10:44 BAUBRANCHE

Falscher Moment für heroische Akte

Teaserbild-Quelle: Paul Batt

Muss sich die Raumplanung verändern, wenn der Klimawandel voranschreitet? Diese Frage wurde anlässlich eines Symposiums der Regionalplanung Zürich und Umgebung erörtert. Die Diskussion unter Fachleuten zeigte: Vermeintliche Patentrezepte können sich rasch als Sackgassen erweisen.

Heissere Sommer wie 2003 und starke Niederschlagsperioden wie 2005: Bis ins Jahr 2050 werden wir uns an solche «extreme» Wettersituationen gewöhnen müssen, und zwar nicht nur in unserer Freizeit- und Ferienplanung. Der Klimawandel geht auch an der Raumplanung nicht spurlos vorbei. Die Regionalplanung Zürich und Umgebung (RZU), der Planungs-Dachverband zu dem sich die Stadt Zürich und sechs angrenzende Planungsregionen zusammengeschlossen haben, hat dem Thema «Klimawandel - Planungswandel» ein Symposium gewidmet.

Wer sich anschickt, den Ausstoss der Treibhausgase zu verringern, um der Erderwärmung zu begegnen, muss die Energieeffizienz gegenüber heute steigern, fossile Energieträger durch erneuerbare ersetzen und schliesslich unnötigen Energieverbrauch vermeiden oder verhindern. So lautet die landläufig akzeptierte Klimaschutz-Strategie. RZU-Direktor Donald A. Keller rief dem zahlreich im Zürcher Konferenzzentrum Grünenhof erschienenen Publikum in Erinnerung, dass sich die Raumplanung seit jeher für eine haushälterische Bodennutzung, eine nachhaltige Siedlungsentwicklung und ein effizientes Verkehrssystem eingesetzt hat. «Grundlegende Ziel- und Interessenkonflikte zwischen Klimaschutz und Raumplanung sind deshalb nicht zu erwarten», sagte Keller. Trotzdem muss diese den Klimawandel thematisieren, denn raumplanerische Festlegungen haben langfristige Auswirkungen auf den Landschafts- und Siedlungsraum. Vorausdenken ist also Pflicht. Vermeintliche Patentrezepte zur Bewältigung des Klimawandels sind zwar rasch zur Hand, doch gerade in der Raumplanung, wo Lebens-, Wirtschafts- und Landschaftsräume eng miteinander vernetzt sind, führen sie rasch in eine Sackgasse, wenn bestimmte Gesichtspunkte ausgeblendet oder ignoriert werden. Also ist auch vernetztes Denken Pflicht.

Es wird wärmer

Mischa Croci-Maspoli, Leiter Klimainformation im Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie, bestätigte, dass die Durchschnittstemperaturen in der Schweiz seit 1970 um 1,8 Grad zugenommen haben. Ausserdem ist seit etwa 1960 festzustellen, dass Klimamodelle zur Erstellung von Prognosen und effektiv beobachtete Klimaentwicklung zunehmend auseinanderdriften. Der Trend geht laut Croci-Maspoli eindeutig in Richtung eines weiteren Temperaturanstiegs, und zwar nicht nur aufgrund natürlicher Klimafaktoren wie die Sonneneinstrahlung, die Wechselwirkung zwischen Ozeanen und Atmosphäre sowie Vulkanausbrüche. Seit rund 50 Jahren haben auch die von Menschenhand erzeugten Klimafaktoren wie der Ausstoss von CO2 und Methan (CH4) an Bedeutung gewonnen. Der Verbrauch an fossilen Energieträgern wie Erdöl oder Erdgas, welche für die Zunahme des CO2-Ausstosses verantwortlich sind, ist heute um ein Vielfaches höher als noch 1960.

Drei Aspekte des Klimawandels sind gemäss RZU-Direktor Donald A. Keller für die Raumplanung von Relevanz:

  • Die direkten raumrelevanten Veränderungen als Folge des Klimawandels, zum Beispiel landschaftliche Veränderungen wegen des Temperaturanstiegs oder des veränderten Wasserhaushalts.
  • Der Beitrag der Raumplanung zum Schutz vor den Auswirkungen des Klimawandels, besonders vor Überschwemmungen und Erdrutschen.
  • Die räumlichen Konsequenzen der Klimaschutzmassanahmen hinsichtlich Energieversorgung, Verkehrsinfrastruktur und Wohnungsbau.

Diesen Zusammenhängen haben RZU-Sekretär Marc Zaugg Stern und sein Mitarbeiter Matthias Loepfe nachgespürt. Ausgangspunkt waren für sie die drei von Keller hervorgehobenen Aspekte des Klimawandels, welche die Raumplanung künftig beeinflussen werden.

