Marco Kunz: Der Sänger, der von der Baustelle kam
Mit seiner Maurerlehre hat Marco Kunz einst das Fundament seiner Karriere gelegt. Mit seinem Herzensprojekt bringt der Mundart-Topstar Andere zum Singen.

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Vom Maurer zum Mundart-Popstar: Marco Kunz im Rampenlicht auf der Bühne in Brig.
Das Projekt «Jetzt singe mer eis» des bekannten Mundart-Sängerstars Kunz ist eine Sammlung traditioneller Schweizer Volkslieder. Dahinter steht ein grosses Anliegen: Er möchte verhindern, dass dieser Teil des hiesigen Kulturguts verloren geht. Und mehr noch: Die Menschen sollen wieder vermehrt gemeinsam singen. Dem Baublatt erzählt der 39-Jährige, wie er dank seiner Tätigkeit auf dem Bau seinen Traum, Musiker zu werden, überhaupt erst verwirklichen konnte - und warum er im Ausland Baustellen-Sightseeing betreibt.
Ohne seine Zeit auf dem Bau hätte Marco Kunz seinen Lebenstraum wohl nicht realisieren können. Er stammt aus einfachen Verhältnissen. Was er von Zuhause aber mitbekommen habe, sei der unbändige Wille, Musiker zu werden. «Wenn du 16 Jahre alt bist, musst du deine Sachen selbst bezahlen», lautete die klare Ansage seiner Eltern. Also musste eine Lehre her. Kunz' Vater war Maurer – warum also nicht auch eine Maurerausbildung machen, habe er sich gedacht. Die insgesamt zehn Jahre auf dem Bau prägten den Luzerner: «Die Arbeit war extrem streng. Ich habe gelernt, wie man etwas durchzieht», sagt er heute im Rückblick. «Und: dass man sich seine Herzenswünsche nicht ausreden lassen sollte.» Seine Kollegen auf der Baustelle hätten ihn damit natürlich oft geneckt und aufgezogen. «Immer wieder hat es geheissen: ‹Ah, da kommt ja der Sänger.› Ich habe nur geantwortet: ‹Wartet nur.› Belächelt zu werden, motiviert mich erst recht – das war schon als Kind so.»
Bei ihm daheim singen schon alle
Tatsächlich gehört Kunz heute zu den gefragtesten
Mundartsängern des Landes. Das gemeinsame Singen mit seiner Familie sei für ihn selbstverständlich. Seine Ehefrau singe ebenfalls gerne, und im Wohnzimmer
stehe ein Klavier. «Meine Tochter singt den ganzen Tag und denkt sich bereits
eigene Lieder aus», erzählt er während des Mittagessens. Das Wiederbeleben
des Singens in Schweizer Stuben beschäftige ihn schon
seit einiger Zeit, sagt der «Chliini Händ»-Sänger.

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Mundartmusiker Kunz freut sich über das positive Echo auf sein Schweizer Volkslieder-Projekt.
«Angefangen hat es an der Feier zum 60. Geburtstag einer Bekannten. Nach dem Essen haben sie ein Klavier reingeschoben.» Die Gäste – meist über 50 Jahre alt – sangen gemeinsam die ihnen vertrauten Lieder. Auch Kunz' Frau stimmte voller Begeisterung mit ein. «Da habe ich realisiert, dass ich kaum die Hälfte der Schweizer Volkslieder kenne, und wollte sie mir nach dem Fest anschauen.» Doch Fehlanzeige: «Ich habe kaum gute Aufnahmen gefunden, oder wenn, dann nur Texte ohne Noten und Melodien.» Das könne doch nicht sein, habe er sich gesagt.» Doch genau so war es. Deshalb entschied Kunz kurzerhand, eine Sammlung von Schweizer Volksliedern zu erstellen – oder zumindest damit zu beginnen. Die Idee: Jeder und jede soll nachsehen, reinhören und mitsingen können, was ihm vielleicht noch leise aus der Schulzeit im Ohr klingt. Die jüngeren Generationen können dabei völlig neue Melodien entdecken.
Von Schule und Gesellschaft
Der Grund, warum Schweizer Volkslieder in Vergessenheit zu geraten drohen, liegt laut Kunz darin, dass heute kaum mehr selbstverständlich gemeinsam gesungen wird. «Das hängt stark mit der Schule und den Eltern zusammen, die zu Hause mit ihren ein, zwei Kindern selten musizieren», sagt der 39-Jährige. «Früher hatte man mehr Kinder, keinen Fernseher – wenn einem langweilig war, wurde man aktiv und hat etwas gemacht, zum Beispiel Singen.» Der heutige Umgang mit Kultur sei oft passiv: Man höre Musik, schaue fern, lasse sich berieseln. «Wenn wir Leute dazu bewegen können, aktiver zu werden, ist das grossartig. Aktivität tut jedem gut. Couchpotatoes gibt es schon genug.»

