11:09 BAUBRANCHE

Universelle Messwerkzeuge für Ingenieure

Teaserbild-Quelle: Flir Systems

Thermografie-Kameras sind Multitalente: Sie orten Wärmebrücken, schimmelgefährdete Stellen, Luftundichtigkeiten, Leckagen oder defekte Anlagenteile. Doch nicht jede IR-Kamera ist für jeden Einsatzzweck geeignet. Checklisten, Auswahlhilfen und eine Herstellerübersicht geben Entscheidungssicherheit.

Flir Systems

Quelle: Flir Systems

Ein Bild im Bild: Thermogramme können in für Hauseigentümer sehr anschaulicher Form eklatante Wärmebrücken aufdecken.

Wer Bauherren, Hauseigentümern oder Immobilienverwaltern zeigen kann, was man mit blossem Auge nicht sieht, ist im Vorteil: Wärmebrücken an der Hausfassade, in den Heizkörpernischen, an Fenstern, Fensterbänken oder Rollladenkästen, an Haustüren, Wintergärten oder im Dachbereich kommen besonders gut zur Geltung auf dem Display einer Thermografie-Kamera (auch: Wärmebild-, Infrarot oder kurz IR-Kamera genannt). Sieht der Kunde bei Aussenaufnahmen «rot», bedarf es in der Regel keiner weiteren Argumentation für entsprechende Wärmedämm-, Sanierungs- und Modernisierungsmassnahmen. Doch nicht nur für die Akquisition von Aufträgen eignen sich Thermografie-Kameras.

Vielfältige Einsatzbereiche

Beispielsweise eignen sich Thermografie-Kameras auch für bauphysikalische Untersuchungen: Mit der Kamera aufgespürte Wärmebrücken sind gleichzeitig meist auch Schallbrücken und Kondensationsnester für Feuchtigkeit, was wiederum Ursache für Schimmelpilzbefall sein kann. Auch in der Bauüberwachung und Qualitätskontrolle ist die Thermografie einsetzbar: Ob eine Dachdämmung oder eine Fenster-/Tür- beziehungsweise Fassadenmontage sachgerecht ausgeführt worden sind, lässt sich mit einer Thermografie-Kamera schnell kontrollieren. Im Zusammenhang mit Luftdichtheitsmessungen nach dem Differenzdruckverfahren (Blower-Door) können Fugen und Luftundichtigkeiten, vor allem der Dachkonstruktion bei ausgebauten Dachgeschossen, von Fassaden, Fenstern oder Türen sichtbar gemacht werden. Auch die Leckageortung bei Sperrschichten, Fassaden, Flachdächern oder von Leitungsinstallationen sowie eine genaue Ortung und Eingrenzung notwendiger Sanierungsmassnahmen ist mit der IR-Kamera möglich. Für die Überwachung technischer oder elektrischer Anlagen ist die Thermografie ebenfalls einsetzbar: Mit einem Blick auf das Kamera-Display lassen sich lockere Kontakte in Schaltanlagen oder überhitzte Bauteile schon im Frühstadium erkennen. Arbeiten alle Module der neuen Photovoltaik-Solaranlage einwandfrei? Auch das lässt sich per Infrarot-Technik prüfen und defekte Module, lokale Überhitzungen oder eine falsche Kabeldimensionierung schell lokalisieren. Zahlreichen weiteren Problemen und Schäden rund um Bauwerke und Anlagen kommt man damit ebenfalls auf die Spur, die man auf andere Weise nicht oder nur mit weit höherem Aufwand hätte erkennen können. Dem «Röntgenblick» einer Thermografie-Kamera entgeht (fast) nichts!

Wie funktionieren Thermografie-Kameras?

