Hilfsprojekt in Griechenland: Qualifizieren für den Arbeitsmarkt
Der Maurerpolier Simon Bader und seine Frau, die Sozialarbeiterin Julia Minder, haben auf der griechischen Insel Samos die «Skills Factory» gegründet: ein Ort, wo Flüchtlinge arbeiten und ihr eigenes Know-how einbringen können.
Quelle: selfm-aid.ch
Ein Armierungsnetz wird auf die benötigte Grösse zugeschnitten, um dann den Beton einzubringen.
Im geschlossenen Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Samos ist das Leben so elend wie eintönig. Die Menschen haben den ganzen Tag nichts zu tun und warten auf den nächsten Termin in ihrem Asylverfahren. Dieser kann in drei Stunden oder zwei Wochen sein. Der Maurerpolier Simon Bader und seine Frau Julia Minder, die Sozialarbeiterin ist, wollen der Monotonie und den Gefühlen der Leere und Hoffnungslosigkeit etwas entgegensetzen: einen Ort, an dem Flüchtlinge arbeiten, ihr Know-how einbringen und so Selbstvertrauen gewinnen können.
Wie in einem Bienenhaus
2021 gründete das Ehepaar den Verein «selfm-aid.ch» und mietete auf der griechischen Insel ein über hundertjähriges Steinhaus mit einem grossen Garten. Das Gelände wurde zur «Skills Factory» umfunktioniert, diese wiederum in zwölf Departemente unterteilt. Da gibt es das Bau- und Holzdepartement, eine Schneiderei, eine Werkstatt, in der elektronische Geräte repariert werden, je ein Atelier für Malerei, Film und Fotografie sowie eine Küche und eine Gärtnerei.
Dass die Flüchtlinge jeden Tag kommen und acht Stunden arbeiten, ist selten der Fall. «Sie haben viele Termine im Zusammenhang mit ihrem Asylverfahren, und dieses hat natürlich Vorrang», erklärt Simon Bader. Trotzdem gehe es in der «Skills Factory» zu und her wie in einem Bienenhaus. «Jeder macht etwas, auch wenn er nach zwei Stunden wieder gehen muss.» Auch wenn es Flüchtlinge gibt, die lange bleiben, ist die Fluktuation gross, denn viele verlassen die Insel wieder etwa wegen eines positiven Asylbescheids. Dennoch arbeiten zur Zeit rund dreissig Flüchtlinge in der «Skills Factory», die hobeln, sägen, malen, drucken, nähen und kochen.
Schnell spricht es sich im Flüchtlingslager herum, dass man sein Wissen und seine Erfahrung als Handwerker in der «Skills Factory» einbringen kann. Die Nachfrage sei gross. «Zurzeit haben wir rund 15 offene Bewerbungen, und es kommen auch jede Woche wieder neue Interessierte vorbei.»
Grossprojekte der Community
Obwohl in der «Skills Factory» ein stetiges Kommen und Gehen herrscht, sind der Community ein paar grosse Projekte gelungen. So haben Flüchtlinge beispielsweise die ganze Küche des alten Steinhauses neu gebaut. Zuerst betonierten sie den Boden, verlegten Fliesen und bauten eine Trockenbauwand. Die ganze Elektrik machten sie neu. Auch der Garten gab viel zu tun. «Das Haus ist 30 Jahre leer gestanden, der Garten war wie ein Dschungel», erinnert sich Simon Bader. Heute gibt es kleine Wege und schön angelegte Beete. Zurzeit bauen Flüchtlinge ein WC-Häuschen zu einer Dusche um. «Da werden Fliesen gelegt, Silikonfugen gemacht und die Dusche angeschlossen», führt Simon Bader aus.
Aktuell werden Dreibeine hergestellt, auf denen man White Boards befestigen kann (White Boards sind Wandtafeln mit einer glatten Oberfläche, auf der man mit speziellen Filzstiften schreiben kann und die sich sehr leicht mit einem trockenen Schwamm abwischen lassen). Für die Küche wird ein Küchenkasten gebaut. «Und für einen Auftrag von ausserhalb stellen wir im Nähatelier Taschen her, die dann in der Druckerei weiterbearbeitet werden.»
