08:49 BAUBRANCHE

«Egoismus» behindert Verkehrspolitik

Teaserbild-Quelle: Bilder: Urs Rüttimann

Die Branche kann weiterhin auf eine solide Auftragslage hoffen. Der öffentliche Bau allerdings bröckelt, umso mehr verkehrspolitische Grabenkämpfe die Strassenfinanzierung gefährden. Am Tag der Bauwirtschaft in Freiburg bot der Baumeisterverband Gelegenheit für eine Auslegeordnung.

Der Immobilienmarkt ist einer der wenigen Märkte, in dem sich heute noch eine positive Rendite erwirtschaften lässt», blickt Gian-Luca Lardi optimistisch in die Zukunft. Für den Präsidenten des Schweizerischen Bau­meisterverbandes (SBV) ist aber klar, dass die Bauwirtschaft nach der zehnjährigen Wachstumsphase leicht rückläufig ist. Im Hochbau agiert insbesondere der Bund zurückhaltender, im ­Tiefbau laufen aufgrund der Sparmassnahmen zunehmend die staatlichen Grossprojekte aus. «Die Bauwirtschaft wird aber nicht einbrechen, sondern sich auf einem guten Niveau konsoli­dieren», ist Lardi überzeugt.

Weniger optimistisch schätzt der SBV-Präsident die Lage für die Tourismusgebiete ein, wo nun die Wirkung der Zweitwohnungsinitiative einsetzt. In einzelnen Regionen ist die Bautätigkeit bereits erlahmt, anderswo steht ein schmerzhafter Rückgang noch bevor. «Der Abbau von Arbeitsplätzen ist dort unvermeidlich, wenn er nicht bereits begonnen hat», so Lardi. Hinzu komme der starke Franken, der erfahrungsgemäss verzögert auch die Bauwirtschaft belasten werde. «Unsere Wirtschaft und damit unsere Arbeitsplätze sind mehr von Europa abhängig, als uns aus politischer Sicht lieb ist. Wenn wir die grosse Divergenz von wirtschaftlicher Realität und politischem Unabhängigkeitsdrang verkleinern wollen, müssen wir uns stärker auf andere Weltmärkte konzentrieren. Das ist aber leichter gesagt als
getan.»

Ersatzneubau politisch fördern

Die Siedlungsentwicklung nach innen anstelle des Bauens auf der grünen Wiese beurteilt Gian-Luca Lardi als Gebot der Zeit. Zusätzlich zum haushälterischen Umgang mit Land unterstützt er eine energieeffiziente Bauweise. «Der Gebäudepark verbraucht die Hälfte der Energie in der Schweiz.» Dieser Energieverbrauch könnte halbiert werden, wenn sämtliche veralteten Gebäude nach dem Stand der heutigen Bautechnik saniert werden. Würden die Gebäude konsequent abgerissen und ersetzt, wäre sogar eine Einsparung von 80 Prozent möglich. Das ist doppelt so viel Energie, wie der
motorisierte Strassenverkehr heute braucht. «Der SBV setzt sich hinsichtlich der Energie­strategie 2050 deshalb entschieden für eine Gleichbehandlung der Ersatzneubauten gegenüber der Sanierung ein.» Das Parlament müsse für den Ersatzneubau die Möglichkeit schaffen, die Kosten während fünf Jahren von den Steuern abzuziehen.

Weiter fordert der SBV-Präsident dazu auf, die einschränkenden Bestimmungen beispielsweise zu Abständen, Geschosszahlen und Ausnutzungsziffern zu überdenken. Nur so könne der Landverschleiss eingedämmt werden. Ebenso seien die kostspielige staatliche Regulierung und Bürokratie zu hinterfragen. In dieses Kapitel gehört auch das kantonale Baurecht: «Die Gebäudehöhe beispielsweise ist in der Schweiz 26 Mal anders definiert.» Um das gesetzliche Wirrwarr zu beheben, fordert der SBV die Kantone auf, die Baubegriffe schweizweit zu harmonisieren. Dazu sollen 30 zentrale Begriffe und Messweisen vereinheitlicht werden.

Einheitliche Baubegriffe gefordert

«Alle Parteien reden von verdichteten Bauen und weniger Bürokratie, aber wenn es ernst wird, ist man dagegen», spielt Lardi auf den Kanton Zürich an, wo eine unheilige Allianz aus SVP, SP und Grünen den Beitritt zur Interkantonalen Vereinbarung über die Harmonisierung der Baubegriffe bachab geschickt hat. «Das ist engstirnig und politisch inkonsequent.» 15 Kantone haben das Konkordat einer Harmonisierung des Baurechts bislang unterzeichnet.

Mit der Gotthard-Sanierung, der Milchkuh-Initiative sowie dem Fonds für den Agglomerationsverkehr und die Nationalstrassen (NAF) stehen für die Bauwirtschaft wichtige Abstimmungsvorlagen an. Der wirtschaftliche Erfolg der Schweiz beruhe auf einer leistungsfähigen Infrastruktur, ruft Lardi in Erinnerung. Der NAF könne, vergleichbar mit dem Bahninfrastrukturfonds Fabi, beim Nationalstrassenbau für Planungssicherheit sorgen. Als Vernunftsentscheid beurteilt er zudem den Bau einer Ersatzröhre am Gotthard, die vermutlich im Februar 2016 vors Volk kommt. «Gestritten wird eigentlich nur über die Umsetzung. Die Gegner einer Lösung mit einem Sanierungs­tunnel wollen das Tessin für drei Jahre vom Rest der Schweiz abtrennen.» Für den SBV-Präsidenten ist eine zweite Röhre aus Solidarität gegenüber der betroffenen italienischen Schweiz nötig: «Wir dürfen nicht dem regionalpolitischen Egoismus verfallen!» Zudem biete ein zweiter Tunnel mehr Sicherheit.

