15:12 BAUBRANCHE

«Die Lenkungsabgabe ist keine Steuer»

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Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf ist bauwelt.ch Red und Antwort gestanden. Sie erklärt, weshalb die geplante Lenkungsabgabe eine gute Sache ist und verrät auch, was sie nach ihrer Zeit im Amt geplant hat.

Die scheidende Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf engagiert sich für die Lenkungsabgabe. (© EFD)

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Die scheidende Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf engagiert sich für die Lenkungsabgabe.

Bauwelt.ch (bw): Der Bundesrat möchte ab 2021 die Subventionen für erneuerbare Energien nach und nach zurückfahren und dafür eine Lenkungsabgabe auf Strom, Brenn- und Treibstoffe einführen. Wie soll diese ausgestaltet werden?

Eveline Widmer-Schlumpf (W.S.): Die erste Etappe zur Energiestrategie 2050 befindet sich in der Schlussphase der parlamentarischen Beratung. In der Klima- und Energiepolitik soll ab 2021 der Übergang vom Förder- zum Lenkungssystem stattfinden. Die Grundlage für diese zweite Etappe bildet ein neuer Verfassungsartikel. Dieser legt fest, dass Abgaben auf Brenn- und Treibstoffen sowie Strom erhoben werden können. Der Bundesrat beabsichtigt jedoch, die Treibstoffe in einer ersten Phase nicht der Lenkungsabgabe zu unterstellen. Die Abgaben sollen einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass der Verbrauch von fossiler Energie und damit Treibhausgasemissionen vermindert und generell Energie sparsam und effizient genutzt wird. Die Erträge aus den Lenkungsabgaben werden an die Bevölkerung und die Wirtschaft rückverteilt, sodass die Belastung der Haushalte und Unternehmen insgesamt nicht ansteigt. In einer befristeten Übergangszeit soll ein Teil der Erträge für die bisherigen Förderzwecke verwendet werden. Für Unternehmen, deren Betrieb oder Produktion besonders treibhausgas- oder energieintensiv ist, sind Erleichterungen vorgesehen. Die konkrete Ausgestaltung des Lenkungssystems erfolgt im Rahmen der Klima- und der Energiegesetzgebung.

bw: Sie möchten die Bundesverfassung ändern; das heisst, der Vorschlag von Lenkungsabgaben käme vors Volk. Wie wollen Sie dem Hüslibesitzer, der momentan Geld für seine Photovoltaikanlage erhält, diese Idee schmackhaft machen?

W.S.: Die Förderung erneuerbarer Energien ist in einer ersten Etappe durchaus sinnvoll. Fördermassnahmen sind rasch umsetzbar und entfalten relativ schnell ihre Wirkung. Dabei kann es jedoch zu sogenannten Mitnahmeeffekten kommen: Fördergelder werden in Anspruch genommen, obwohl das gewünschte Verhalten – wie beispielsweise die Installation einer Photovoltaikanlage – auch ohne die staatliche Förderung erfolgt wäre. Bei zu langer Förderung besteht die Gefahr von dauerhaften Marktverzerrungen. Insgesamt werden durch Lenkungsabgaben energie‐ und klimapolitische Ziele zu tieferen volkswirtschaftlichen Kosten erreicht als mit Fördermassnahmen oder Vorschriften. Die Veränderung der relativen Preise lässt den Haushalten und Unternehmen die Freiheit, ihr Verhalten dort anzupassen, wo dies zu den geringsten Kosten möglich ist. Zusätzlich bewirken preisliche Anreize, dass fortwährend weitere, noch bessere Möglichkeiten gesucht werden, um Emissionen und Energieverbrauch zu reduzieren. Dies führt zur Entwicklung von neuen und innovativen Lösungen.

bw: Lenkungsabgabe klingt nach Steuererhöhung. Wie sichern sie eine gerechte Rückverteilung der Abgabe, damit die Haushalte und die Industrie nicht mehrbelastet werden?

