08:59 BAUPRAXIS

Hightech-Denkmalpflege: Ewige Jugend für die Schatzalp

Geschrieben von: Corinne Pitsch-Obrecht (cpo)
Teaserbild-Quelle: ETH Zürich / Lais Hotz

Historie trifft auf Augmented Reality: Die Geländer waren in einem pitoyablen Zustand und entsprachen nicht mehr heutigen Sicherheitsstandards. Deshalb hat das 125-jährige Hotel Schatzalp oberhalb von Davos neue Balustraden erhalten. Möglich wurde dies dank ETH-Forschern, einer lokalen Holzbaufirma und einem Start-Up der ETH.

Schatzalp_ Frontansicht

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Obwohl die neuen Balustraden ein neues Design haben und anders daher kommen, fügen sie sich harmonisch ins Gesamtbild des Hotels ein. «Manche Gäste haben die neuen Balustraden gar nicht bemerkt. Das ist aus denkmalpflegerischer Sicht der Idealfall», sagt Silke Langenberg in Davos.

Ewige Jugend – wer wünscht sie sich nicht? Für das berühmte Hotel Schatzalp in Davos kommt sie zumindest einen Schritt näher: Vor Kurzem wurden die neuen Aussengeländer feierlich eingeweiht. Die Idee dazu kam Mitbesitzer Pius App bereits 2014: Damals, während den Dreharbeiten zum Film «Ewige Jugend». Der Film mit Hollywood-Grössen wie Michael Keane und Harvey Keitel spielte zu einem grossen Teil im Hotel Schatzalp. Dass sich einer der Protagonisten im Film über die Geländer und in den Tod stürzt, inspirierte den Hotel-Mitbesitzer. Er realisierte, dass die Geländer in der Tat nicht nur eine Erhöhung, sondern eine generelle Anpassung an heutige Standards nötig hatten. So gelangte er an die ETH und an die Spezialistin in Sachen Denkmal, Silke Langenberg. Sie ist Professorin für Konstruktionserbe und Denkmalpflege an der ETH Zürich. Zusammen mit den beiden Architekturprofessoren Matthias Kohler und Fabio Gramazio von der Gramazio Kohler Research begann sie, nach Lösungen für einen Ersatz der alten Balustraden zu suchen.  

Schatzalp_ ETH

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Führten das Baublatt durchs Hotel: Silke Langenberg und Matthias Kohler von der ETH Zürich.

Schatzalp_ Team

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Sie alle machten es möglich: Das Team um die Architekturprofessoren Langenberg, Kohler und Gramazio, die beiden Eigentümer Pius App und Jessica Schmid, die Crew von «Incon.ai» sowie die Mannschaft der Davoser Holzbaufirma Künzli Davos AG.

Schatzalp_ Nahaufnahme

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Die Detailaufnahme zeigt die miteinander verbundenen Geländerstreben. Dank der modularen Bauweise können alle Elemente des Geländers einzeln ersetzt oder repariert werden.

Veränderung als Konstante

Sie stellten fest: Die Aussengeländer des Hotel Schatzalp in Davos waren in einem desolaten Zustand. Schnell wurde daher deutlich, dass eine Sanierung nicht infrage kam. Die Geländer waren nicht nur beschädigt, sondern auch zu niedrig. Eine herkömmliche Renovation hätte daher nicht genügt – sie hätte gleichzeitig auch eine Erhöhung erforderlich gemacht. Dies gab den Architekturforschern die Möglichkeit, mit dem Ersatz «ein neues Design reinzubringen», wie Silke Langenberg vor Ort erklärt. Das Hotel hat in seiner 125-jährigen Geschichte schon die eine oder andere Veränderung erfahren. So wurde in den 1940er Jahren nachträglich ein Einbau weiterer Loggien vorgenommen – damit mehr Gäste während ihres Aufenthaltes in der Kur die Sonne geniessen konnten. «Das typische Bild der Schatzalp, wie wir es heute kennen – mit ihren über die ganze Südfassade durchgehenden Loggien – gibt es erst seit Ende der 1940er Jahre», erläutert sie weiter. 

