16:13 VERSCHIEDENES

Resistente PFAS chemisch knacken

Geschrieben von: Stefan Schmid (sts)
Teaserbild-Quelle: Wikimedia Commons – Dadoka – eigenes Werk

Wegen ihrer Eigenschaften galten PFAS lange für viele Anwendungsfelder als vorteilhaft. Doch die «Ewigkeitschemikalien» werden für Mensch und Umwelt zum Problem. Ein Forscherteam der TU Berlin will mit einem neuen Ansatz PFAS den Garaus machen.


PFAS

Quelle: Wikimedia Commons – Dietmar Rabich – eigenes Werk

In vielen Materialien von Konsum- und Industrieprodukten befinden sich PFAS – auch im Textil von Regenschirmen.

Sie machen Regenjacken und -schirme wasserabweisend und Pfannen resistent gegen Anhaftungen. Die Industrie verwendet sie als Kältemittel oder für Kabelummantelungen. Bei Bränden fördern per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS) als Additive in Schäumen eine effektive Löschwirkung. Sie stecken in Verpackungen, Pflanzenschutzmitteln und vielen anderen Produkten. Aufgrund ihrer witterungsbeständigen Eigenschaften werden PFAS auch in Farben eingesetzt, oder sie machen Teppiche schmutzabweisend und befinden sich in Dichtstoffen für den Wetterschutz. 

Mehrere tausend synthetische Chemikalien

Seit den 1970er-Jahren werden PFAS ihrer speziellen Stoffeigenschaften wegen in zahlreichen Prozessen und Produkten eingesetzt. Mittlerweile umfasst die PFAS-Gruppe mehrere tausend synthetische Chemikalien. Längst haben sich viele an die Annehmlichkeiten und Funktionen von Produkten gewöhnt, welche PFAS erst möglich machten. Doch in den letzten Jahren zeigte es sich mehr und mehr, dass die Risiken der Substanzen lange unterschätzt wurden. In die Umwelt gelangen können PFAS bei der Herstellung, beim Gebrauch oder der Entsorgung. Viele der PFAS werden von Lebewesen leicht aufgenommen, reichern sich im menschlichen Körper, in Organismen, Tieren und Sedimenten sowie in Pflanzen an.

Sanierung kontaminierter Flächen  

Nach heutigem Wissensstand sind für einige PFAS gesundheitsschädigende Wirkungen bekannt. Im Tierversuch wirken einige der Substanzen leberschädigend, reproduktions- und immuntoxisch. Doch bestehen nach wie vor Wissenslücken. Einige PFAS sind als besonders besorgniserregende Stoffe identifiziert, bei anderen sind die Folgen für die Menschen und die Umwelt noch weniger erforscht. In der Schweiz und in anderen Ländern sind die Chemikalien inzwischen verboten. 
Denn mittlerweile lassen sich die geruchlosen Chemikalien an vielen Orten nachweisen. Die Böden von Arealen, die mit hohen Konzentrationen von PFAS kontaminiert sind, müssen aufwendig saniert werden. PFAS sind fett-, schmutz- und wasserabweisend. Dazu müssen sie thermisch und chemisch äusserst stabil sein. Laut dem Bundesamt für Umwelt BAFU sind die Alkylverbindungen nahezu nicht abbaubar. Die Stoffe können weder durch Wasser noch durch Licht oder Bakterien zeitnah abgebaut werden. 

Silizium-basierte Lewis-Säuren

Forschern und Forscherinnen der TU Berlin verfolgen nun einen Ansatz, der es dereinst ermöglichen könnte, die äusserst stabilen Verbindungen der «Ewigkeitschemikalien» zu knacken. «Die Beständigkeit der PFAS steht in direktem Zusammenhang mit ihren stabilen Kohlenstoff–Fluor-Bindungen, die nur sehr schwer aufzubrechen sind», erklärt Martin Oestreich, Professur an der TU Berlin und Leiter des Fachgebiets «Organische Chemie / Synthese und Katalyse» sowie Mitglied von «UniSysCat», dem Katalyse-Exzellenzcluster der Universität.

PFAS

Quelle: Wikimedia Commons – Dadoka – eigenes Werk

PFAS haben eine effektive und schnelle Löschwirkung bei Flüssigkeitsbränden. Dabei bildet sich ein stabiler, dünner Flüssigkeitsfilm, der die Flamme vom Sauerstoff abschirmt.