Jeder Körper mit einer Temperatur oberhalb des absoluten Nullpunktes (-273,15° C oder 0 K) sendet Wärme- oder Infratorstrahlung aus. Je wärmer ein Gegenstand ist, desto mehr Infrarotstrahlung geht von ihm aus. Ähnlich einer herkömmlichen Kamera setzt eine Thermografie-Kamera diese Infrarotstrahlung in Bilder um. Die emittierte Infrarotstrahlung wird dabei von einer speziellen Optik auf den sogenannten Detektor fokussiert. Die dort eingegangenen Informationen übersetzt eine Sensorelektronik in ein Bild, dass schliesslich auf einem LCD-Monitor abgebildet wird. Die Abbildung enthält neben grafischen auch radiometrische Informationen (das heisst auf der Messung elektromagnetischer Strahlung beruhende Daten), sodass für jeden Punkt exakte Temperaturwerte abgefragt und mithilfe spezieller Software weitere Informationen ausgewertet werden können (Taupunkt, Emissionsgrad). Die unterschiedlichen Farben in den Abbildungen, Thermogramme genannt, stellen die Oberflächentemperaturverteilung entsprechend einer meist im Bild enthaltenen Temperaturskala dar. Bereiche mit höheren Temperaturen sind als rote, gelbe oder weisse Flächen dargestellt. Kältere Bereiche sind grün, blau oder schwarz.

Dass die Thermografie keine Digitalfotografie ist, wird häufig von der Zielgruppe, teilweise aber auch von potenziellen Anwendern vergessen. Es ist vielmehr ein bildgebendes Messverfahren für Fachleute wie Bauphysiker, Energieberater, Architekten, Ingenieure und Handwerker. Der professionelle Einsatz von Thermografie-Kameras erfordert Expertenwissen, das spezielle Schulungen, Zertifizierungen, vor allem aber Erfahrung voraussetzt. Bei der Thermografie geht es nicht um die Präsentation «kunterbunter Bildchen». Thermogramme müssen sachkundig beurteilt, interpretiert und erläutert werden, damit sie Bauherren oder Hauseigentümern auch nutzen. Dazu müssen Parameter wie Temperaturunterschiede, Sonneneinstrahlung, materialspezifische Emissionswerte, Windgeschwindigkeit oder thermische Spiegelungen an glatten Fassadenoberflächen berücksichtigt und richtig eingeschätzt werden. Aber auch Normen wie die EN 13187 («Wärmetechnisches Verhalten von Gebäuden – Qualitativer Nachweis von Wärmebrücken in Gebäudehüllen – Infrarot-Verfahren») müssen beachtet werden.

Zugleich sind Kenntnisse aus den Bereichen Optik, Wärmestrahlung, Wärmeleitung, Materialkunde und nicht zuletzt der Bautechnik erforderlich. Denn was auf den ersten Blick wie eine Wärmebrücke aussieht, muss nicht zwingend eine sein und kann andere Gründe haben (thermische Spiegelung, Aufheizung durch Sonneneinstrahlung). Auch die Umgebungsbedingungen müssen stimmen: So hat die Bauthermografie nur in der Heizperiode, meist nachts beziehungsweise in den frühen Morgenstunden, «Saison», da die Temperaturdifferenzen zwischen Innen und Aussen mindestens zehn Kelvin (Grad) betragen sollten. Ferner ist darauf zu achten, dass beispielsweise das Gebäude zum Zeitpunkt der Aufnahme und einige Stunden zuvor keiner direkten Sonneneinstrahlung ausgesetzt ist beziehungsweise war. Damit sich Wärmebrücken deutlicher absetzen, sollten die Räume zuvor aufgeheizt werden. Zahlreiche weitere Rahmenbedingungen wie Wind und Wetter oder die Nutzung des Objekts müssen stimmen beziehungsweise bei der Beurteilung von Thermogrammen berücksichtigt werden.