Schatzalp- Installation

Quelle: ETH Zürich / Lais Hotz

Beim Einbau der neu gefertigten Balustraden. Zum Vergleich: Die alten Balustraden rechts im Bild. Ein wichtiges Kriterium beim Design der Balustraden war auch die Durchsicht respektive Privatsphäre: Während die Gäste, welche auf den Liegestühlen liegen, die Aussicht geniessen möchten, soll die Privatsphäre gewahrt bleiben wenn jemand von unten hochschaut.

Wenn Forschung, Technik und Handwerk zusammenspannen

Wie Matthias Kohler ausführt, habe man zuerst ein für digitale Entwürfe typisches parametrisches Modell aufgebaut: Damit lässt sich ein Entwurf mittels eines Schiebereglers jederzeit an die jeweilige Grösse des einzelnen Modells anpassen. Dies war auch dringend nötig, denn es zeigte sich schnell, dass die Geländer aufgrund ihrer unterschiedlichen Bauzeiten nicht einheitlich konstruiert waren und sich in ihren Verbindungen und Anschlüssen unterschieden. In einem späteren Schritt wurden 3DModelle generiert und zum Testen der Aussenwirkung verwendet. Schlussendlich gab es drei Prototypen. Das Team hat sich dann unter anderem mit der kantonalen Denkmalpflege zusammengesetzt und abgestimmt und schliesslich das Siegermodell erkoren. Die Denkmalpflege des Kantons Graubünden war von Anfang an in den Prozess involviert. Das gewählte Modell ist gemäss Matthias Kohler eine «Re-Interpretation», welche sich der Optik des Hotels anpasst. Kohler stellt klar, dass es wichtig war, einen lokalen Holzbauer für die Realisation der Geländer zu finden.

Fündig wurden sie bei der Firma Künzli Davos AG. Die Zimmerleute wurden dabei vom ETH-Spin-off Incon.ai unterstützt. Mithilfe der Augmented-Reality-Technologie des Start-ups konnten sie die einzelnen Bauteile deutlich einfacher anfertigen: Ein an der Decke der Werkstatt in Davos montierter Beamer projizierte das 3D-Modell der Geländerelemente direkt auf die Arbeitsfläche. So konnten die Handwerker genau erkennen, wo jedes Teil platziert werden musste und wie die Elemente zusammenzufügen waren. Das Resultat sind 93 einzigartige Balustraden, die aus mehr als 5300 Holzelementen bestehen, handgefertigt mithilfe eben jener visonären Augmented-Reality-Technologie.  Der Clou: Anders als die teilweise 125-jährigen Vorgänger lassen sich die neuen Geländerelemente ganz einfach warten und reparieren. Denn: Sowohl die Balustraden selbst als auch die einzelnen Elemente wie die Streben oder der Handlauf können abgebaut oder ausgetauscht werden, ohne dass andere Teile ersetzt werden müssen. Dies wird durch Schraubverbindungen und den Verzicht auf Klebemittel realisiert.

Schatzalp_Fabrication

Quelle: ETH Zürich / Lais Hotz

Schlägt eine Brücke zwischen Technologie und Handwerk: Das Projekt wurde mittels Augmented Reality realisiert. Was das genau bedeutet, wird auf dem Bild ersichtlich: Ein Beamer projiziert die Struktur des Geländers, ein Zimmermann schraubt die Konstruktion entsprechend zusammen.

Schatzalp: Theorie trifft auf Praxis

Seit 2015 beschäftigt sich Silke Langenberg immer wieder aufs Neue mit der Schatzalp. So hat sie im Rahmen ihrer Professur beispielsweise bereits zweimal eine Seminarwoche unter dem Namen «Repair Schatzalp» durchgeführt. Dabei lernen und erarbeiten Architekturstudierende während einer Woche Instandhaltung und Reparatur in der Architektur direkt vor Ort. Als Resultat wird das Hotel Stück für Stück saniert – so hat beispielsweise das alte Chefarzt-Zimmer bereits neues Leben eingehaucht bekommen oder auch diverse Gästezimmer, welche in neuem Glanz erstrahlen.  Das Projekt verknüpft die Lehre der Denkmalpflege, der Konstruktion und der Nachhaltigkeit mit dem architektonischen Entwurf.  

