Ark Nova: Eine aufblasbare Konzerthalle in Luzern
Die Lidowiese, der «Vorgarten» des Verkehrshauses der Schweiz, wurde im Spätsommer für zehn Tage um ein besonderes Bauwerk bereichert: um die Ark Nova, eine aufblasbare, mobile Konzerthalle. Sie hat keinerlei tragende Konstruktion. Das Projekt ist ein Gemeinschaftswerk mit einem tragischen Hintergrund. Ein Blick auf die Geschichte, die Eigenschaften der magischen Hülle und die Herausforderungen von Transport und Technik.
Quelle: Seraina Wirz, Copyright Lucerne Festival, Anish Kapoor
Im beleuchteten Zustand erscheint die Ark Nova pink, da die Kunststoffhaut transluzent ist. Links im Bild die Container für die drei Gebläse, die den mobilen Bau stabil halten. Foto: Seraina Wirz, Lucerne Festival, Anish Kapoor.
Der heimliche Star des diesjährigen Lucerne Festival war die organische Riesenhülle auf der Lidowiese am Vierwaldstättersee. Der Anblick der Skulptur erinnerte an ein geheimnisvolles Meereswesen oder an einen Donut. Zwischen dem 4. und 14. September besuchten rund 12'000 Gäste Konzerte in der Ark Nova, ohne dabei tief in die Tasche greifen zu müssen: Die Ticketpreise begannen bei 15 Franken, zudem gab es Gratiskonzerte.
Die Idee, Kultur möglichst vielen Menschen für wenig Geld zugänglich zu machen, entspricht exakt der Ausgangsidee dieses einzigartigen Gemeinschaftsprojekts: Nur einen Tag nach der verheerenden Nuklear- und Naturkatastrophe in Fukushima vom März 2011 rief der Luzerner Kulturmanager und Intendant des Lucerne Festival, Michael Haefliger, seinen japanischen Berufskollegen Masahide Kajimoto an. Er fragte, wie es ihm gehe, was er tun könne beziehungsweise was sie gemeinsam machen könnten, um die betroffene Bevölkerung zu unterstützen. Die befreundeten Kulturprofis kamen zum Schluss, dass sie den Menschen rasch und unkompliziert Zugang zu kulturellen und musikalischen Veranstaltungen bieten wollten, um ihnen ein Stück Glück und Hoffnung zu schenken.
Sie holten zwei weltbekannte Grössen ins Boot, die spontan zusagten: einerseits den berühmten Architekten und Pritzker-Preisträger Arata Isozaki (1931–2022) und andererseits den britischen Künstler Sir Anish Kapoor (*1954). Die Figur, die beide Künstler entwickelten, basiert auf Kapoors Werk «Leviathan», das zum Zeitpunkt der Katastrophe in Japan in Paris ausgestellt war. «Ark Nova ist das Ergebnis meiner langjährigen Beschäftigung mit der nach innen gerichteten Form und der Verschiebung des Massstabs. Wir haben versucht, eine Struktur zu schaffen, die sowohl als Konzertsaal funktioniert als auch leicht zu transportieren ist», sagte Kapoor bei der Ersterrichtung der mobilen Ark Nova 2013 im japanischen Matsushima. Während Kapoor für die künstlerische, formale Gestaltung zuständig war, arbeitete der Architekt mit seinem Büro Arata Isozaki & Associates die Statik und die technischen Details aus.
Luft statt tragende Konstruktion
Quelle: Seraina Wirz, Copyright Lucerne Festival, Anish Kapoor
Die Ark Nova wurde in Luzern mit 300 Plätzen bestuhlt, maximal fasst das Zelt 500 Plätze.
Die Haut ist eine PVC-beschichtete Polyestermembran, die 1700 kg wiegt – ein Leichtgewicht für ein Gebäude, das 18 Meter hoch ist, eine Innenfläche von 680 Quadratmetern hat und bis zu 500 Menschen aufnehmen kann. In Luzern wurde die Ark Nova mit 300 Sitzplätzen bestuhlt. Eine tragende Konstruktion gibt es nicht, die Hauptstruktur ist ein pneumatisches Membrantragwerk. Die Luft allein sorgt für Statik und Stabilität.
