08:58 BAUBRANCHE

Formlose Wolken: Die Architektur von Rechenzentren

Geschrieben von: Ben Kron (bk)
Teaserbild-Quelle: Benthem Crouwel Architects

Daten und damit auch Datenspeichergebäude bestimmen unser privates und wirtschaftliches Leben. Doch die Rechenzentren, worin sich all die Datenclouds räumlich befinden, sind meist gesichtslose, rein auf die Funktion reduzierte Bauten. Dabei könnte der Bau solcher Gebäuden als Inspiration und Herausforderung dienen.

BB_2219_RechenzentrumOstschweiz

Quelle: Rechenzentrum Ostschweiz

Kürzlich fertiggestellt und daher noch nicht in der Dissertation enthalten: Das Rechenzentrum Ostschweiz dürfte indes typologisch zum Regelfall «architektonische Box» gehören.

Wir alle produzieren jeden Tag Unmengen von Daten, sowohl zu Hause wie auch am Arbeitsplatz. Immer weniger aber speichern wir diese Daten lokal auf unserem Computer oder anderen Endgeräten: Denn Daten kommen in sogenannte Clouds, digitale Datenwolken, die heute aus keinem Lebensbereich mehr wegzudenken sind. 

Mit der rasanten Zunahme web-basierter Lösungen steigt auch der Bedarf an physischem Speicherplatz, der allen Cloud-Services zugrunde liegt. Um diesen Bedarf zu decken, werden überall auf der Welt, und sehr stark auch im IT-Land Schweiz, deshalb Rechenzentren gebaut (siehe Box «Cloud-Paradies Schweiz»).

Reise zu den Rechenzentren 

Datenspeichergebäude sind damit das, was im 19. und 20. Jahrhundert die Fabriken waren. Während aber viele Fabriken zur Zeit der Industrialisierung symbolisch für Macht und Fortschritt standen, und baulich entsprechend gestaltet wurden, handelt es sich bei den Datenspeichergebäuden architektonisch meist um simple Boxen, meist ausserhalb von Siedlungsräumen. 

«Sie haben als gebaute Strukturen selten eine physisch wahrnehmbare Präsenz in der Öffentlichkeit und streben nach einer, auf ihre Funktion beschränkte, Präsenzlosigkeit.» Dieses vernichtende Urteil fällt die deutsche Architektin Katharina J. Neubauer in ihrer kürzlich veröffentlichen Dissertation, die eben diese «räumliche Präsenzlosigkeit» analysiert und hinterfragt (siehe «Buchtipp»). 

Rechenzentrum Facebook Singapur, Visualisierung, Rendering

Quelle: Facebook

Rendering des Facebook-Rechenzentrums in Singapur: Der Gigant betriebt überall auf der Welt eigene Datenspeichergebäude oder ist bei grossen Anbietern eingemietet.

Datacenter, Grossanlage, Studie, Computergrafik

Quelle: worldstopdatacenters.com

Studie eines Rechenzentrums der Zukunft: Ein Turm sorgt für physische Abgrenzung, die umliegende Fläche erzeugt die zum Betrieb nötige Energie.

Nach einem ausführlichen theoretischen Teil enthält das Buch einen mit viel Aufwand erarbeiteten empirischen Teil: Die Autorin hat es auf sich genommen, alle Rechenzentren der beiden Internetriesen Google und Facebook in Europa aufzusuchen und detailliert zu beschreiben. In insgesamt neun räumlichen Annäherungen erfasst sie so den architektonischen Ist-Zustand von Datenspeichergebäuden. 

Was einfach tönt, war aber oft mit einigen Hindernissen verbunden. Denn Datenspeichergebäude sind Anlagen mit hohen Sicherheits-Standards, die gerne im Nirgendwo und weit abseits neugieriger Blicke erstellt werden. Nicht schwierig war es hingegen, diese Datenzentren zu lokalisieren, wie die Autorin in einem Radiointerview erzählt: «Ich habe einfach bei Google 'Datenzentrum' eingegeben und wurde direkt darauf hingewiesen, wo sie sich befinden. Auch bei Google Maps wird man im Grunde zur Eingangstüre der Datenzentren geführt.»

«Sieht man sie überhaupt?» 

Zutritt zu einem der Gebäude hat die Autorin nicht erhalten, doch dies war für die Analyse auch nicht nötig. Stattdessen konzentrierte sie sich auf eine Untersuchung der Form und Lage: «Wo befinden sie sich? Was strahlen sie nach aussen aus? Sieht man sie überhaupt?» Neubauer stellt dabei fest, dass Faktoren wie Risikominimierung oder Grundstückspreis sehr oft dazu führen, «dass sich die Gebäude meist ausserhalb des öffentlichen Blickes befinden», meistens «in einem landschaftlichen oder industriellen Kontext, in dem sie nicht auffallen.» 