Schatzalp_ Zimmer

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Zimmer 216: Eines der Zimmer, welches die Architekturstudierenden der ETH Zürich im Rahmen ihrer Seminarwoche restauriert und ganz im Stile vergangener Zeiten ein- und hergerichtet haben.

Schatzalp_ Chefarzt

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Wie eine Reise in die Vergangenheit: Das ehemalige «Chefarzt-Zimmer» wie es heute noch genannt wird, wurde ebenfalls von der ETH aufgefrischt und dient heute sowohl als Lesezimmer wie auch als Raum für Vorträge oder Treffen.

Geländerkonstruktion mit Hürden

Trotz der erfolgreichen Zusammenarbeit und der Balustraden, welche sich sehen lassen können: Während der Projektphase (2021–2025) gab es die eine oder andere Stolperfalle. Wie Matthias Kohler ausführt, war eine der grössten Herausforderungen die Lattengrösse der Streben. Einerseits soll der Gast von der Loggia aus herausschauen können – und dies auch auf dem Liegestuhl liegend – andererseits soll die Loggia von unten nicht einsehbar sein, um die Privatsphäre der Hotelgäste zu wahren. Die Streben mussten also leicht, offen und gleichzeitig zugänglich wirken und durften nicht allzu gross oder breit sein. Silke Langenberg ergänzt: Dass beim Übergang von der Balustrade zum Betonmonument keine Erhöhung möglich war, habe die Ausgangslage nicht vereinfacht. Was die Produktion zusätzlich erschwerte: Für ein Geländer gab es drei verschiedene Radien zu beachten, je nach Modell.  

Schatzalp_ Rund

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Eine zentrale Herausforderung: uneinheitliche Geländerdimensionen. Die gerundete Brüstung wurde bewusst erhalten, um das Erscheinungsbild zu wahren. Eine Begradigung hätte den Handlauf über das Mauerwerk hinausragen lassen.

Nach Abschluss der Bauarbeiten ist sich Langenberg sicher, dass dies nicht die letzte Baustelle war. Wie sie lachend erklärt, seien nun mit den schönen neuen Holzgeländern die renovationsbedürftigen Strukturen rundherum umso augenscheinlicher. Sie führt aus: «Wenn man vor dem Gebäude steht, kann man die viele Veränderungen, die in all den Jahren an der Fassade vorgenommen wurden, noch ablesen.» Als nächstes dürfte wohl also die Betonstruktur eine Verjüngungskur erhalten und so dem Berghotel in seiner Mission zur ewigen Jugend weiter verhelfen.  

Schatzalp_ Detail

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

So schön die neuen Balustraden sind, so deutlich zeigen sie auf, wo weiteres Renovierungspotential besteht: Das Betonmauerwerk und die Struktur um die Balustraden sind wohl als Nächstes dran.