Bei der Form handelt es sich um ein Toroid, eine Art Ring mit einem Loch in der Mitte, wie zum Beispiel ein Rettungsring. Bei der Ark Nova geht die röhrenförmige Öffnung jedoch nicht vertikal durch den Körper, sondern diagonal. Dies sorgt für Stabilität der Konstruktion und für Lichtbezüge. So konnte man etwa von aussen durchs Gebäude hindurch in den Himmel blicken. Über 9000 Kubikmeter Volumen bildet die Haut – ein Hightech-Material mit einer Dicke von gerade mal 0.63 Millimeter. Das Material vom Unternehmen Aerotrope, das auch Anish Kapoors Kunstwerk «Leviathan» gefertigt hatte, ist transluzent. Dadurch changiert die Ark Nova je nach Lichteinfall in ihrer Farbe: von aussen eher in dunklen Auberginetönen, innen in warmem Rot bis hin zu Pink.
Die Ark Nova war nach der Ersterrichtung 2013 noch in Sendai (2014), in Fukushima (2015) sowie in Tokio (2017) aufgeblasen worden. Ausserhalb von Japan war das skulpturale Werk noch nie zu sehen. Nun hatte sie ihren ersten Auslandauftritt in Luzern. Dass dem so ist, ist hauptsächlich Michael Haefliger zu verdanken. Der Intendant des Lucerne Festival hegte als einer der Väter der Ark Nova schon lange den Wunsch, die mobile Konzerthalle nach Luzern zu holen. Doch es gab Hürden, die grösste davon war die Coronazeit. Dass er und viele Mitstreiter, allen voran das Verkehrshaus der Schweiz, das kunstvolle Gebilde in die Schweiz brachten, ist die Krönung von Haefligers Karriere, der – just nach Ende des diesjährigen Lucerne Festival – nach 26 Jahren Amtszeit seinen Posten weitergab.
Er selbst wohnte am 25. August natürlich dem spektakulären Aufbau der Ark Nova der nur wenige Stunden dauerte, auf der Lidowiese bei. Wie das genau ablief und was es alles brauchte, um das faszinierende Gebilde in die Schweiz zu holen, ist im folgenden Interview zu erfahren.
Michael Kretz über den Aufbau der Ark Nova
Quelle: zvg
Michael Kretz, Leiter Bau & Architektur des Verkehrshaus der Schweiz.
Als Leiter Bau & Architektur des Verkehrshauses der Schweiz war
der Architekt Michael Kretz zuständig für die Machbarkeitsstudien, die
Kostenberechnungen, Logistik und Bau beim Projekt Ark Nova Lucerne 2025.
Er führt aus, welche Fachleute es für den Aufbau brauchte, wie die
Stadt Luzern involviert war und was ein Sturm dem aufblasbaren Raum
hätte antun können.
Was für eine
Beziehung hatten Sie als Architekt zur Arbeit von Arata Isozaki, der die
Ark Nova zu einem funktionierenden architektonischen Raum entwickelt
hatte?
Arata Isozaki war bereits vor der Verleihung
des Pritzker-Preises im Jahr 2019 ein renommierter Architekt. Seine
Auseinandersetzungen und scharfen Kritiken über Siegerentwürfe
ausländischer Architekten in Japan, darunter auch Zaha Hadid, sind mir
bekannt und regten zum Nachdenken an. Die harsch vorgetragene Kritik an
Berufskollegen ist ungewöhnlich und hat in der Vergangenheit sogar zur
Aufgabe eines grossen Projekts geführt. Den Zugang zu Isozakis Werk habe
ich nie so recht gefunden, da seine Entwürfe mir stets zu postmodern
waren. Nichtsdestotrotz sind und bleiben seine Werke in den einfachen
geometrischen Formen und dem gekonnten Spiel mit Licht und Schatten sehr
einflussreich in der Architekturgeschichte.
Sie
waren zuständig für die bauliche Umsetzung des Projekts Ark Nova
Luzern. Wann hat Ihre Arbeit begonnen, und welches waren die ersten
Schritte?
Im Juni 2024 wurde bei einem Treffen mit Michael Haefliger, Intendant des Lucerne Festival, und Martin Bütikofer, Direktor des Verkehrshauses der Schweiz, die Idee geboren, die Ark Nova nach Luzern zu bringen. Es wurde ein geeigneter Standort gesucht. Ich habe die Lidowiese als mögliche Lösung ins Spiel gebracht und noch am selben Abend erste Skizzen angefertigt. Ich habe sofort erkannt, dass dieses Kunstwerk mit seiner tiefen Sinnhaftigkeit einen besonderen Platz in Luzern benötigt.
