Hightech-Denkmalpflege: Ewige Jugend für die Schatzalp
Historie trifft auf Augmented Reality: Die Geländer waren
in einem pitoyablen Zustand und entsprachen nicht mehr heutigen
Sicherheitsstandards. Deshalb hat das 125-jährige Hotel Schatzalp oberhalb von
Davos neue Balustraden erhalten. Möglich wurde dies dank ETH-Forschern, einer
lokalen Holzbaufirma und einem Start-Up der ETH.
Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht
Obwohl die neuen Balustraden ein neues Design haben und anders daher kommen, fügen sie sich harmonisch ins Gesamtbild des Hotels ein. «Manche Gäste haben die neuen Balustraden gar nicht bemerkt. Das ist aus denkmalpflegerischer Sicht der Idealfall», sagt Silke Langenberg in Davos.
Ewige Jugend – wer wünscht sie sich nicht? Für das berühmte
Hotel Schatzalp in Davos kommt sie zumindest einen Schritt näher: Vor Kurzem
wurden die neuen Aussengeländer feierlich eingeweiht. Die Idee dazu kam
Mitbesitzer Pius App bereits 2014: Damals, während den Dreharbeiten zum Film
«Ewige Jugend». Der Film mit Hollywood-Grössen wie Michael Keane und Harvey
Keitel spielte zu einem grossen Teil im Hotel Schatzalp. Dass sich einer der
Protagonisten im Film über die Geländer und in den Tod stürzt, inspirierte den
Hotel-Mitbesitzer. Er realisierte, dass die Geländer in der Tat nicht nur eine
Erhöhung, sondern eine generelle Anpassung an heutige Standards nötig hatten.
So gelangte er an die ETH und an die Spezialistin in Sachen Denkmal, Silke
Langenberg. Sie ist Professorin für Konstruktionserbe und Denkmalpflege an
der ETH Zürich. Zusammen mit den beiden Architekturprofessoren Matthias Kohler
und Fabio Gramazio von der Gramazio Kohler Research begann sie, nach Lösungen
für einen Ersatz der alten Balustraden zu suchen.
Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht
Führten das Baublatt durchs Hotel: Silke Langenberg und Matthias Kohler von der ETH Zürich.
Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht
Sie alle machten es möglich: Das Team um die Architekturprofessoren Langenberg, Kohler und Gramazio, die beiden Eigentümer Pius App und Jessica Schmid, die Crew von «Incon.ai» sowie die Mannschaft der Davoser Holzbaufirma Künzli Davos AG.
Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht
Die Detailaufnahme zeigt die miteinander verbundenen Geländerstreben. Dank der modularen Bauweise können alle Elemente des Geländers einzeln ersetzt oder repariert werden.
Veränderung als Konstante
Sie stellten fest: Die Aussengeländer des Hotel Schatzalp in
Davos waren in einem desolaten Zustand. Schnell wurde daher deutlich, dass eine
Sanierung nicht infrage kam. Die Geländer waren nicht nur beschädigt, sondern
auch zu niedrig. Eine herkömmliche Renovation hätte daher nicht genügt – sie
hätte gleichzeitig auch eine Erhöhung erforderlich gemacht. Dies gab den
Architekturforschern die Möglichkeit, mit dem Ersatz «ein neues Design
reinzubringen», wie Silke Langenberg vor Ort erklärt. Das Hotel hat in seiner
125-jährigen Geschichte schon die eine oder andere Veränderung erfahren. So
wurde in den 1940er Jahren nachträglich ein Einbau weiterer Loggien vorgenommen
– damit mehr Gäste während ihres Aufenthaltes in der Kur die Sonne geniessen
konnten. «Das typische Bild der Schatzalp, wie wir es heute kennen – mit ihren
über die ganze Südfassade durchgehenden Loggien – gibt es erst seit Ende der
1940er Jahre», erläutert sie weiter.
Quelle: ETH Zürich / Lais Hotz
Beim Einbau der neu gefertigten Balustraden. Zum Vergleich: Die alten Balustraden rechts im Bild. Ein wichtiges Kriterium beim Design der Balustraden war auch die Durchsicht respektive Privatsphäre: Während die Gäste, welche auf den Liegestühlen liegen, die Aussicht geniessen möchten, soll die Privatsphäre gewahrt bleiben wenn jemand von unten hochschaut.
Wenn Forschung, Technik und Handwerk zusammenspannen
Wie Matthias Kohler ausführt, habe man zuerst ein für
digitale Entwürfe typisches parametrisches Modell aufgebaut: Damit lässt sich
ein Entwurf mittels eines Schiebereglers jederzeit an die jeweilige Grösse des
einzelnen Modells anpassen. Dies war auch dringend nötig, denn es zeigte sich
schnell, dass die Geländer aufgrund ihrer unterschiedlichen Bauzeiten nicht
einheitlich konstruiert waren und sich in ihren Verbindungen und Anschlüssen
unterschieden. In einem späteren Schritt wurden 3DModelle generiert und zum
Testen der Aussenwirkung verwendet. Schlussendlich gab es drei Prototypen.