Quelle: selfm-aid.ch
Im Nähatelier werden Taschen hergestellt und anschliessend bedruckt.
Interkulturelle Zusammenarbeit
Simon Bader ist zwar Chef der «Skills Factory» und schaut, dass alles rund läuft und dass alle haben, was sie brauchen. Vorschriften gibt er aber keine. «Nur weil ich etwas richtig finde, heisst das nicht, dass es auch so gemacht wird», führt der Baupolier aus. «Die Flüchtlinge bringen ihr eigenes Wissen und ihre eigene Erfahrung mit. Ihre Lösungen sind genauso interessant wie unsere.»
Er erinnert sich an ein Beispiel, als alles neu verkabelt werden musste. «Wir mussten viele alte elektronische Geräte überprüfen und reparieren.» Ein deutscher Praktikant stellte sich der Community als Stromverantwortlicher vor. Er berechnete die Spannung und wollte mit einem Multimeter arbeiten. Noch bevor er fertig gesprochen hatte, schauten ihn zwei Elektriker aus Kamerun und Palästina fragend an.
Anstatt einen Multimeter zu benutzen, verbanden sie zwei Kabel mit einer Glühbirne und fingen an, die Leitungen zu prüfen. Dann wusste man genau, welche Kabel wohin führen und ob sie funktionieren. «Gleichzeitig wussten wir, welche Sicherung was absichert und mit wieviel Ampere.» Nach zwei Tagen gab es Licht in jedem Raum, man konnte die Werkzeuge anschliessen, und es gab sogar heisses Wasser. Die eine oder andere Verkabelung musste später nochmals ausgebessert werden. Doch ein lokaler Stromer hatte alles mit dem Elektriker aus Kamerun besprochen, später überprüft und offiziell abgenommen.
Bei einem anderen Beispiel brannte die Kreissäge durch. «Während wir sie öffneten, um den Schaden zu reparieren, arbeitete ein Schreiner aus Togo einfach weiter.» Er nahm die Handsäge, stabilisierte das Kantholz, das er gerade längs am Halbieren war, mit seinem Bein auf der Werkbank und begann, von Hand zu sägen. «Den ganzen Tag! Er hat mindestens sechs zwei Meter lange Kanthölzer längs halbiert. So etwas habe ich nie zuvor gesehen, dieser Wille und diese Entschlossenheit, an einem Projekt weiter zu arbeiten, auch ohne Maschinen… unglaublich!»
Kooperationen mit Verbänden
So weit, so gut. Doch ohne Spenden gäbe es weder den Verein «selfm-aid.ch» noch die «Skills Factory». Das Geld ist knapp. Das Jahresbudget für das Holzdepartement beträgt gerade einmal 5000 Euro. Grosse Sprünge liegen nicht drin. Deshalb will Simon Bader die Zusammenarbeit mit der Schweiz ausbauen. «Wir wollen vermehrt Kontakte knüpfen zu Verbänden, so könnten wir die einzelnen Departemente besser unterstützen». Für das Holzdepartement etwa stellt er sich Kooperationen mit Holzbauschweiz oder Holzbaufirmen vor. «Es geht nicht nur um Geld, sondern auch um Know-how, zum Beispiel, dass uns jemand hilft, eine Pergola zu bauen.»
Simon Bader will Verbände bzw. deren Vertreter anfragen, ob jemand Interesse habe an einem Freiwilligeneinsatz auf Samos. «Wenn das jemand einen Monat machen würde, der über entsprechendes Wissen und die nötige Erfahrung verfügt, wäre das toll.» Dass Spezialisten nach Griechenland fliegen, um Flüchtlinge zu coachen, sei eine interessante Option, vor allem auch im Hinblick auf den Fachkräftemangel. «Wenn ein Flüchtling Erfahrungen sammeln kann, qualifiziert er sich auch für den Arbeitsmarkt, und das ist schlussendlich das Ziel.»