Die Konstruktion war seit acht Jahren nicht mehr aufgebaut worden. Wie war die Kunststoffhülle eingelagert?
Die Herstellerfirma in Japan hat die Hülle mit grosser Sorgfalt in Tokio eingelagert und angemessen unterhalten. Die Membran war auf einem Transportwagen auf ca. 2×4×2 m zusammengefaltet und mit einer Blache geschützt. Im Rahmen der Versandkontrolle wurde die Hülle vor dem Versand in die Schweiz einer sorgfältigen Prüfung unterzogen.
Logistisch betrachtet waren Transport und Aufbau ein Kraftakt. Können Sie die wichtigsten Schritte erläutern?
Die Bauteile wurden in vier grossen 40-Fuss-Containern verpackt und von verschiedenen Lagerorten zum Hafen von Tokio transportiert. Die Fracht wurde mit Containerschiffen um das Kap der Guten Hoffnung nach Rotterdam transportiert und von dort aus weiter in die Schweiz. Der Aufbau erfolgte in mehreren Schritten. Die Bauteile wurden schrittweise nach Luzern transportiert und vor Ort verbaut. Der Aufbau der Türen und das Befestigen der Hülle erfolgte ab dem Fundament aus Stahlplatten und beanspruchte einen Zeitraum von etwa fünf Arbeitstagen. Das Aufblasen der Membran erfolgte in einem sorgfältigen und kontrollierten Prozess über einen Zeitraum von etwa zwei Stunden. Die restlichen Arbeiten am Boden, der Bühne, den Treppen und den feuerpolizeilichen Massnahmen wurden dann innerhalb der nächsten fünf Tage abgeschlossen.
Die Ark Nova ist ein materiell sparsames Gebäude, aber für das Fundament brauchte es doch einiges. Was genau?
Zum Schutz der Wiese wurde Sand verteilt. Im Anschluss wurde eine Ausgleichsschicht aus Kies aufgetragen, um die grössten Niveauunterschiede auszugleichen. Mit ca. 200 verlegten Stahlplatten wurde ein tragfähiger und befahrbarer Belag geschaffen. Die verschiedenen Bauteile, insbesondere der vorgeformte Lastverteilring, wurden auf diesen Stahlplatten verschweisst. Für das gesamte Bauwerk wurde weder ein Hering noch eine Schraube in den gewachsenen Boden eingeschlagen oder befestigt. Im Anschluss an die Veranstaltung wurde der Sand in die Erde eingearbeitet, um die Fläche adäquat zu pflegen. Schliesslich erfolgte die Wiederherstellung des Standorts mit Rollrasen.
Was ist speziell am Lastverteilungsring, und wie wurde die Kunststoffmembran der Hülle darauf fixiert?
Die Installation des Stahlrings erfolgte präzise: Zunächst wurde er auf dem Stahlplattenboden ausgerichtet und anschliessend mit den Stahlplatten verschweisst. Dieser Tragring besteht aus einem gebogenen HEA-Träger, auf dem ein einfaches Halterohr verschweisst ist. An dem Halterohr wurde die PVC-Membran mit Schnüren befestigt. Die Innen- und Aussenseite der Membran wurden mittels eines angeschweissten Membranlappens abgedeckt und sind so nicht zu sehen.
Es hatte viele Helfer bei der Errichtung. Was für Spezialisten waren involviert?
Für den Aufbau waren verschiedene Bauhandwerker erforderlich. Der Gartenbauer war für die Erstellung der Schutzschichten aus Sand und Kies sowie für den gesamten Rückbau dieser Massen und die Wiederherstellung der Wiese zuständig. Der Baupistenbauer war für das Verlegen und Abbauen der Stahlplatten verantwortlich. Die Montage der angelieferten Bauteile wurde von einer Stahlbaufirma übernommen. Der innere Boden wurde als Deckenschalung ausgeführt. Das Logistikunternehmen zeigte sich hinsichtlich der Transporte und der Kranarbeiten verantwortlich. Zwei Projektmitarbeiter aus Japan haben uns mit wertvollen Tipps zum Aufbau sowie zum richtigen Verpacken der Bauteile für den Rücktransport unterstützt.