Das Team hat sich dann unter anderem mit der kantonalen Denkmalpflege
zusammengesetzt und abgestimmt und schliesslich das Siegermodell erkoren. Die
Denkmalpflege des Kantons Graubünden war von Anfang an in den Prozess
involviert. Das gewählte Modell ist gemäss Matthias Kohler eine «Re-Interpretation»,
welche sich der Optik des Hotels anpasst. Kohler stellt klar, dass es wichtig
war, einen lokalen Holzbauer für die Realisation der Geländer zu finden.
Fündig wurden sie bei der Firma Künzli Davos AG. Die Zimmerleute wurden dabei vom ETH-Spin-off Incon.ai unterstützt. Mithilfe der Augmented-Reality-Technologie des Start-ups konnten sie die einzelnen Bauteile deutlich einfacher anfertigen: Ein an der Decke der Werkstatt in Davos montierter Beamer projizierte das 3D-Modell der Geländerelemente direkt auf die Arbeitsfläche. So konnten die Handwerker genau erkennen, wo jedes Teil platziert werden musste und wie die Elemente zusammenzufügen waren. Das Resultat sind 93 einzigartige Balustraden, die aus mehr als 5300 Holzelementen bestehen, handgefertigt mithilfe eben jener visonären Augmented-Reality-Technologie. Der Clou: Anders als die teilweise 125-jährigen Vorgänger lassen sich die neuen Geländerelemente ganz einfach warten und reparieren. Denn: Sowohl die Balustraden selbst als auch die einzelnen Elemente wie die Streben oder der Handlauf können abgebaut oder ausgetauscht werden, ohne dass andere Teile ersetzt werden müssen. Dies wird durch Schraubverbindungen und den Verzicht auf Klebemittel realisiert.
Quelle: ETH Zürich / Lais Hotz
Schlägt eine Brücke zwischen Technologie und Handwerk: Das Projekt wurde mittels Augmented Reality realisiert. Was das genau bedeutet, wird auf dem Bild ersichtlich: Ein Beamer projiziert die Struktur des Geländers, ein Zimmermann schraubt die Konstruktion entsprechend zusammen.
Schatzalp: Theorie trifft auf Praxis
Seit 2015 beschäftigt sich Silke Langenberg immer wieder
aufs Neue mit der Schatzalp. So hat sie im Rahmen ihrer Professur
beispielsweise bereits zweimal eine Seminarwoche unter dem Namen «Repair
Schatzalp» durchgeführt. Dabei lernen und erarbeiten Architekturstudierende
während einer Woche Instandhaltung und Reparatur in der Architektur direkt vor
Ort. Als Resultat wird das Hotel Stück für Stück saniert – so hat
beispielsweise das alte Chefarzt-Zimmer bereits neues Leben eingehaucht
bekommen oder auch diverse Gästezimmer, welche in neuem Glanz erstrahlen.
Das Projekt verknüpft die Lehre der Denkmalpflege, der Konstruktion und der
Nachhaltigkeit mit dem architektonischen Entwurf.
Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht
Zimmer 216: Eines der Zimmer, welches die Architekturstudierenden der ETH Zürich im Rahmen ihrer Seminarwoche restauriert und ganz im Stile vergangener Zeiten ein- und hergerichtet haben.
Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht
Wie eine Reise in die Vergangenheit: Das ehemalige «Chefarzt-Zimmer» wie es heute noch genannt wird, wurde ebenfalls von der ETH aufgefrischt und dient heute sowohl als Lesezimmer wie auch als Raum für Vorträge oder Treffen.
Geländerkonstruktion mit Hürden
Trotz der erfolgreichen Zusammenarbeit und der Balustraden,
welche sich sehen lassen können: Während der Projektphase (2021–2025) gab es
die eine oder andere Stolperfalle. Wie Matthias Kohler ausführt, war eine der
grössten Herausforderungen die Lattengrösse der Streben. Einerseits soll der
Gast von der Loggia aus herausschauen können – und dies auch auf dem Liegestuhl
liegend – andererseits soll die Loggia von unten nicht einsehbar sein, um die
Privatsphäre der Hotelgäste zu wahren. Die Streben mussten also leicht, offen
und gleichzeitig zugänglich wirken und durften nicht allzu gross oder breit
sein. Silke Langenberg ergänzt: Dass beim Übergang von der Balustrade zum
Betonmonument keine Erhöhung möglich war, habe die Ausgangslage nicht
vereinfacht. Was die Produktion zusätzlich erschwerte: Für ein Geländer gab es
drei verschiedene Radien zu beachten, je nach Modell.
Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht
Eine zentrale Herausforderung: uneinheitliche Geländerdimensionen. Die gerundete Brüstung wurde bewusst erhalten, um das Erscheinungsbild zu wahren. Eine Begradigung hätte den Handlauf über das Mauerwerk hinausragen lassen.