W.S.:Die Lenkungsabgabe ist keine Steuer, da die Erträge aus den Lenkungsabgaben vollständig an die Bevölkerung und die Wirtschaft ausgezahlt werden. Die Rückverteilung bewirkt, dass die Belastung der Haushalte und Unternehmen insgesamt nicht ansteigt. Haushalte und Unternehmen mit einem niedrigen Energieverbrauch werden belohnt, da sie mehr Geld zurückerhalten, als sie an Abgaben entrichten. Es ist vorgesehen, die Erträge über Ermässigungen bei den Krankenkassenprämien an die Bevölkerung und im Verhältnis zur Lohnsumme an die Unternehmen rückzuverteilen. In einer befristeten Übergangszeit sollen die Erträge aus den Lenkungsabgaben teilweise den bisherigen Förderzwecken zugutekommen.

bw:Liberale Kreise haben Angst, dass die Lenkungsabgabe den Werkplatz Schweiz gefährden könnte. Wie wollen Sie dies verhindern?

W.S.:Erstens wird die zusätzliche Abgabebelastung der Unternehmen durch die Rückverteilung der Lenkungsabgaben kompensiert. Die gesamte Abgabebelastung der Wirtschaft soll also nicht ansteigen. Zweitens sind für besonders energie- und treibhausgasintensive Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, spezielle Abfederungsmassnahmen vorgesehen. Sie sollen nur reduzierte Abgaben oder gar keine leisten müssen. Im Gegenzug müssen sich diese Unternehmen jedoch zu Reduktionsmassnahmen in Form von Zielvereinbarungen verpflichten.

bw:Von den Subventionen haben Wirtschaftszweige wie die Cleantech-Branche oder Haustechnik-Firmen profitiert. Auch diese gilt es ins Boot zu holen.

W.S.:Lenkungsabgaben fördern ebenfalls energetische Sanierungen und grüne Technologien. Zudem werden Innovationsanreize ausgelöst. Diese schaffen neue Geschäftsmodelle und damit neue Arbeitsplätze – insbesondere im Cleantechbereich.

bw: Haben Sie keine Angst, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien rückläufig wird, wenn die Subventionen fehlen?

W.S.:Nein. Der Einsatz von Klima- und Stromabgaben vermittelt kontinuierliche Anreize, Emissionen und Energieverbrauch zu reduzieren und in energiesparende und emissionsmindernde (grüne) Technologien zu investieren. So gibt die CO2-Abgabe Anreize, weniger fossile Energie zu konsumieren. Dies kann über eine erhöhte Energieeffizienz (zum Beispiel durch Wärmedämmung von Häusern), aber auch über den Ersatz fossiler Energie durch erneuerbare Energie (zum Beispiel Sonnenenergie) erreicht werden. Auch die Stromabgabe gibt einen Anreiz, beispielweise eine effizientere Wärmepumpe zu wählen, oder als Eigenverbraucher mit einer Photovoltaikanlage Strom zu erzeugen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Produktion von erneuerbarer Energie immer günstiger wird.

bw:Kritiker sagen, dass die Marktpreise für Photovoltaik vielleicht wieder steigen werden, wenn die Subventionen versiegen. Und das, wo beinahe die Netzparität erreicht ist. Wie sehen Sie das?

W.S.:Die Produktionskosten von Strom aus Photovoltaiktechnologie werden weiter sinken, und die Photovoltaiktechnologie wird entsprechend immer wettbewerbsfähiger. Ein Problem stellen jedoch in der Tat die gegenwärtig tiefen Strompreise dar, die teils durch die starke ausländische Subventionierung bedingt sind. Mit diesen tiefen Preisen haben jedoch alle Stromproduzenten ihre Schwierigkeiten. Hier kann nur ein anderes Strommarktdesign Abhilfe verschaffen.

bw:Und noch zwei persönliche Fragen: Was gedenken Sie nach Ihrem Rücktritt als Bundesrätin zu tun?

W.S.:Ich werde etwas Distanz schaffen zu meinem heutigen politischen und beruflichen Alltag und mehr Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden verbringen.

bw:Werden Sie sich weiterhin für die Energiewende stark machen, oder das weitere Geschehen unbeteiligt betrachten?

W.S.:Die Energiewende wird mir weiterhin ein grosses Anliegen sein und ich werde mich weiterhin dafür einsetzen; dies aber im Hintergrund.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview wurde schriftlich geführt. Für bauwelt.ch korrespondierte Nina Gerwoll

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