Baulich seien die Gebäude meist «riesige Hallen, die lang gestreckt sind, so dass die Massstäbe mehr oder weniger gar nicht wahrgenommen werden können», erinnert sie sich im Interview. «Wenn so eine Server-Halle 600 Meter misst und man da fast zehn Minuten daran entlangläuft, wird man sich dieser riesigen Dimensionen überhaupt bewusst.»

Campus 4 Green Lupfig, Datenspeichergebäude

Quelle: green.ch

Kürzlich fertiggestelltes Rechenzentrum von Green in Lupfig: Die Form der meisten solcher Gebäude orientiert sich rein an der Funktion, bemängelt die Architektin.

Klares Layout

Insgesamt sei den Bauten «die architektonische Box als Regelfall» auszumachen. «Die Räumlichkeiten unterliegen einem klaren, geometrischen und infrastrukturellen Layout.» Die Gebäude aber nehmen «kaum Bezug zum Kontext, die geografische Lage hat keine besonderen Auswirkungen auf die Gestalt der Gebäude». Deren Form richte sich nur nach Funktion und Technik und «entspricht keiner individuellen Interpretation des Ortes oder der Arbeitsaufgabe.» 

Wie aber könnte die Präsenzlosigkeit dieses Gebäudetypus aufgelöst werden, wie die Rechenzentren in Zukunft anders gestaltet? Neubauer orientiert sich in ihrer Arbeit an Rem Koolhaas und schlägt vor, «die Typologie völlig anders zu denken: als Inspirationsquelle, als räumliche Herausforderung für etwas radikal Neues.» 

Da keine Vorbilder oder Referenzen existierten, könne man eine eigene Bauform entwickeln, und dabei die architektonische Gestalt als Medium verwenden, um «gesellschaftliche Prozesse offen zu legen und das bisher Unsichtbare sichtbar werden zu lassen.»

Datacenter AM4, Amsterdam, Niederlande, Benthem Crouwel Architects

Quelle: Benthem Crouwel Architects

Löbliche Ausnahme: Beim Equinix AM4 in Amsterdam, einem Datenspeichergebäude des Unternehmens AMD, erinnert die Architektur an eine Festplatte und macht so die Datenströme und die Cloud sichtbar.

Einfluss auf Google & Co. nehmen 

Neubauer mahnt: «Wir dürfen nicht den gebauten Raum sich selbst oder rein technischen und funktionsgetriebenen Mechanismen überlassen. Architektinnen und Architekten können Einfluss nehmen auf die kritisch zu betrachtenden zentralisierten Mächte der Tech-Unternehmen wie Google oder Facebook.» Denn der Kontrast der Datenspeichergebäude zu den sich doch so bunt und offen gebenden Headquarters der Datenriesen ist tatsächlich erstaunlich.

So sieht die Architektin ihre Branche in der Pflicht. «Diese Bauaufgabe darf nicht nur reinen Planungsfirmen, die augenscheinlich nur einen ökonomischen Anspruch haben, überlassen werdeb.» Denn was wäre, wenn «Datenspeichergebäude die Bedeutung von ultra-öffentlichen Gebäuden oder Foren erlangen, dem klassischen Marktplatz gleichbedeutend»?

Speicher dezentralisieren 

Neubauer liefert zwei Denkmodelle als Ansatz: Zum einen sieht sie Rechenzentren als monumentale Bauten mit einer weit sichtbaren Form, «beispielsweise ein hoher Turm, der einen physischen Abstand in seiner Wahrnehmung benötigt, der wiederum als Sicherheitsschicht dienen kann». Oder aber Datenspeichergebäude würden dezentralisiert, wodurch es zu einer kompletten Aufhebung der bisherigen typologischen Entwicklung käme. «Dafür könnten im innerstädtischen Kontext leer stehende Gebäude wie Kaufhäuser oder Postämter ein grosses Potenzial bieten.»

BB_2219_pionen-glömdhistoria

Quelle: Glömd Historia

Rechenzentrum, Datenbunker und Gewächshaus: Der Bunker Pionen in der schwedischen Hauptstadt Stockholm stellt einen spektakulären Sonderfall von Datenspeichergebäuden dar.

Katharina Neubauer stellt in ihrem reich bebilderten Buch aber auch ganz andere, nahbare Beispiele von Datenspeichergebäuden vor. So unter anderem Pionen in der schwedischen Hauptstadt Stockholm. Es handelt sich hier im Grund zwar nicht um ein Gebäude, sondern um einen Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg, der 2008 zu einem Rechenzentrum umfunktioniert wurde. Bemerkenswert an Pionen ist der Umstand, dass dieser Datenspeicher mitten in einer Grossstadt liegt und durch eine Beschilderung auf seine Funktion aufmerksam macht als «Sweden's most modern and secure data center».