Vom Sanatorium zum Hotel

Erbaut wurde das Hotel Schatzalp einst als Sanatorium. Initiiert vom Unternehmer Willem Jan Holsboer und erbaut von den beiden Zürcher Architekten Otto Pfleghard und Max Haefeli in den Jahren 1898 – 1900. Ab Dezember 1900 konnten sich wohlhabende Patienten ihrer Genesung widmen und in der frischen Bergluft auskurieren. Erst kurz zuvor war die Schatzalp-Bahn in Betrieb gegangen, bereits seit 1894 hatte Willem Jan Holsboer die verschiedenen Möglichkeiten einer Zubringerbahn erkundet. Unglücklicherweise blieb ihm sowohl die Eröffnung des Sanatoriums als auch die Inbetriebnahme der Bahn verwehrt: Er verstarb krankheitsbedingt 1898. In der «Heilanstalt für Lungenkranke» konnten vor allem Lungenentzündungen und Tuberkulose behandelt werden, aber auch die Behandlung weiterer Krankheitsbilder gehörte zum Repertoire. Schnell machte sich das Sanatorium über die Landesgrenzen hinaus einen Namen. «Die Schatzalp war von Anfang an ihrer Zeit voraus», wie Silke Langenberg in Davos sagt. Der Schatzalp-Bau gehörte zu den ersten Gebäuden in Graubünden, die in Stahlbeton-Bauweise errichtet wurden, und setzte in mehrfacher Hinsicht neue Massstäbe: Neben modernen baulichen und technischen Lösungen wie Flachdach, Stahlbetonkonstruktion, fortschrittlicher Sanitärinstallation und Bodenheizung überzeugte das Haus auch durch ein neuartiges, zukunftsweisendes therapeutisches Konzept. Erst ab 1953 wandelte sich das Sanatorium zum Berghotel. Und setzt jetzt erneut Massstäbe, diesmal in puncto technischer Innovation und Baukunst. 

Schatzalp-altes Bild

Quelle: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / PK_011272

Winteransicht des Hotels Schatzalp vor 1915. Im Gegensatz zu heute hatten damals nur einige der südseitig zum Tal hin orientierten Zimmer eine Loggia – inzwischen ist jedes dieser Südzimmer damit ausgestattet.

Die Schatzalp als Zauberberg

Bereits in ihren frühen Jahren wurde die Schatzalp nicht nur wegen ihrer therapeutischen Einrichtungen, sondern auch darüber hinaus weithin bekannt. Mit seinem Roman «Zauberberg» rückte Thomas Mann das Luxus-Sanatorium in den Schweizer Alpen ins Rampenlicht. Inspiriert wurde er durch seine Frau Catia; diese war für ein halbes Jahr im Sanatorium, um ein Lungenleiden auszukurieren. Während seinen Besuchen erzählte sie ihm von den Gästen, welche der Schriftsteller wiederum zu Romanfiguren umwandelte. Der Roman ist 1924 erschienen und erzählt von einem jungen angehenden Ingenieur, kurz vor dem Ausbruch des ersten Weltkriegs. Während seines Aufenthalts in einem abgeschiedenen Sanatorium in den Alpen begegnet er einer Reihe weltfremder Gestalten, die ihn mit Themen wie Politik, Philosophie, Liebe, Krankheit und Tod in Berührung bringen. Der Roman wurde zum internationalen Erfolg und gilt bis heute als eines der bedeutendsten Werke Thomas Manns. Er hatte mit dem Schreiben des Werkes vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges begonnen und die Arbeiten dazu während des Krieges unterbrochen. Nach Ende des Krieges und mit Beginn der neu formatierten Weimarer Republik vollzog Thomas Mann eine grundlegende politische Selbstrevision und der «Zauberberg» ist Zeugnis dieser intellektuellen Entwicklung des Autors. Wie einst im «Zauberberg» verschmelzen auf der Schatzalp Wirklichkeit und Idee – ein Ort, der nicht altert, sondern sich mit jeder Erneuerung selbst neu erfindet.

Wer sich vom Berghotel Schatzalp ein genaueres Bild machen möchte, findet auf der Webseite des Hotels mehr Infos zur bewegten Geschichte: Schatzalp.

Schatzalp_ETH-Bild

Quelle: ETH Zürich / Lais Hotz

Bekannt aus Film und Literatur: Das heutige Berghotel und frühere Sanatorium Schatzalp verkörpert das Sehnsuchtsgefühl und die Mystik der Alpenwelt wie fast kein anderes.

Geschrieben von

Redaktorin Baublatt

Begeistert von Bauprojekten aller Art. Weitere Interessensbereiche sind Geschichte, Politik, Management und Gesellschaft. Zudem ist sie für die Kolumnen zuständig und steht deshalb in Kontakt mit allen grossen Verbänden.

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