12:17 BAUBRANCHE

Rettungsgrabungen in Gebenstorf AG für Grossbau aus der Römerzeit

Geschrieben von: Stefan Schmid (sts)
Teaserbild-Quelle: Kantonsarchäologie, Kanton Aargau

Die Aargauer Kantonsarchäologie nimmt derzeit in Gebenstorf AG in der Nähe von Vindonissa auf einem Baugrund Rettungsgrabungen vor. Diese sollen neue Erkenntnisse über das Verhältnis von römischen Militärlagern und Zivilsiedlungen ermöglichen.

Römischer Grossbau in Gebenstorf AG

Quelle: Kantonsarchäologie, Kanton Aargau

Die Ausgrabungsstelle in Gebenstorf-Steinacher liegt direkt an der Limmat.

In der Gegend rund um Windisch AG wird bei Bauprojekten oft die Archäologie beigezogen. Schichten geben Artefakte frei, die Einblicke in die römische Geschichte ermöglichen. Denn in Vindonissa unterhielten die Römer ein Legionslager, das wichtige Verkehrsverbindungen kontrollierte. 

Im Vorfeld einer Grossüberbauung in Gebenstorf führt die Kantonsarchäologie aktuell eine Rettungsgrabung in zwei Kampagnen durch. Direkt an der Limmat liegt eine römische Siedlungsstelle mit gut erhaltenen Steinbauten. Der Komplex ist von grosser Bedeutung, weil er Antworten liefert zum Verhältnis des Militärlagers Vindonissa und seinem Umland.

Schon beim Voraushub im Vorfeld der geplanten Grabung kamen auf der Bauparzelle erste Mauerfundamente und römischer Bauschutt sowie einzelne Funde zutage. Im Gebiet «Steinacher» der Gemeinde Gebenstorf ist eine Wohnüberbauung mit Tiefgarage vorgesehen. Der Baugrund liegt etwa 2,2 Kilometer vom römischen Legionslager in Vindonissa entfernt. Noch vor Baubeginn dokumentiert nun die Kantonsarchäologie die archäologischen Überreste, bevor sie neuem Wohnraum weichen müssen. Die Rettungsgrabung hat Anfang April begonnen.

Römischer Grossbau in Gebenstorf AG

Quelle: Kantonsarchäologie, Kanton Aargau

Übersicht über die Ausgrabungsfläche nach der Abhumusierung.

Extra Leugam – der Abstand zählt

Die Erdarbeiten betreffen eine archäologisch relevante Fläche von 3200 Quadratmetern. An dieser Stelle wird das Terrain mehrere Meter tief abgetragen werden. Fundmeldungen seit dem 17. Jahrhundert und gezielte Untersuchungen der Kantonsarchäologie im Zeitraum von 2017 bis 2023 belegen in und um die betroffene Parzelle eine ausgedehnte römische Siedlungsstelle mit stellenweise gut erhaltenen Steinbauten, wie es in einer Meldung der Kantonsarchäologie heisst.

Unmittelbar westlich der Bauparzelle lag vor 2000 Jahren ein antiker Friedhof mit Grabsteinen von in Vindonissa stationierten Soldaten. Wie ähnliche Konstellationen im Römischen Reich zeigen, wurden laut der Mitteilung Siedlung und Gräberfeld von Gebenstorf in einem offenbar rechtlich verbindlichen Abstand, in lateinischer Sprache als «extra leugam» bezeichnet – zum zugehörigen Garnisonsort Vindonissa angelegt. Die Leuge ist eine römische Meile und entspricht 2,22 Kilometern und damit genau dem Abstand zwischen dem Legionslager und der Siedlungsstelle in Gebenstorf.

Grosser Speicher- oder Magazinbau

Bereits in den Jahren 2019 und 2020, als noch kein konkretes Bauprojekt vorlag, führte die Kantonsarchäologie mit freiwilligen Hilfspersonen im Gebiet «Steinacher» von Gebenstorf ihren Feldkurs durch. Dabei dokumentierten die Hilfspersonen unter der Leitung der Kantonsarchäologie Mauern eines grossen Steinbaus, dessen Bauweise mit vorspringenden Strebepfeilern- und Pilasterfundamenten auf einen Speicher oder ein Magazin hinzuweisen schienen, wie es weiter heisst. Denkbar sei aber auch ein Monumentalbau mit administrativer Funktion. Bei den Fundstücken habe es sich vor allem um Amphorenscherben gehandelt. Beim Ort unmittelbar südlich der Limmat soll es sich am ehesten um eine Art Umladestation gehandelt haben, mutmassen die Archäologinnen und Archäologen.

Römischer Grossbau in Gebenstorf AG

Quelle: Kantonsarchäologie, Kanton Aargau

Blick auf die im Feldkurs 2019/2020 freigelegten massiven Steinfundamente.

Rettungsgrabung in zwei Kampagnen

Die geplanten Baumassnahmen umfassen den tiefgreifenden Bauaushub für das Unter- und Erdgeschoss, Eingriffe ins Erdreich für Werkleitungen und Anlagen, Abtragungen für Baustellen-Installationen sowie Terrainveränderung im Zuge der Umgebungsgestaltung. Dadurch werden die im Boden erhaltenen römischen Überreste zerstört, weshalb die Kantonsarchäologie gemäss gesetzlichem Auftrag die Flächen vorgängig wissenschaftlich untersucht, dokumentiert und die Funde sichert, wie die Fachstelle weiter ausführt.

Die Rettungsgrabung finde in zwei Grabungsetappen von April bis November 2024 und März bis Mai 2025 statt. Der Bauperimeter werde bereits Anfang Juni 2025 für den Neubau freigegeben, der Westteil sogar schon im Herbst 2024, wobei Ausgrabung und Bauprojekt eng ineinandergreifen würden. Die wissenschaftliche und konservatorische Nachbearbeitung der geborgenen Kleinfunde erstrecke sich dann noch bis im November 2025.

Römischer Grossbau in Gebenstorf AG

Quelle: Kantonsarchäologie, Kanton Aargau

Im Feldkurs 2019/2020 freigelegter Mauerwinkel aus Kalksinterblöcken.

Ein «Plansiedlung» zwischen Reuss und Limmat

Die Ausgrabung in Gebenstorf sichere nicht nur die archäologischen Hinterlassenschaften, sondern ermögliche auch einen Erkenntnisgewinn für die Geschichte von Vindonissa. Aus wissenschaftlicher Sicht sei der Komplex dieser «Plansiedlung» von grosser Bedeutung, da es sich beim Baugrund um ein weitgehend ungestörtes Areal handelt.

Die Forscherinnen und Forscher erhoffen sich daher, wesentliche Rückschlüsse ziehen und Aussagen machen zu können über das Verhältnis zwischen römischen Militärlagern und den zugehörigen Zivilsiedlungen. Diese Aspekte werden in der internationalen Forschung intensiv diskutiert.  Die Resultate der Ausgrabung werden im weiteren Verlauf der Untersuchung mit Grabungsführungen vermittelt. Man darf gespannt sein auf die kommenden Wochen. (mgt/sts)

Römischer Grossbau in Gebenstorf AG

Quelle: Kantonsarchäologie, Kanton Aargau

Bereits beim Voraushub kam erneut ein massives Mauerfundament zum Vorschein.

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