Ein neues Atomkraftwerk für die Schweiz ist frühestens 2050 möglich
Würde in der Schweiz das Neubauverbots von Atomkraftwerken aufgehoben, wäre ein neues AKW frühestens 2050 am Netz - und dies nur mit staatlicher Unterstützung. Zu diesem Schluss kommen Fachleute der Akademien der Wissenschaften Schweiz in einem neuen Bericht.
Ein Neubau von Atomkraftwerken werde in vielen Teilen der Welt diskutiert, sagte Urs Neu, Leiter der Energiekommission, heute Dienstag vor den Medien in Bern. Auch in der Schweiz gibt es mit der Blackout-Initiative und dem indirekten Gegenvorschlag Bestrebungen, das im Kernenergiegesetz verankerte Neubauverbot aufzuheben. Laut Neu soll der aktuelle Bericht eine Grundlage für diese Diskussion in Politik und Gesellschaft bieten. Ein Fazit wollte das Forschungsteam allerdings nicht ziehen. Das hängt, wie Neu erklärte, schlussendlich auch von verschiedenen persönlichen Werteinschätzungen ab. Demnach stehen die Vorteile der Kernkraft - CO2-armer, wetterunabhängiger Strom - Risiken, politischen Hürden und milliardenschweren Investitionen gegenüber.
Bauzeit für ein AKW dauert mindestens acht Jahre
Die reine Bauzeit für ein neues Kraftwerk beträgt laut dem Bericht mindestens acht Jahre. Damit wäre der Bau deutlich schneller als jener der zuletzt in Europa fertig gebauten Atomkraftwerke im finnischen Olkiluoto und im französischen Flamanville - der Bau dieser Anlagen benötigte mehr als 16 Jahre Bauzeit.
Den Bauarbeiten geht ein ein komplexer politischer Prozess mit mindestens sieben Entscheidungen voran: Das sind eine Annahme der BlackoutInitiative oder des indirekten Gegenvorschlags; wahrscheinlich ein Gesetz für Subventionierung; den Projektentscheid von Investoren; sowie Rahmen-, Bau- und Betriebsbewilligungen. Insgesamt rechnen die Experten damit, dass dieser Prozess mindestens bis 2050 dauert. Allerdings nur, wenn alle Entscheide auf diesem Weg für einen Neubau positiv ausfallen. Ausserdem könnte das Projekt in diversen Phasen auch sonst scheitern; etwa, wenn der Gegenvorschlag für die Blackout-Initiative und die Initiative selbst nicht angenommen werden oder wenn es Einsprachen gegen die Baubewilligung gibt. "Jede Entscheidung wird mit Unsicherheit behaftet sein", sagte Jochen Markard von der ETH Zürich und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Jede dieser politischen, wirtschaftlichen und technischen Entscheidungen kann ein Neubauprojekt verzögern oder stoppen.
Kein neues Atomkraftwerk in der Schweiz ohne staatliche Subventionen?
"Wir können nicht davon ausgehen, dass in der Schweiz ohne staatliche Subventionen ein neues Atomkraftwerk gebaut wird", sagte die ZHAW-Forscherin Regina Betz. Weltweit würden heute alle neu gebauten Atomkraftwerke auf unterschiedliche Weise vom Staat unterstützt. Zwar sind die Betriebskosten eines AKW laut der Fachfrau in der Regel zwar gering. Der Bau sei aber mit hohen Investitionskosten verbunden. Gleichzeitig seien die Erlöse in einem liberalisierten und zukünftig von erneuerbaren Energien dominierten Strommarkt unklar, insbesondere im Sommer.
Laut Betz gibt es dabei aber grosse Unsicherheiten: Unklar sei etwa, ob es Verzögerungen im Bau gebe oder wie lange die AKW betrieben werden könnten. Zudem sei das EU-Stromabkommen von zentraler Bedeutung für die Planung des Stromsystems allgemein und der Kernenergie im Speziellen. Die Verhandlungen dazu wurden im Dezember 2024 zwischen der Schweiz und der EU abgeschlossen. In den kommenden Jahren müssen die Abkommen von der Schweiz ratifiziert werden, einschliesslich des parlamentarischen Entscheidungsprozesses und voraussichtlich einer oder mehrerer Volksabstimmungen.
Small Modular Reactors ab erster Hälfte der 2030er-Jahre
Die Vorteile der Kernkraft liegen den Forschenden zufolge auf der Hand: Kernkraft ist CO2-arm, benötigt wenig Raum und Material pro Kilowattstunde und liefert, auch im Winter, zeit- und witterungsunabhängig Strom. Schwere Unfälle können zwar schwere Schäden anrichten, sind laut den Experten aber sehr unwahrscheinlich. So werden derzeit weltweit grosse Atomkraftwerke der Generation Drei gebaut. Für einen Neubau mit einem Investitionsentscheid bis Mitte der 2030er Jahre rechnen die Forscherinnen und Forscher damit, dass auch in der Schweiz ein Kraftwerk dieses Typs gebaut würde. Diese seien um Faktor 10 bis 100 sicherer als bisherige Kraftwerke, hielt Andreas Pautz vom Paul Scherrer Institut und der EPFL an der Konferenz fest.
Einzelne kleine modulare Reaktoren, sogenannte SMR (Small Modular Reactors)
der Generation Drei werden vermutlich ab der ersten Hälfte der 2030er
Jahre zur Verfügung stehen. Aber selbst wenn dies in den nächsten Jahren
passieren würde, würde man vermutlich bis 2035 keine belastbaren
Aussagen über die Wirtschaftlichkeit dieser Anlagen haben, so Pautz. Bei Anlagen der Generation IV, die auf neuen Reaktordesigns
basieren, gibt es noch grosse Unsicherheiten hinsichtlich Technologie
und Wirtschaftlichkeit. (sda/mai)