Direkte Auswirkungen

Welche Antworten oder welche Lösungsansätze hat die Raumplanung bereit, wenn die Zunahme der Hitzetage in den Städten Wärmeinseln verursacht und die Lebensqualität beeinträchtigt? Lausanne hat zum Beispiel seinen Nutzungsplan dahin überprüft, wo sich im Siedlungsgebiet Frischluftschneisen schaffen lassen und Zürich hat etwas Ähnliches in seinem Entwicklungsplan vorgesehen. Mit der Häufung starker Niederschläge stellt sich auch die Frage, wo die Kapazität des Kanalisationsnetzes zu erhöhen ist, um Rückstaus zu vermeiden. Und was geschieht mit dem Oberflächenwasser? Die Suche nach Standorten für Retentionsbecken ist eine weitere Aufgabe, welche auf die Raumplanung im Zusammenhang mit dem Klimawandel zukommt, stellen Zaugg Stern und Loepfe fest.

Der Schutz von Siedlungsgebieten und Infrastrukturbauten vor Naturgefahren, namentlich Hochwasser, Steinschlag und Erdrutschen wird mit der Zunahme starker Niederschläge an Bedeutung gewinnen. Durch die Ausscheidung von Gefahrenzonen, nicht nur auf dem Land, sondern auch in Städten, kann die Raumplanung einen Beitrag zur Gefahrenvorsorge leisten. Luzern überprüft beispielsweise zurzeit seine Hochwasserplanung und in Zürich werden für das Gebiet des Hauptbahnhofs, welcher von der Sihl unterquert wird, ähnliche Überlegungen angestellt.

Schliesslich werden sich mit den zunehmenden Trockenperioden auch landschaftliche Veränderungen die Raumplanung beeinflussen: Das trockenere Klima wird den Bedarf der Landwirtschaft nach Bewässerung steigen lassen und zum Schutz der Gemüsekulturen werden grosse Anbauflächen mit Plastikbahnen gegen das Austrocknen geschützt – ein gewöhnungsbedürftiger Anblick. Wenn zudem die Seespiegel sinken und die Bäche austrocknen, sind diese als Erholungsgebiete nicht mehr attraktiv. Deshalb muss sich die Raumplanung auch mit der Frage der Umleitung von Gewässern befassen samt der damit verbundenen ökologischen Auswirkungen.

Beitrag zum Klimaschutz

Den wichtigsten Beitrag der Raumplanung zum Klimaschutz sehen Zaugg Stern und Loepfe in der Schaffung einer Raumstruktur, die mit möglichst geringem Energiebedarf auskommt. Dazu gehört eine Siedlungsentwicklung nach innen durch Verdichtung sowie die Ausrichtung der Siedlungsstruktur auf den öffentlichen Verkehr. Das «Prinzip der kurzen Wege» soll unnötigen Individualverkehr vermeiden oder auf den öffentlichen Verkehr verlagern. Dadurch soll die bestehende Infrastruktur besser ausgelastet werden. Am Beispiel Wallisellen ZH lässt sich diese Entwicklung illustrieren: Der von Grund auf neu erstellte Bahnhof mit Geschäfts- und Wohnüberbauung ist gleichzeitig Haltestelle der Glattalbahn. In unmittelbarer Nähe entsteht auf dem brachliegenden, so genannten Richti-Areal ein neuer, urbaner Ortsteil. Einen weiteren Beitrag orten die beiden Raumplaner bei der Ver- und Entsorgung: Die Infrastrukturen für die Produktion und Verteilung von Energie sowie für die Wasserzufuhr und die Entwässerung brauchen Platz und sind deshalb in die Siedlungs- und Landschaftspläne zu integrieren, da sich Siedlungsraum, Erholungsraum und Freizeitgebiet immer enger verzahnen. Dies erfordert die Schaffung eines Energierichtplans, in welchem nicht nur die Infrastrukturen festgelegt sind, sondern auch die Energiequellen und Versorgungsgebiete.

Externe Einflüsse

Die Veränderungen des globalen Klimas haben nicht nur auf die Raumplanung, sondern auch auf «angrenzende» Sachbereiche ihre Auswirkungen. Die angestrebte Verlagerung vom Individualverkehr auf den öffentlichen Verkehr erfordert, dass die notwendigen Flächen, beispielsweise für neue Tramstrecken oder S-Bahn-Stationen, in der Richtplanung gesichert werden. Gleichzeitig darf mit der Förderung des öffentlichen Verkehrs das Siedlungsgebiet nicht ausgedehnt werden, denn dies würde die Pendlerströme verstärken.