Nach Abschluss der Bauarbeiten ist sich Langenberg sicher, dass dies nicht die letzte Baustelle war. Wie sie lachend erklärt, seien nun mit den schönen neuen Holzgeländern die renovationsbedürftigen Strukturen rundherum umso augenscheinlicher. Sie führt aus: «Wenn man vor dem Gebäude steht, kann man die viele Veränderungen, die in all den Jahren an der Fassade vorgenommen wurden, noch ablesen.» Als nächstes dürfte wohl also die Betonstruktur eine Verjüngungskur erhalten und so dem Berghotel in seiner Mission zur ewigen Jugend weiter verhelfen.
Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht
So schön die neuen Balustraden sind, so deutlich zeigen sie auf, wo weiteres Renovierungspotential besteht: Das Betonmauerwerk und die Struktur um die Balustraden sind wohl als Nächstes dran.
Vom Sanatorium zum Hotel
Erbaut wurde das Hotel Schatzalp einst als Sanatorium.
Initiiert vom Unternehmer Willem Jan Holsboer und erbaut von den beiden Zürcher
Architekten Otto Pfleghard und Max Haefeli in den Jahren 1898 – 1900. Ab
Dezember 1900 konnten sich wohlhabende Patienten ihrer Genesung widmen und in
der frischen Bergluft auskurieren. Erst kurz zuvor war die Schatzalp-Bahn in
Betrieb gegangen, bereits seit 1894 hatte Willem Jan Holsboer die verschiedenen
Möglichkeiten einer Zubringerbahn erkundet. Unglücklicherweise blieb ihm sowohl
die Eröffnung des Sanatoriums als auch die Inbetriebnahme der Bahn verwehrt: Er
verstarb krankheitsbedingt 1898. In der «Heilanstalt für Lungenkranke» konnten
vor allem Lungenentzündungen und Tuberkulose behandelt werden, aber auch die
Behandlung weiterer Krankheitsbilder gehörte zum Repertoire. Schnell machte
sich das Sanatorium über die Landesgrenzen hinaus einen Namen. «Die Schatzalp
war von Anfang an ihrer Zeit voraus», wie Silke Langenberg in Davos
sagt. Der Schatzalp-Bau gehörte zu den ersten Gebäuden in Graubünden, die
in Stahlbeton-Bauweise errichtet wurden, und setzte in mehrfacher Hinsicht neue
Massstäbe: Neben modernen baulichen und technischen Lösungen wie Flachdach,
Stahlbetonkonstruktion, fortschrittlicher Sanitärinstallation und Bodenheizung
überzeugte das Haus auch durch ein neuartiges, zukunftsweisendes therapeutisches
Konzept. Erst ab 1953 wandelte sich das Sanatorium zum Berghotel. Und setzt
jetzt erneut Massstäbe, diesmal in puncto technischer Innovation und Baukunst.
Quelle: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / PK_011272
Winteransicht des Hotels Schatzalp vor 1915. Im Gegensatz zu heute hatten damals nur einige der südseitig zum Tal hin orientierten Zimmer eine Loggia – inzwischen ist jedes dieser Südzimmer damit ausgestattet.
Die Schatzalp als Zauberberg
Bereits in ihren frühen Jahren wurde die Schatzalp
nicht nur wegen ihrer therapeutischen Einrichtungen, sondern auch darüber
hinaus weithin bekannt. Mit seinem Roman «Zauberberg» rückte Thomas Mann das
Luxus-Sanatorium in den Schweizer Alpen ins Rampenlicht. Inspiriert wurde er
durch seine Frau Catia; diese war für ein halbes Jahr im Sanatorium, um ein
Lungenleiden auszukurieren. Während seinen Besuchen erzählte sie ihm von den
Gästen, welche der Schriftsteller wiederum zu Romanfiguren umwandelte. Der
Roman ist 1924 erschienen und erzählt von einem jungen angehenden Ingenieur,
kurz vor dem Ausbruch des ersten Weltkriegs. Während seines Aufenthalts in
einem abgeschiedenen Sanatorium in den Alpen begegnet er einer Reihe
weltfremder Gestalten, die ihn mit Themen wie Politik, Philosophie, Liebe,
Krankheit und Tod in Berührung bringen. Der Roman wurde zum internationalen
Erfolg und gilt bis heute als eines der bedeutendsten Werke Thomas Manns. Er
hatte mit dem Schreiben des Werkes vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges
begonnen und die Arbeiten dazu während des Krieges unterbrochen. Nach Ende des
Krieges und mit Beginn der neu formatierten Weimarer Republik vollzog Thomas
Mann eine grundlegende politische Selbstrevision und der «Zauberberg» ist
Zeugnis dieser intellektuellen Entwicklung des Autors. Wie einst im
«Zauberberg» verschmelzen auf der Schatzalp Wirklichkeit und Idee – ein Ort,
der nicht altert, sondern sich mit jeder Erneuerung selbst neu erfindet.
Wer sich vom Berghotel Schatzalp ein genaueres Bild machen
möchte, findet auf der Webseite des Hotels mehr Infos zur bewegten Geschichte: Schatzalp.
Quelle: ETH Zürich / Lais Hotz
Bekannt aus Film und Literatur: Das heutige Berghotel und frühere Sanatorium Schatzalp verkörpert das Sehnsuchtsgefühl und die Mystik der Alpenwelt wie fast kein anderes.