Die wohl wichtigste Funktion haben die drei Gebläse. Wie wurden diese bei ändernder Witterung und Winden eingesetzt?
Für den eigentlichen Moment des Aufrichtens der feinen Membran wurden drei Gebläse und ein Mobilkran benötigt. Die Folie wurde mit dem Mobilkran vorsichtig angehoben und im Anschluss mit Luft gefüllt. Sobald die Membran mit dem erforderlichen Innendruck gefüllt war, wurde lediglich noch ein Gebläse für die berechnete Luftmenge benötigt. Bei ansteigendem Wind wurde zur Stabilisierung der Hülle automatisch ein zweites Gebläse in Betrieb genommen. Bei Windgeschwindigkeiten von über 17 Metern pro Sekunde wird jeweils ein drittes Gebläse in Betrieb genommen, um die Wirkung zu verstärken. Bei höheren konstanten Windvorhersagen oder gar Stürmen wäre aus Sicherheitsgründen ein kontrollierter Ablass der Luft in der Hülle erforderlich. Aus diesem Grund erfolgte eine kontinuierliche Überwachung der Wetterverhältnisse. Glücklicherweise war es während unserer Festivalausrichtung nicht notwendig, die Hülle abzulassen, obgleich leider am ersten Abend des Festivals ein Konzert aufgrund einer Sturmwarnung abgesagt werden musste.
Welcher Moment oder welches Gefühl ist rückwirkend am stärksten?
In diesem Projekt gab es mehrere starke und emotionale Augenblicke. Der eine war ganz früh im Entwurfsprozess – der Ort und das Objekt schienen plötzlich zu verschmelzen: die städtebauliche Einbindung mit den bestehenden Wegen, Bäumen, dem See und den tollen Sichtbeziehungen – alles schien wie selbstverständlich. Dann gab es die vielen Reaktionen der Besuchenden: tolle Begegnungen, positive Kommentare, tiefgehende Gespräche. Die grosse Dankbarkeit der Besucher war wirklich überwältigend. Einige Leute erklärten mir, wie wichtig solche Projekte in unsicheren Zeiten sind, wie viel Freude sie bereiten und dass sie Hoffnung wecken können. Schliesslich war die Teamleistung in diesem Projekt sehr eindrucksvoll: Die Mitarbeitenden des Lucerne Festival und des Verkehrshauses der Schweiz haben sich in einem für beide Seiten ungewöhnlichen, einmaligen Projekt zusammengefunden, ergänzt und grenzenlos unterstützt. (Interview: Katrin Ambühl)
Quelle: Seraina Wirz, Copyright Lucerne Festival, Anish Kapoor.
Eine Öffnung geht diagonal durch das Zelt. Sie macht das Gebilde stabiler und schafft interessante Blickbezüge. Foto:
Quelle: Seraina Wirz, Copyright Lucerne Festival, Anish Kapoor
8: Raum und Licht schaffen eine einzigartige Atmosphäre in der Ark Nova. Die Akustik ist eher schwierig, weil Geräusche von aussen zu hören sind. Bei dem Projekt geht es mehr um das Gesamterlebnis. Foto: .
Quelle: Katrin Ambühl
Bei der Errichtung der Ark Nova am 25. August waren auch zwei japanische Projektmanager dabei, die alle Tücken des Aufbaus kennen.
Quelle: KIatrin Ambühl
Ein Mobilkran hob die Folie behutsam an, während das Zelt mit Luft gefüllt wurde. Nach rund zwei Stunden war die Ark Nova aufgeblasen. Danach musste noch der Innenbereich eingerichtet werden. Foto: Katrin Ambühl.
Quelle: Katrin Ambühl
Ein Fachmann kontrolliert den «inwendigen hohlen Arm», der in aufgerichtetem Zustand diagonal durch die Struktur geht.
Quelle: Seraina Wirz, Copyright Lucerne Festival, Anish Kapoor
Die Kunststoffhaut ist 0.63 Millimeter dick und wurde mit unzähligen Nähten präzise genäht. Durch die ganze Struktur führt eine röhrenförmige Öffnung.
Quelle: Patrick Hürlimann, Copyright Lucerne Festival, Anish Kapoor.
Aus der Luft gesehen wirkt die Ark Nova wie ein Riesendonut. Die auberginenfarbene Skulptur harmonierte perfekt mit der umliegenden Natur. Foto: