Wenn das Gezeitenkraftwerk mit Seilbahntechnik funktioniert
Eine Technik, die vor allem im Gebirge zum Einsatz kommt, soll der Stromerzeugung im Meer dienen: Zusammen mit einem Seilbahnbauer entwickelt ein Team der Hochschule München und der TU München ein Gezeitenkraftwerk, das von kleinen, an einem umlaufenden Seil befestigten Kites angetrieben wird, die sich mit Hilfe der Wasserströmung bewegen.

Quelle: Paul Zenner
Die Pilotanlage im Isarkanal.
Obwohl es dereinst an der Küste eingesetzt werden soll, fand der erste Testlauf des Gezeitenkraftwerks fernab vom Meer statt. Und zwar im Mittleren-Isar-Kanal, in der Nähe von Landshut: Nach zwei Jahren Vorbereitung wurde der rund 100 Kilo schwere und 18 Meter lange Prototyp Mitte September mit Hilfe eines Krans in der Nähe des Stauwehrs Hofham platziert. «Die Location bei Landshut war für den Funktionstest ideal», erklärt Robert Meier-Staude, Spezialist für Strömungsmechanik an der Hochschule München, der das Design und die Auslegung der Kites optimiert hat. «Die Strömungsgeschwindigkeit im Isar-Kanal beträgt konstante 0,6 Meter pro Sekunde, das ist vergleichbar mit den Bedingungen, die wir auch im Meer vorfinden.»
Weil der Schnee immer weniger wird
Auf den ersten Blick erinnert die Konstruktion an einen Skilift: Die Enden das Gestells sind mit Umlenk-Rollen versehen , über die ein Endlos-Seil läuft. An diesem sind wiederum– vergleichbar mit einem Bügel an einem Schlepplift – kleine Strömungsprofile befestigt, die sogenannten Kites. – Ein Zufall ist die Ähnlichkeit mit einem Skilift nicht: Denn die Köpfe hinter der Idee für das Projekt sind die Brüder Anton und Peter Glasl aus Wackersberg, Inhaber des einzigen deutschen Seilbahnbauers, der Enrope GmbH, sie haben sich vor allem auf Schlepplifte spezialisiert. «Da der Schnee immer weniger wird, muss man auch an die Zukunft denken» sagt Glasl im Video zum Vorprojekt. Er habe vor einigen Jahren die Idee gehabt, ob man mit einer Seilbahn nicht auch Energie erzeugen könne.
Video der Hochschule München zum Pilotprojekt.
Die Kites funktionieren als Motor des neuen Kraftwerks. «Anders als
beim Skilift, bei dem die Umlenkrollen angetrieben werden, um das Seil
zu bewegen, wollten wir die Bewegung des Seils nutzen, um an den
Umlenkrollen mit Hilfe von Generatoren Strom zu gewinnen», führt
Meier-Staude aus. Und so sind Kites mit Hilfe von Simulationen auch
entsprechend geformt worden, sodass stabil im Wasser liegen und die
Strömung effizient in Vortrieb umsetzen können. Überdies wurde ihr
Design so angelegt, dass sie sich günstig herstellen lassen.
Fliegen unter Wasser im Isarkanal
Wie der Praxistest laut TU München nun bewiesen hat, entspricht das Design der Kites tatsächlich den Erwartungen: «Die Auswertungen zeigen, dass sich die Kites tatsächlich stabil in der Strömung ausrichten und mit bis zu 1,5 Meter pro Sekunde durchs Wasser fliegen», sagt Meier-Staude. Dass er das Wort «fliegen» benutzt obwohl die Bewegung unter Wasser stattfindet, liegt daran, dass sich die Strömungsdynamik grundsätzlich nicht von derjenigen in der Luft unterscheidet – nur ist Wasser etwa tausend Mal dichter. Damit können die Kites um den Faktor 1000 kleiner sein als ein Flügel in der Luft, der die gleiche Energie oder Leistung erzeugt. – Die Test-Kites des Prototypen sind nur einen Meter lang und 20 Zentimeter breit. In einem «richtigen», etwa fünf Mal grösseren Gezeitenkraftwerk, wären sie dann auch entsprechend grösser.
«Der
Test des Prototyps hat jetzt gezeigt, dass ein Gezeitenkraftwerk mit
Seilbahntechnik grundsätzlich realisierbar ist», resümiert Meier-Staude.
«Damit könnte die Technik einen Beitrag leisten zur Energiewende in
Europa». (mai/mgt)