09:10 BAUPRAXIS

Burgruinen: Vom Zerfall und Erhalt

Teaserbild-Quelle: Gabriel Diezi

Ungeschützt der Witterung ausgesetztes Mauerwerk zerfällt. Eine Sicherung soll bei Ruinen diesen Prozess verlangsamen, ohne dass dabei jedoch zu viel originale Substanz verloren geht. Bei Burgenrestaurierungen gilt es deshalb sorgfältig abzuwägen, wie dieser klassische Zielkonflikt am besten gelöst wird.

Für den Zerfall von Burgruinen gibt es eine Hauptursache: gefrierendes Wasser und seine Sprengwirkung. Da bei Ruinen der Schutz des ursprünglichen Burgdaches fehlt, nimmt der historische Mörtelkern Regenwasser auf und gibt dieses auch wieder ab. Im Sommerhalbjahr schadet dies dem Bruchsteinmauerwerk kaum. Gefährlich für die historische Bausubstanz wird es, wenn im Winterhalbjahr tagsüber bei Temperaturen über dem Gefrierpunkt Schmelz- oder Regenwasser einsickert. Dieses gefriert dann in den darauffolgenden Frostnächten im Kronenbereich – mit explosiven Folgen. In der Mörtelmasse und zwischen Mörtelbett und Steinen entstehen feinste und feine Risse. Das Wasser kann nun weiter und weiter in die Mauer eindringen. Der Vorgang der Frostsprengung wiederholt sich in den Mauerkronen jedes Jahr bis zu 70 Mal.

Geschichte erleben
«Es gehört zum Wesen einer Ruine, dass sie zerfällt», sagte einmal ein bekannter Denkmalpfleger hinter vorgehaltener Hand. Die Bemerkung impliziert, dass man Burgen analysiert, dokumentiert und in Schönheit sterben lässt. Wer will schon retten, was nicht zu retten ist? Dieser fatalistischen Einstellung widerspricht der erfahrene Burgenrestaurator Nöthiger vehement: «Es ist ein menschliches Bedürfnis, Burgen in der Realität und in der durch sie geprägten Landschaft zu erleben – und nicht nur in Geschichtsarchiven.» Wenn man Burgruinen dauerhaft sichere, liesse sich mittelalterliches Kulturgut für mehr als eine weitere Generation retten.
Dabei besteht jedoch ein Zielkonflikt mit dem Anliegen, möglichst viel originale Substanz zu erhalten. Das bestreitet Nöthiger nicht: «Wer Mauerwerk dauerhaft sichern will, muss die dokumentierte Originalsubstanz zum Teil auf die gesunden Reste reduzieren.» Im Klartext ist loses Mauerwerk abzutragen und neu zu setzen. Praktiziert wurde dies etwa beim sehr exponierten Turmzahn der Burgruine Juvalt auf dem Gemeindegebiet von Rothenbrunnen GR. Hier mussten die Restauratoren die obersten eineinhalb Meter mörtelloses Mauerwerk 2012 vollständig neu aufbauen. Bei einem so schwer zugänglichen Standort auf einem 160 Meter hohen Felsgrat mit teurer Gerüstung und Baustelleninfrastruktur würden sich aber alle wohlgemeinten «Soft-Sicherungen» mit kurzer Halbwertszeit verbieten, findet Nöthiger: «So ein Turmzahn muss für ein nächstes Jahrhundert dauerhaft gesichert und auch gegen Blitzschlag geschützt sein.»

Wieviel Weisskalk darf es sein?
Eine Grosskampfzone ist und bleibt bei Burgruinen-Sicherungen die Mörtelfrage. Versuche mit historischen Sumpfkalk-Rezepturen in Anlehnung an das 13. Jahrhundert sind zwar alle mit Frostschäden in Millionenhöhe gescheitert. Verschiedene Denkmalpflegen schreiben nun aber den beauftragten Bauunternehmungen bindend vor, in modernen Weisszement-Mörteln den Verzicht auf den frostempfindlichen Sumpfkalk mit Weisskalk (Calziumhydroxyd) zu kompensieren.
Aber auch Weisskalk ist nicht frostsicher. Beträgt dessen Anteil an den Bindemitteln mehr als die Hälfte, treten in der Regel schon nach wenigen Wintern erste Schäden auf. Und es ist fraglich, ob die Denkmalpflege die Haftung für solche Frühschäden infolge falscher Mörtelrezepturen übernimmt. In der Regel muss die Bauherrschaft die zusätzlichen Kosten selbst tragen, wie die Praxis zeigt. Moderne Sanierungsmörtel sollten deshalb gemäss Nöthiger einen Weisskalkanteil von 25 Prozent der Bindemittel aufweisen, der diesem die gewünschte Farbe und Geschmeidigkeit verleiht. Der beige Hydraulkalk sorgt zusammen mit dem Weisszement als Hauptanteil für die notwendige Frostfestigkeit des Mörtels. Zehn Schweizer Ruinen wurden mit Nöthigers eigenem, gut austariertem Sanierungsmörtel saniert, davon sieben im Kanton Graubünden. Und sogar bei der Restaurierung der berühmten Steinbrücke im jurassischen St. Ursanne kam der «Bündner Burgenmörtel» kürzlich zur Anwendung. Gabriel Diezi


Lesen Sie im Baublatt vom 13. Oktober auch die Reportage über einen praxisbezogenen Sicherungsfachkurs für Denkmalpfleger und Archäologen.

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