Technische Daten: Worauf man achten sollte

Zu den wichtigsten Kamera-Parametern zählen die Bilddaten: Die Bildauflösung gibt an, in wie viele Pixel in X- und Y-Richtung der Detektor die von der Optik erfassten Daten auflösen kann. Dieser Wert sollte dem entsprechen, was radiometrisch erfasst wird und darf nicht mit der physikalischen Auflösung des Kamera-Displays (das grösser sein kann) verwechselt werden. Das Sehfeld gibt in vertikaler und horizontaler Richtung den Erfassungsbereich der eingebauten Optik an. Der Spektralbereich definiert die von Infrarotkameras erfasste Strahlung, die im Wellenlängenbereich von etwa 7 bis 14 µm liegen sollte. Ebenso essenziell wie die Bilddaten ist der bei der Messung erfasste Temperaturbereich, der bei Bauthermografie-Kameras meist zwischen minus 20 und plus 100 Grad Celsius beträgt.

Ein zweiter, wichtiger Wert für die Qualitätseinordnung einer Kamera ist deren Temperaturempfindlichkeit, der sogenannte NETD-Wert. Er gibt die kleinste Temperaturdifferenz an, die vom Detektor noch erfasst werden kann. Je kleiner dieser Wert ist, desto geringer ist die Gefahr des sogenannten «Bildrauschens». Die Messgenauigkeit wird in Prozent bei 30 Grad Celsius angegeben; sie nimmt mit hohen oder niedrigen Temperaturen ab. Messfunktionen sagen etwas darüber aus, was radiometrisch ausgewertet wird: Isothermen, der Minimal- und Maximalwert gehören zu den Standards, eine Taupunktberechnung bieten nur wenige Kameras. Die in der Regel aus Germanium-Linsen bestehende Optik sollte möglichst wahlweise eine manuelle oder automatische Fokussierung ermöglichen. Optionale Objektive erweitern die Einsatzmöglichkeiten der Kamera. Vor allem Weitwinkelobjektive sind für die Aufnahme von Fassaden in beengten räumlichen Situationen wichtig. Im internen Speicher sollten möglichst viele Bilddaten abgelegt werden können, ein (zusätzlicher) Wechselspeicher ist insbesondere bei Profi-Systemen üblich. Zusatzfunktionen wie ein Laserpointer oder eine Digitalkamera vereinfachen die Lokalisierung von gemessenen Minimal-/Maximalwerten beziehungsweise ermöglichen die Überlagerung beziehungsweise den Vergleich von Tageslicht- und Infrarotfotos. Beim Gehäuse sollte auf kompakte Abmessungen, ein geringes Gewicht und «Baustellentauglichkeit» geachtet werden. Mobile Thermografie-Kameras sind auf hochwertige Lithium-Ionen-Akkus angewiesen, die über keinen «Memory-Effekt» verfügen, sich schnell aufladen lassen und länger durchhalten. Zum Standard-Zubehör gehört ein Netzteil, eine Ladestation, ein Netz- und USB-Kabel, eine Tasche oder ein Koffer sowie Auswertungssoftware.

Welche Kamera ist für wen geeignet?

Die «Richtige» findet man, wenn man vorher auflistet, was man alles damit tun will und was man von ihr erwartet. Der Dachdecker, Fassadenbauer oder Sanitärinstallateur stellt beispielsweise andere Anforderungen als beispielsweise ein Ingenieur beziehungsweise Bauphysiker. Während für den Handwerksbereich in Einzelfällen auch relativ niedrige Bild- und Temperaturauflösungen (160 x 120 = 19 200 Bildpunkte beziehungsweise 0,1 Kelvin) und damit auch preiswerte Einsteigermodelle ausreichen können, müssen Ingenieure, Gebäudeenergieberater, Gutachter oder Bauphysiker deutlich «schärfer» sehen - mindestens vier Mal so scharf. Hier beginnen vernünftige radiometrische Auflösungen bei mindestens 320 x 240 = 76 800 Bildpunkten, was dem vierfachen Wert entspricht. Noch besser sind Kameras mit 640 x 480 = 307 200 Bildpunkten. Die Temperaturempfindlichkeit sollte um die 0,05 Kelvin liegen. Damit kann man auch kleinste Temperaturunterschiede gut erkennen und bauphysikalischen Problemen schneller und gezielter auf den Grund gehen.

Während Thermografie-Kameras für Einsteiger bereits ab 6000 Franken zu haben sind, muss man für Profimodelle deutlich tiefer in die Tasche greifen. Zwischen 20 000 und 60 000 Franken und mehr muss man in leistungsfähigere Modelle investieren. Wer eine teure Thermografie-Kamera kauft, sollte sie auch möglichst intensiv nutzen. Ist ein Winter warm, bleibt meist nur eine kurze Nutzungsdauer von drei bis vier Monaten. Für Gelegenheitsnutzer stellt sich deshalb die Frage nach Alternativen zum Neukauf. Neben der Miete, einem Mietkauf oder einer Ausleihe besteht die Möglichkeit, Dienstleister zu beauftragen oder Gebrauchtgeräte zu kaufen.

Einige Hersteller haben diesen Markt erkannt und vermitteln auf ihren Internet-Seiten, zum Beispiel unter der Rubrik «Gebrauchtgeräte», Anbieter und Interessenten. Meist wird nach einer Neukalibrierung sogar die gleiche Garantie wie für ein Neugerät gewährt. Die Preise für wenige Jahre alte Gebrauchtgeräte liegen zwischen 20 und 50 Prozent unter dem Neupreis. Die Preise für eine Ausleihe sind abhängig vom Kameramodell. In der Regel bewegen sie sich zwischen 200 und 700 Franken pro Tag. Nicht vergessen sollte man die Notwendigkeit einer Schulung, die auch Zeit und Geld kostet (Basisschulung zwei bis fünf Tage: 700 bis 2500 Franken, Zertifizierungskurse fünf Tage: 3000 Franken). Dieser Schulungsaufwand entfällt, wenn man sich für eine Thermografie-Dienstleistung entscheidet. Hier sind allerdings keine Kostenangaben möglich, da der Leistungsumfang und damit auch das Honorar unmittelbar vom individuellen Objekt und der Aufgabenstellung abhängen. Deshalb sollte man sich in jedem Fall von einem vom Thermografie Verband Schweiz (www.thech.ch) oder EN 473-zertifizierten Dienstleister ein Angebot unterbreiten lassen. Die Zertifizierung von Thermografen nach EN 473 unterscheidet drei Qualifizierungsstufen. Danach können nur Personen, die nach Stufe 2 oder 3 zertifiziert sind, thermografische Messungen eigenständig durchführen. Als Dienstleister sollte man deshalb mindestens über eine Stufe-2-Zertifizierung für das jeweilige Anwendungsgebiet (Bau-, Elektro-, Industriethermografie) verfügen. Im Angebot enthalten sein sollten die Anfahrt, Spesen, die Arbeitszeit und Gerätetechnik, alle Materialkosten sowie die Auswertung und Dokumentation der Thermogramme.

INFOS

Weitere Infos im Web

  • http://video.google.de Videos (Suchwort: «Thermografie»)
  • www.der-thermograph.de Magazin zum Thema Thermografie
  • www.thech.ch Thermografie-Verband Schweiz
  • www.thermografie.co.at Österr. Gesellschaft für Thermografie
  • www.thermografie.de Anbieter mit vielen Infos und Beispielen
  • www.thermotemp.de Infrarotkamera-Verleih und -Service
  • www.vath.de Bundesverband angewandte Thermografie
  • www.wikipedia.de Basisinfos (Suchwort: «Thermografie»)

Hersteller / Anbieter

www.dias-infrared.de,www.ebs-thermographie.de, www.electrophysics.com, www.flir.de, www.fluke.de, www.goratec.com, www.heitronics.com, www.icodata.de, www.impacinfrared.com, www.infratec.de, www.landinst.de, www.warensortiment.de, www.testboy.de, www.testo.de, www.trotec.de, www.woehler.de

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