Science Fiction Design


Einzigartig ist das Design des Innenraums: Die Serverräume sind durch grosse Fenster sichtbar, das Ganze ist wie ein Gewächshaus gestaltet, mit einem 2600 Liter grossen Fischtank und einem künstlichen Tag-Nacht-Zyklus. Der Design des Konferenzraumes orientiert sich an Science-Fiction-Vorbildern und sieht laut einem Zeitungsartikel aus wie aus Stanley Kubricks Film «2001 – A Space Odyssey». Der CEO des IT-Unternehmens erläutert: «Statt uns nur auf die technische Hardware zu konzentrieren, entschieden wir uns, den Menschen ins Zentrum zu stellen.» 


Natürlich seien Sicherheit, Energie, Kühlung, Netzwerke und weitere Aspekte von zentraler Wichtigkeit, aber: «Die Leute, welche Datenzentren designen, vergessen oft - oder eigentlich immer - die Menschen, die am Ende mit der ganzen Technik arbeiten müssen.»

Cloud-Paradies Schweiz

BB_2207_Bauregion_ZH_campus

Quelle: Ben Kron

Baustelle Green.ch, Datenspeichergebäude, Datacenter, Dielsdorf

Gemessen an ihrer Bevölkerungszahl verfügt die Schweiz über die zweithöchste Dichte an Datenspeichergebäuden in Europa, gleich nach den Niederlanden. Dies geht aus einem letztes Jahr veröffentlichen Bericht des Immobiliendienstleisters CBRE hervor.

Das Unternehmen identifizierte 93 sogenannte Colocation-Datencenter, die zusammen eine Serverfläche von rund 154'000 Quadratmetern zur Verfügung stellen, ungefähr die Fläche von 22 Fussballfeldern. Die in den letzten Jahren begonnenen Grossprojekte werden dabei sowohl von Schweizer Betreibern erstellt, wie auch von internationalen Cloud-Giganten wie Google, Microsoft oder Amazon. Letzterer betreibt über eine Tochterfirma eigene Rechenzentren in der Schweiz, während sich Google und Microsoft bei lokalen Betreibern einmieten.

Drei Viertel der Schweizer Datenspeichergebäude sind auf die Grossräume Zürich, Genf und Bern konzentriert. Die zweitgrösste Schweizer Stadt Basel ist als Standort für Rechenzentren wegen der höheren Erdbebengefahr nicht geeignet. Die Region Zürich hingegen gehört in Sachen Rechenkapazität sogar zur europäischen Spitze, und ist gemäss der CBRE-Studie auf Rang sechs. Da aktuell grosse Projekte von Interxion (Glattbrugg), Green (Dielsdorf, siehe Bild) und Winterthur (Vantage) in Realisierung sind, wird die Region diesen Spitzenplatz konsolidieren. In Glattbrugg wird auch mit der Abwärme der Rechner ein Fernwärmenetz betrieben. (bk)

Buchtipp

Neubauer, Katharina J.: Datenspeichergebäude. Im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlicher Bedeutung und räumlicher Präsenzlosigkeit. Berlin 2022, 432 Seiten.


Geschrieben von

Freier Mitarbeiter für das Baublatt.

Auch interessant

Anzeige

Firmenprofile

LST Swiss AG

Finden Sie über die neuen Firmenprofile bequem und unkompliziert Kontakte zu Handwerkern und Herstellern.

Baublatt Analyse

analyse

Neue Quartalsanalyse der Schweizer Baubranche

Die schweizweite Bauaktivität auf den Punkt zusammengefasst und visuell prägnant aufbereitet. Erfahren Sie anhand der Entwicklung der Baugesuche nach Region und Gebäudekategorie, wo vermehrt mit Aufträgen zu rechnen ist.

Dossier

Spannendes aus Print und Online für Abonnenten
© James Sullivan, unsplash

Spannendes aus Print und Online für Abonnenten

Dieses Dossier enthält die Artikel aus den letzten Baublatt-Ausgaben sowie Geschichten, die exklusiv auf baublatt.ch erscheinen. Dabei geht es unter anderem um die Baukonjunktur, neue Bauverfahren, Erkenntnisse aus der Forschung, aktuelle Bauprojekte oder um besonders interessante Baustellen.

Bauaufträge

Alle Bauaufträge

Newsletter abonnieren

newsico

Mit dem Baublatt-Newsletter erhalten Sie regelmässig relevante, unabhängige News zu aktuellen Themen der Baubranche.