsen inzwischen auch in Kloten merklich gestiegen.»

Ausgerechnet in dieser schwierigen Lage lehnte das Stimmvolk letzten Herbst zwei Stadtentwicklungs-Vorlagen ab, die das Gebiet Steinacker betrafen. Kloten hätte dadurch viel neuen Raum für eine gemischte Wohn- und Gewerbezonen gewinnen können. Der Stadtrat hat deshalb eine repräsentative Umfrage unter den Bewohnern durchgeführt, um die unerwartete Ablehnung der Vorlagen zu verstehen. Die Auswertung ist noch ausstehend. Basierend auf den Resultaten sollen laut Huber neue Lösungen ausgearbeitet werden. «Kloten verfügt praktisch über keine Baulandreserven mehr. Das grösste Potenzial hat nach wie vor die Entwicklung des Steinacker-Quartiers, welches aktuell nur zu 40 Prozent genutzt wird. Mit dem Nein an der Urne kann dieses Potenzial aktuell noch nicht erschlossen werden.» Es bleibe aber ein Ziel, den Steinacker zu einem attraktiven Quartier zu entwickeln. Ab 2030 ist es optimal erschlossen, dank einer Verlängerung der Tramlinien 10 und 12.

Stadtrand Dübendorf

Quelle: Silva Maier

Die Adresse passt, urban Wohnen am Stadtrand von Dübendorf. Oder doch von Zürich?

Nicht alle suchen einen urbanen Wohnort

In solch angespannten Situationen wie Kloten oder das Dübendorfer Quartier Stettbach stecken andere Gemeinden der Flughafenregion weniger; Sie konnten ihr ländliches Flair behalten und ziehen damit andere Zuzüger an. Obwohl offenbar die meisten, die sich in der Flughafenregion niederlassen, ein urbanes Umfeld vorziehen, gibt  es auch solche, die ländlichere Orte suchen. Das zeigt die Geschichte von Carmen S.*:  Die Coiffeuse arbeitete und lebte mehr als 20 Jahre in der Stadt Zürich, stets als Angestellte in diversen Salons. Als sie sich selbstständig machte und ihr eigenes Geschäft eröffnete, realisierte sie, dass die doppelte Miete für Salon und Wohnung in der City ihr Budget sprengte. Zudem sehnte sie sich nach einer grüneren Gegend  – wie dort, wo sie aufgewachsen war. Vor fünf Jahren zog sie nach Oberglatt. In der Nähe des Bahnhofs eröffnete sie einen Salon. Wenige Gehminuten entfernt war zudem eine Wohnung frei. In Oberglatt ist die doppelte Miete kein Problem mehr. Der Salon lief von Anfang an gut – auch dank langjähriger Kundschaft, die den Weg von Zürich nach Oberglatt auf sich nahm, um sich weiterhin von ihr die Haare machen zu lassen. Mit der Zeit haben die Wünsche nach ausgefallenen Modefrisuren abgenommen, aber das ist ihr egal. Sie fühlt sich angekommen und unabhängig.              

Die 14 Gemeinden, die das dynamische Zentrum der Region Zürich bilden, sind Mitglieder des Wirtschaftsnetzwerks FRZ Flughafenregion Zürich, das fleissig für die Region wirbt und es schafft, nationale und internationale Firmen anzuziehen. Das eine hat Einfluss auf das andere: Wo viele angesehene Arbeitgeber ihren Standort haben, wollen die Angestellten wohnen. Die Städte und Gemeinden der Flughafenregion haben sich zu ansprechenden Wohn- und Arbeitsorten entwickelt. Nicht nur für Ex-Stadtzürcher, sondern auch für solche von anderswo. Sie finden hier alles, was sie sich wünschen.

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Freie Mitarbeiterin für das Baublatt.

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