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Mundartsänger Kunz ist es ein grosses Anliegen, dass die Menschen wieder vermehrt gemeinsam singen.
Auch in den Schulen verschwänden die Volkslieder zunehmend aus dem Unterricht, führt der zweifache Vater aus: «Viele Lehrpersonen spielen kein Instrument mehr. Die Kinder haben eine Musikstunde pro Woche, und das war’s.» Bedauerlicherweise werde Musik heutzutage als Einzelfach betrachtet. «Zu meiner Zeit haben wir mit der Klassenlehrperson immer wieder zwischendurch Volks- und andere Lieder gesungen.» Diese Entwicklung sei einer der Gründe dafür, dass sich viele Menschen zu singen schämten – als Kinder, Jugendliche und erst recht als Erwachsene.
Eine Datenbank zum Mitmachen
Vor Kurzem hat Kunz mit seinen drei Mitstreitern des Projekts «Jetzt singe mer eis» das dritte von vier Alben mit Schweizer Volksliedern veröffentlicht – das vierte erscheint diesen Herbst. In einem Kraftakt haben die Beteiligten Melodien und Texte zusammengetragen und die Lieder mit befreundeten Musikern neu eingespielt. «Bei vielen Volksliedern gibt es bis zu sieben Quellen – das ‹Buurebüebli› ist so ein Beispiel: In Bern sind die Strophen anders als im Zürcher Oberland» , berichtet er. «Es war viel Arbeit, sich auf eine Version zu einigen» Verdient haben die vier Initianten ungeachtet des grossen Aufwands nichts – sie arbeiteten allesamt ehrenamtlich. Damit wenigstens die Unkosten gedeckt sind, haben sie einen Verein gegründet und so Zugang zu Stiftungsgeldern erhalten. Kunz war es wichtig, dass zumindest die Musiker, die bei den Neuaufnahmen mitgewirkt haben, fair entlöhnt werden.

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«Jetzt singe mer eis» - an den Konzerten wird das Motto des Projekts – wie hier in Brig 2023 – in die Tat umgesetzt. Kinder und Erwachsene kommen mit Texten und Noten, und singen mit.
Wer möchte, kann sich die Alben, für die Kunz und über 30 Musikschaffende aus der ganzen Schweiz die Volkslieder neu einspielten, einfach anhören. Zu jedem Album gehört aber auch ein Set mit Noten und Liedtexten in Buchform sowie zwei im Buch beiliegenden CDs: eine mit Playback zum Mitsingen, die andere mit Instrumentalversionen. Diese sind für alle gedacht, welche die Lieder bereits beherrschen und sich freuen, wenn Musik ihren Gesang begleitet.. Das ganze Material ist frei zugänglich auf der Website www.jetzsingemereis.ch. Wer ein Volkslied kennt, das in der Sammlung fehlt, kann es einreichen und so zu deren Erweiterung beitragen.
Die Rückmeldungen zum Projekt seien durchwegs positiv, sagt Kunz. Schulen zeigten Interesse, das gemeinsame Singen von Schweizer Volksliedern wieder im Unterricht zu verankern. Auch in vielen Familien werde wieder zusammen gesungen.
«Gemeinsam Singen macht glücklich»
Im Herbst geht die «Jetzt singe mer eis»-Band bereits zum zweiten Mal mit den Volksliedern auf Tour. Er wünsche sich, dass Publikum und Band gemeinsam singen – und dabei erleben würden, wie gut es tue, in der Gruppe zu trällern. «Es ist erwiesen, dass Singen einen fröhlich stimmt – Glückshormone werden freigesetzt», erklärt er. «Gemeinsames Singen stärkt ausserdem den Zusammenhalt. Es hat nur positive Effekte und ist auch noch kostenlos.» In einer Zeit, in der sich viele voneinander entfernen und jeder für sich lebe, brauche es verbindende Erlebnisse – Dinge, die man zusammen tun und gemeinsam erfahren könne.

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Marco Kunz im Kreise seiner Mitinitianten von «Jetzt singe mer eis»: Sacha Ischi, Christoph Pfändler und Manuel Römer (von oben links im Uhrzeigersinn).
Am meisten Freude an den Konzerten von «Jetzt singe mer eis» haben Kunz zufolge ältere Menschen – sie kennen die Lieder noch. Gleich nach ihnen in der Begeisterungs-Wertung: die Generation ihrer Enkel, die sich rasch begeistern liessen, weil die Melodien eingängig und die Texte verständlich seien. «Ich bin sehr glücklich, dass das Projekt aufgegangen ist», kommentiert der Sänger. «Es war mir ein Anliegen, dass das Schweizer Liedgut frei zugänglich ist. Die Leute sollen Freude daran haben.»
Immer noch Bau-Blut in den Adern
Seine Leidenschaft fürs Bauen hat Marco Kunz
übrigens nie abgelegt. So zersägte er den Swiss Music Award, mit dem er 2023
ausgezeichnet wurde, in seinem ehemaligen Lehrbetrieb, damit jedes Mitglied der
Kunz-Band – nicht zu verwechseln mit der «Jetzt singe mer eis»-Formation – ein
Stück der Trophäe erhält. «Mein Lehrlingsausbildner Franz hat gesagt: ‹Ich hätte
nicht gedacht, dass du das durchziehst – das ist schon toll.›» Auch seine
früheren Arbeitskollegen vom Bau beglückwünschen Kunz, dass er es geschafft
hat. «Es ist wunderschön, wenn sich Leute mit dir freuen», sagt der Sänger dazu.
Obwohl Kunz jetzt Musiker ist - das Thema Bauen begleitet ihn weiterhin. Fährt er etwa in die Ferien, beobachtet er gerne, wie in anderen Ländern gebaut wird: «In Indonesien arbeiten sie barfuss oder in Flipflops, die Gerüste bestehen teilweise nur aus einer Stange, auf der sie balancieren – das ist ein Schauspiel.» Und das Haus, in dem er heute mit seiner Familie lebt, konnte er dank seiner Bauerfahrung zu grossen Teilen selbst errichten – mit Unterstützung von Fachleuten und Freunden.
Bau und Musik – bei Kunz fliessen diese scheinbar gegensätzlichen Bereiche immer wieder ineinander.

Quelle: Michihuser - Eigenes Werk, wikimedia, CC BY-SA 4.0
Gefragter Interview-Gast: Marco Kunz vor dem Radio-Pilatus-Mikrofon.