Dabei sei vor allem die sogenannte Elektronenpaarbindung zwischen den Fluor- und den Kohlenstoffatomen in den PFAS besonders stark. Um auf PFAS einwirken zu können, brauche es einen Stoff, der sehr gerne Elektronenpaare aufnehme, erklärt Oestreich. Solche Substanzen nennen sich «Super-Lewis-Säuren». Bei Lewis-Säuren handelt es sich nicht um eine bestimmte chemische Verbindung wie Salz- oder Schwefelsäure, sondern um ein besonderes Konzept in der Chemie, um die Begriffe «Säure» und «Base» zu definieren. Entwickelt wurde es 1923 vom US-amerikanischen Physikochemiker Gilbert Newton Lewis.

Bedarf nach Elektronen fördern

Oestreich beschreibt den Ansatz folgendermassen: «Unsere Super-Lewis-Säuren enthalten neben zwei organischen Resten vor allem ein Siliziumatom, das zusätzlich ein Halogen trägt, also etwa ein Fluoratom. Das führt zu einer immensen Bedarf nach Elektronenpaaren.» Entscheidend sei die Kombination des ohnehin schon elektronenhungrigen Siliziumatoms mit dem stark elektronenziehenden Fluor. Auch zerre das Fluor zusätzlich an den verbliebenen äusseren Elektronen des Siliziums. Der Elektronenmangel führe beim Silizium zu einem extremen Bedarf nach Elektronenpaaren. Silizium werde damit zum perfekten Angreifer auf die PFAS, wie die TU Berlin mitteilt.

Herstellung ist komplex

 Super-Lewis-Säuren mit Silizium und Halogenen wurden lange nur theoretisch vorhergesagt, zumal ihre Herstellung alles andere als einfach ist. Im Jahr 2021 gelang Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an der TU Berlin dann der Durchbruch. Zur Erzeugung von Super-Lewis-Säuren setzten sie damals erstmals auf das Verfahren der Protolyse, bei der in einem Zyklus einzelne chemische Gruppen von einer Verbindung abgetrennt werden, um eine neue zu synthetisieren, wie die TU Berlin in der Mitteilung schreibt. Bei der Protolyse wird in einer chemischen Reaktion ein Proton zwischen zwei Reaktionspartnern übertragen. Sinngemäss geht es um die Abspaltung von Protonen.
Im Prinzip werden laut Oestreich bewährte Prozesse aus der Kohlenstoffchemie auf die Siliziumchemie übertragen. Die Experimente in der Folge galten als aufwendig, weil alle Arbeiten auf kleinem Raum unter Schutzgasatmosphäre durchgeführt werden mussten. Weder Sauerstoff noch Wasser durften mit den Substanzen in Berührung kommen.

Verbindungen quantenmechanisch verstanden

Die Basis der Forscherarbeit bildeten Berechnungen auf dem Gebiet der Theoretischen Chemie sowie der Quantenchemie. Erstmals seien quantenmechanische Rechnungen zum Einsatz gekommen, mit denen die Säurestärke der hergestellten Moleküle vorausberechnet werden konnte. Dabei lag der Fokus einzig auf der Molekularstruktur, wie es heisst. Dieses Vorgehen habe es ermöglicht, die Verbindungen komplett quantenmechanisch zu verstehen, was sich als Vorteil herausgestellt habe. Um die Berechnungen experimentell zu verifizieren, wurden die «Super-Lewis-Säuren» dann unter anderem mit Kernresonanz-Spektroskopie (NMR) untersucht. 

Regenerationsprozess der Säuren als Pluspunkt

Beim Abbau der gesundheitsschädlichen PFAS werden Super-Lewis-Säuren als Katalysatoren nicht verbraucht. Die Super-Lewis-Säuren werden zwar durch die Aufnahme von Elektronenpaaren beim Knacken einer Verbindung verändert, doch sie können sich voraussichtlich in einem Regenerationsprozess wieder in die ursprüngliche Super-Lewis-Säure verwandeln, wie es in der Mitteilung der TU Berlin heisst. Damit haben sie die Funktion von Katalysatoren, die bei der Reaktion zwar verbraucht, aber wiedergewonnen werden. Dies könnte sich laut den Forscherinnen und Forschern als grosser Pluspunkt erweisen – und es wäre ein besonderer Clou. Denn zum Abbau von Kontaminationen wären im Fall der PFAS-knackenden Substanzen nicht grosse Mengen erforderlich. Vielmehr gehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler davon aus, dass geringe Mengen der neuen Super-Lewis-Säuren ausreichen würden, um die «Ewigkeitschemikalien» unschädlich zu machen. (mgt/sts)

Die Forschungen an der TU Berlin sind auch in einem Beitrag der Fachzeitschrift Nature Chemistry beschrieben.

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