Andere Strassensanierungen wie die dritte Röhre am Belchen (BL / SO), der Glion-Tunnel (VD) oder der Sonnenbergtunnel (LU) wickelte der Bund mit dem jährlichen Unterhaltsbudget des Nationalstrassen ab, ohne dass sie vom politischen Radar erfasst worden wären. Die Nord-Süd-Achse hingegen kommt mit schöner Regelmässigkeit vors Schweizervolk. «Die Tessiner tun mir deshalb leid», sagt dazu Bundesrätin Doris Leuthard, «der Gotthard ist und bleibt ein Mythos.» Die polarisierende Politik rund um die Milchkuh-Initiative könne im zermürbenden Grabenkampf zwischen Schiene und Strasse keinen guten Willen für eine zweite Röhre schaffen. «Wir haben ein gesamtschweizerisches Verkehrsnetz, das den Bewohnern und Arbeitern aller Regionen zugutekommen soll», ruft die Verkehrsministerin demgegenüber in Erinnerung. Sie sieht den Zusammenhalt der Schweiz beeinträchtigt, falls der Gotthard politisch blockiert würde. «Die Sanierung des Gotthards mit einer zweiten Röhre ist ein Muss. Sie dient der Sicherheit und zahlt sich beim weiteren Unterhalt des Tunnels aus.»

Um die Strassen nach Plan zu erneuern, ­deren Betrieb zu gewährleisten und Engpässe im Netz zu beseitigen, wünscht sich Leuthard den NAF. «Jede Region soll wissen, was in den nächsten Jahren gebaut wird. Heute hingegen müssen Strassenprojekte kompliziert aus verschiedenen Kassen bezahlt werden.» Zudem wird gebaut, wenn das Geld vorhanden ist, ansonsten ist die Bautätigkeit
eingestellt. Der NAF hingegen ermöglicht eine rollende Planung und damit eine kontinuierliche Realisierung von nationalen Stras­senprojekten.

Zurzeit werden die Nationalstrassen mit der Autobahnvignette, dem Mineralölzuschlag und der Hälfte aus der Mineralölsteuer bezahlt. Diese Einnahmen sind aber allesamt seit 2008 rückläufig, während die Ausgaben für das Nationalstrassennetz gestiegen sind. «2018 werden die Reserven aus diesen Finanzierungsgefässen ­aufgebraucht sein», erklärt Bundesrätin Doris Leuthard. «Wir können dann der gesetzlichen Pflicht des Unterhalts noch nachkommen. Engpässe jedoch könnten nicht mehr beseitigt ­werden.» Die kürzlich beschlossene Nutzung der Autoimportsteuer entschärft die Lage teilweise. Sie bringt jährlich 400 Millionen Franken. Zu­sätzlich müssten aber auch der Mineralölsteuerzuschlag um 6 Rappen erhöht und die Elektromobile besteuert werden, um das Nationalstras­sennetz zu unterhalten
und auszubauen, so die Verkehrsministerin.

Kurzsichtige Milchkuh-Initiative

Seit 1974 beträgt der Zuschlag für die Mineralölsteuer 30 Rappen pro Liter. Die Teuerung ist in diesem Zeitraum indessen um 136 Prozent gestiegen. «Die Automobilisten wurden also lange Zeit geschont. Der damalige Zuschlag entspricht teuerungsbereinigt heute noch 16 Rappen.» Zusätzlich ist der Treibstoffpreis wieder auf das ­Niveau vor 10 Jahren gefallen, während sich der durchschnittliche Verbrauch eines Autos von ­8 auf 6 Liter reduziert hat.

«Die Milchkuh-Initiative führte dem Bundesrat ­vor Augen, dass die Automobilisten einen guten Teil ihrer Infrastruktur selber bezahlen», räumt Leuthard ein. Sie würde jährlich 1,5 Milliarden Franken in die Strassenkasse spülen. Ihrer Ansicht nach machen es sich die Initianten jedoch zu einfach, weil aus einer Gesamtverantwortung über den Treibstoff Einnahmen für andere Zwecke als den Strassenbau gewonnen werden. Die entstandenen finanziellen Löcher müssten wie auch immer gestopft werden. Dabei soll der Bund bis 2019 voraussichtlich zwei Sparpakete von ­voraussichtlich jeweils 1,2 Milliarden Franken schnüren. «Der Bundesrat und das Parlament, die das Budget und seine Verflechtungen kennen, lehnen deshalb diese Initiative ab.»

Die Initiative schafft zudem noch keinen Stras­senfonds, der den Unterhalt und den kontinuierlichen Ausbau des Strassennetzes garantiert. «Das müsste der Bundesrat in jahrelanger Arbeit neu konzipieren», so Leuthard. Ebenso würde ein Gesetz fehlen, wie bei den Nationalstrassen die Sanierung und die Engpassbeseitigung abge­wickelt werden. Bei einer Annahme der Milchkuh-Initiative also müsste der Bundesrat die gesamte Gesetzesgrundlage nochmals erarbeiten. Demgegenüber könnte ab 2018 / 2019 aus dem NAF in Nationalstrassen- und Agglomerationsprojekte investiert werden. (ur)

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