17:19 BAUPROJEKTE

Ein simpler Betonbau

Teaserbild-Quelle: Bild: Holcim Foundation for Sustainable Construction

Trotz knappem Budget realisierten die Planer des IUCN Conservation Center in Gland ein Gebäude, dessen Energieverbrauch nur ungefähr 20 Prozent eines Standard-Bürogebäudes beträgt. Das Rezept heisst: Reduktion auf das Wesentliche und multifunktionale Bauteile.

Am umweltfreundlichsten ist das erst gar nicht gebaute Haus. Die zweitbeste Variante wäre ein Haus, das möglichst wenig Platz und Material beansprucht. In Gland VD steht ein Gebäude, das ganz im Geist dieses Reduzierens auf das Wesentliche geplant und realisiert wurde. Die Architekten sprechen denn beim Erweiterungsbau des Hauptsitzes der IUCN, der International Union for Conservation of Nature, auch von einem Edelrohbau. Die Primärstruktur des Gebäudes ist aus Beton, folgerichtig aus Sichtbeton; so spart man sich die Materialien für Verputze oder Verkleidungen. Betonoberflächen prägen das Innere und das Äussere des Neubaus. Als erstes fallen dem Besucher die markanten umlaufenden Balkone auf, deren Brüstungen aus zickzackförmig ineinander greifenden Betonelementen bestehen, deren Oberflächen unterschiedlich behandelt sind: abwechslungsweise schalungsglatt oder sandgestrahlt. Die Zickzacklinie wurde vom Dachrand übernommen, dessen Konturen wiederum von den Paneelen der Photovoltaikanlage auf dem Dach bestimmt sind. Bei den Zuschlagstoffen für die Brüstungselemente wurde auch der Farbigkeit grosse Beachtung geschenkt, die rauen Oberflächen des sandgestrahlten Betons sollten in Textur und Farbe mit der Travertinfassade des bestehenden Gebäudes harmonieren. Die Balkone haben nicht nur die Funktion von Fluchtwegen – was im Innern offene Erschliessungs- und Kommunikationszonen ohne kostspielige Brandabschlüsse ermöglichte – sie dienen auch als Beschattung der dahinter liegenden Glasfassaden, sind individueller Aussenraum zu den Büros und bilden eine Promenade. So erfüllt in diesem Gebäude jedes Bauteil mehrere Funktionen.

Beton günstiger als Holz

«Das Gebäude musste ein Vorzeigeobjekt sein, das einfach reproduzierbar ist», erklärt Hanspeter Oester, verantwortlicher Partner von «agps.architecture» Zürich, den Leitgedanken der Projektverfasser. «Deshalb ist es auch ein simpler Betonbau», führt er weiter aus, «denn Beton ist langlebig, günstig und hat eine hohe Speicherkapazität.» Die Variante Holzbau wurde auch evaluiert, wäre aber laut Oester teurer gewesen. Im Vergleich zum Beton schnitt Holz bei der Speicherfähigkeit schlechter ab, ausserdem wären die möglichen Spannweiten kleiner gewesen, und die Problematik der Schallübertragung, vor allem des Trittschalls, sprach ebenfalls für das schwerere Material.

Um den ökologischen Fussabdruck des Betons zu verbessern, wurde CO2 reduzierter Beton verwendet. Dies geschah in enger Zusammenarbeit mit Holcim. Eine Massnahme bestand darin, einen Teil des energieintensiven Zements durch hochwertigen Kalkstein zu ersetzen, des Weiteren wurde im Innern Recyclingbeton eingesetzt. Dies war möglich, weil während der Bauphase in der Nähe ein Gebäude abgerissen wurde. Recyclingmaterial über weite Strecken zu transportieren wäre nicht sinnvoll gewesen. Tragende Betonwände mit Aussenkontakt wurden in Dämmbeton, mit Blähton, erstellt. «Da haben wir lange geübt, bis wir die notwendige Tragfähigkeit erreicht haben», erinnert sich Oester. Dafür läuft jetzt die vertikale Sichtbetonscheibe, auf der der Konferenzraum, der Holcim Think Tank, sitzt, als elegantes homogenes Element von innen nach aussen, ohne komplizierte Übergänge und Fensteranschläge bei der verglasten Eingangsfront.

Überall Tageslicht

Der Eingang befindet sich zwischen Alt- und Neubau und führt in ein Foyer, das die ehemalige Eingangshalle ganz selbstverständlich mit dem Neubau verbindet. Grössere und kleinere Sitzungszimmer sowie das hauseigene Restaurant befinden sich in unmittelbarer Nähe des Empfangs. Inspiriert von den innen liegenden Lichthöfen im bestehenden Gebäude entwarfen die Architekten für die Erweiterung ein Volumen mit zwei Einschnitten, die dank der durchlaufenden Aussenbalkone zu Innenhöfen werden. Die dadurch entstandene längere Fassadenabwicklung bringt mehr Licht ins Hausinnere und ermöglicht entsprechend mehr Büroräume. Dafür nahmen die Planer bewusst gewisse Abstriche bei der Kompaktheit in Kauf.