Für Zaugg Stern und Loepfe muss auch der Aufschwung der Elektromobilität im Auge behalten werden. Diese vermag zwar den CO2-Ausstoss zu senken, doch die Verkehrsprobleme in den Agglomerationen wären damit nicht gelöst. Es besteht die Gefahr, dass die zunehmende Elektrifizierung des Individualverkehrs zu einer unerwünschten Verstärkung der Pendlerströme führt, falls die individuellen Wegkosten gering gehalten werden. Die beiden Raumplaner wiesen zudem darauf hin, dass sich der Aufschwung der Elektromobilität nicht mit den bisherigen Instrumenten wie Treibstoffsteuern oder Umwelt- und Lärmschutzgesetzgebung steuern lässt.

So sehr die energietechnische Sanierung von Gebäuden zu begrüssen ist, so sehr muss auch bedacht werden, welche Auswirkungen ihre Forcierung hat: Eine Hausse der Immobilienpreise könnte zum Beispiel eine Folge sein. Und energietechnisch optimierte Ersatzbauten können soziale Umschichtungen in den betroffenen Siedlungsgebieten zur Folge haben. Die Umstellung auf erneuerbare Energien ist heute eine vielgehörte Forderung. Die Auswirkungen einer solchen Umstellung werden aber noch kaum diskutiert. Zaugg Stern und Loepfe rufen in Erinnerung, dass die verstärkte Nutzung von Wasserkraft zu einer Veränderung des Landschaftsbild führt, beispielsweise durch die Bildung von Stauseen. Und die zunehmende Nutzung von Holz als Baustoff und Energieträger könnte bald zu Interessenkonflikten zwischen Forstwirtschaft und Erholungssuchenden führen. Bei der Solarenergie sind dagegen Ideen gefragt, wie sich Photovoltaische Anlagen auch in geschützte Orts- oder Siedlungsbilder integrieren lassen.

Diese Szenarien zur Entwicklung der Raumplanung im Klimawandel zeigen für Zaugg Stern und Loepfe, dass diese ihren Beitrag zur Bewältigung des Klimawandels bereits leistet. Dennoch dürfe nicht ausser Acht gelassen werden, dass die Raumplanung auch externen Einflüssen ausgesetzt ist.

Keine einseitigen Rezepte

Ein hochkarätiges Podium aus Raumplanungsfachleuten setzte sich anschliessend mit den präsentierten Zukunftsszenarien auseinander: Wilhelm Natrup, neuer Zürcher Kantonsplaner, Daniel Wachter vom Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) und Kurt Gilgen, Professor für Raumentwicklung an der Hochschule für Technik Rapperswil. Wachter betonte, die raumplanerischen Instrumente zur Bewältigung des Klimawandels seien bereits vorhanden. Natrup warnte vor einseitigen Rezepten: Trotz Verdichtung des Siedlungsraums und der Konzentration auf den Agglomerationsraum werde es auch in 20 Jahren noch ländliche Siedlungen geben. Diese dürfen nicht entwertet werden, denn dies habe Folgen für die Sozialstruktur und die Immobilienpreise.

Das Richtige am richtigen Ort

Gilgen räumte ein, dass die Anwendung der vorhandenen raumplanerischen Instrumente verbessert werden könnte und ebenso die Kommunikation der raumplanerischen Erkenntnisse. Natrup rief die wachsenden Pendlerströme in Erinnerung: «Wir pendeln bereits über wahnsinnige Distanzen. Bei der S-Bahn sollten wir deswegen die Prioritäten anders setzen: Haltestellen dort, wo es sie wirklich braucht werden und weniger ausserkantonale Zubringer.» Der Zürcher Kantonsplaner fragte sich zudem, ob es nicht sinnvoll wäre, in den Nutzungsplänen Standorte für die Versorgung der Bevölkerung festzulegen: «Liegen beispielsweise Verkaufsflächen bis 2000 Quadratmeter, sprich Tankstellenshops, am richtigen Ort, um die Bevölkerung ohne lange Wege zu versorgen?» Gilgen plädierte zudem für eine Erleichterung von Zwischennutzungen, um die Baulandhortung zu erschweren. Grundsätzlich unterstütze er die Forderung nach grösserer Verdichtung, aber nur, wo sinnvoll: «In ländlichen Regionen wäre es nicht sinnvoll, Nutzungen unter 60 Prozent systematisch zu verbieten. Es geht darum, das Richtige am richtigen Ort zu tun.» Dem fügte Moderator Donald A. Keller als Fazit an: «Es ist nicht die Zeit für heroische Akte, denn jede Heldenpose kann rasch zur Posse verkommen.» Massimo Diana

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