Licht und Luft im ganzen Gebäude gilt hier auch für die unterirdische Garage. Laut Oester war es den Architekten wichtig, dass der Zugang zum Gebäude für diejenigen, die mit dem Auto kommen, nicht über eine quasi abgekoppelte «Unterwelt» geschieht. «Deshalb führen wir das Tageslicht bis in die Einstellhalle, und es gibt einen direkten Zugang über das grosse Atrium. So ist die Garage mit dem Licht-, Luft- und Zirkulationssystems innerhalb des Gebäudes verknüpft.»

So wenig wie möglich, soviel wie notwendig

Auch bei der Gebäudetechnik ging es darum, die notwendigen technischen Installationen auf ein Minimum zu beschränken. Deshalb galt es, das Gebäude konzeptionell und konstruktiv so zu gestalten, dass die thermischen Verluste im Winter und die Überhitzung im Sommer möglichst gering gehalten werden können. Ausser für personenintensive Nutzungen wie Küche und Sitzungszimmer funktioniert die Gebäudetechnik dezentral. So verfügt für die Lufterneuerung jedes Büro über eine Airbox. Diese Installationsboxen sind im Boden eingelassen und beziehen die Frischluft direkt über die Fassade. Dank der dezentralen Anordnung entfallen die Zulufttechnikzentrale sowie die Steigzonen. Dies wiederum verringert die Luftförderungsstrecken und den zu überwindenden Druckverlust, sodass sich auch die erforderliche Ventilatorenleistung reduziert. Die Luft wird nur erneuert, wenn dies auch wirklich notwendig ist. Dafür sorgen CO2 Sensoren in der Decke. Das heisst, wird ein bestimmter CO2-Wert unterschritten, werden die Zu- und Abluftklappen geschlossen. Die Gebäudetechniker sprechen in diesem Zusammenhang von einem Gebäude, «das quasi mit den Nutzern atmet».

Geheizt und gekühlt wird mit aufgesetzten Paneelen, die ein weiteres Beispiel sind für die Multifunktionalität der einzelnen Bauteile. Sie enthalten die Konvektoren zur Aktivierung (Kühlung oder Erwärmung) der Betondecke, die Beleuchtung, die Abluftkanäle, die Co2 Sensoren sowie die Sprinkleranlage, und gleichzeitig erfüllen sie eine schallabsorbierende Funktion.

Die Wärmequelle im Winter beziehungsweise die Kältequelle im Sommer ist das Grundwasser in 180 Metern Tiefe. Es wird geothermisch über eine reversible Wasser-Glykol-Wärmepumpe mit 15 Erdsonden genutzt. Die elektrische Energie stammt aus Wasserkraft und aus einer Photovoltaikanlage auf dem Dach, mit der ungefähr 70 Prozent des gesamten Energiebedarfs gedeckt wird. Auf dem Gebiet der Fotozellen ist eine rasante Entwicklung im Gange, die die Architekten bei diesem Objekt hautnah miterlebt haben: «Im Laufe der Planung kamen Fotozellen auf den Markt, deren Effizienz um 50 Prozent höher lag als die der ursprünglich eingeplanten Zellen», erinnert sich Oester sichtlich beeindruckt. Die heutige Anlage hat eine Leistung von 150 Megawattstunden pro Jahr.

Was wäre ein Gebäude ohne die Labels?

Für den Hauptsitz einer internationalen Umweltschutz-Institution genügte das Schweizer Minergie P-Eco Label nicht. Das Gebäude musste auch die anspruchsvollsten Standards des internationalen LEED Labels (Leadership in Energy and Environmental Design) erfüllen, nämlich LEED Platinum. Der wesentlichste Unterschied zum Minergie-Label, das in erster Linie ein «Energieverbrauchslabel» ist, besteht darin, dass sich die LEED-Kriterien am bekannten Dreieck Ökologie, Ökonomie und Soziales orientieren. Trotzdem waren laut Architekt die meisten Kriterien mit Minergie P-Eco bereits abgedeckt. Gewisse Massnahmen der Baustellenlogistik gingen auf das Konto des LEED-Labels, zum Beispiel das Vermeiden von Leerfahrten während des Baustellenbetriebs und das Anstreben minimaler Transportwege. Allerdings, auch hier zeigen sich die unterschiedlichen Massstäbe: Der Rayon für «lokale» Baumaterialien beträgt beim LEED-Label 500 Meilen, was für Schweizer Verhältnisse alles andere als «lokal» ist. Teilweise ging es aber auch um Nebensächlichkeiten, wie einen vorgeschriebenen Mindestabstand zwischen den Aschenbechern im Aussenraum und dem Gebäude einzuhalten. «Die Autoabgase hingegen spielen keine Rolle, für die Parkplätze gibt es keine Mindestabstände,» bemerkt Oester dazu leicht sarkastisch.

Trotz all diesen Vorgaben und Auflagen ist es den Planern gelungen, ein Verwaltungsgebäude zu realisieren, das nicht mehr kostete als ein gewöhnlicher Bürobau, dessen Energieverbrauch aber nur 20 Prozent eines herkömmlichen Gebäudes beträgt. Dank flexiblen Innenwänden und jederzeit gut zugänglichen und dadurch auch anpassbaren Installationen dürfte sich das Gebäude auch langfristig als echt nachhaltig bewähren.

Virginia Rabitsch

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