In Städten mit U-Bahn wird weniger Auto gefahren
U-Bahnen können entscheidend zur Reduzierung des Autoverkehrs in Städten beitragen. Tramnetze verringern diesen zwar ebenfalls, aber weitaus nicht im selben Ausmass. Diesen Schluss zieht eine Studie des Complexity Science Hub. Es gibt aber Ausnahmen wie Bern, Utrecht oder Szeged.
Quelle: Eric Lee Johnson / Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa / Public Domain
Schnell mit der London Underground oder der "Tube" unterwegs: Fahrgäste der Edgeware Line im 1937. - Londons U-Bahnnetz wurde 1863 eröffnet und gilt als ältestes der Welt. - Die Aufnahme stammt vom neuseeländischen Fotografen Eric Lee Johnson.
«Die Wahl des besten öffentlichen Transportmittels ist eine zentrale Herausforderung für Städte», sagt Rafael Prieto-Curiel vom unabhängigen Forschungsinstitut Complexity Science Hub (CSH) mit Sitz in Wien, das sich vor allem mit der Untersuchung komplexer Systeme befasst. Eine Hilfe beim Entscheid für ein Transportmittel könnte Kommunen seine Studie liefern: Prieto-Curiel hat dazu Mobilitätsdaten aus knapp 400 europäischen Städten ausgewertet. In seiner Analyse kommt Prieto-Curiel zum Schluss, dass in Städten, die über ein U-Bahnetz verfügen, in der Regel weniger Auto gefahren wird als in solchen, bei denen der ÖV aus Tramlinien besteht. Konkret hat er 47 Städte mit einer U-Bahn unter die Lupe genommen sowie 46 Städte ohne U-Bahn aber mit Tram und 285 Städte, die weder das eine noch das andere haben.
Autoverkehr in U-Bahn-Städten 37 Pozent, in Tram-Städten 50 Prozent
Dabei stellte er fest, dass der Anteil des Autoverkehrs in U-Bahn-Städten bei 37 Prozent liegt, in Tram-Städten bei 50 Prozent und in Städten ohne Metro und ohne Tram gar bei 54 Prozent. Ausserdem stellte er fest, dass der Anteil derjenigen die mit ÖV in der Stadt unterwegs sind, mit 36 Prozent in U-Bahnstädten am höchsten ist. In Tramstädten beläuft er sich auf 21 Prozent, in Städten ohne U-Bahn und ohne Tram beträgt der Anteil lediglich 16 Prozent. Die Zahlen gewichtete Prieto-Curiel nach der Einwohnerzahl der einzelnen Städte: «Grössere Städte haben einen grösseren Einfluss auf den Durchschnitt, weil dort mehr Menschen unterwegs sind.»
Zudem beobachtete er, dass der Unterschied beim Mobilitätsverhalten mit der Grösse der Städte zunimmt: In Metropolen mit über 750'000 Einwohnern, in denen es keine U- Bahn gibt, rangiert der Autofahrtenanteil bei 63 Prozent, dabei spielt es keine Rolle, ob zusätzlich noch ein Tramnetz vorhanden ist oder nicht. In Grossstädten mit einer Metro und einer Bevölkerung von 750'000, verändert sich der Autofahrtenanteil hingegen kaum: Er liegt relativ stabil bei etwa 36 Prozent.
Quelle: Emmanuel Cassar, Unsplash
Legendäres Tram: In Mailand verkehren bis heute Tramwagen des Typs Ventotto, die gelben Fahrzeuge sind längst zu einem Wahrzeichen avanciert. Die beiden Prototypen mit den Nummern 1501 und 1502 wurden in den Jahren 1927/1928 gebaut.
Das bedeutet wiederum: In Städten mit U-Bahn verändert sich die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht gross, auch wenn die Bevölkerung respektive die Stadt wächst. In Tram-Städten geht sie in derselben Situation aber zurück.
Sind Bern, Szeged und Utrecht Fussgänger- und Velostädte?
Es gibt allerdings Ausnahmen: Als Beispiele führt Prieto-Curiel Utrecht (Niederlande), Szeged (Ungarn) und Bern an, die zar nicht über eine U-Bahnsystem verfugten, aber dennoch nur einen Autoanteil von etwa 20 Prozent aufweisen. Der Forscher begründet dies damit, dass ein Grossteil der Einwohner zu Fuss oder mit dem Velo unterwegs ist. «Umgekehrt haben Rom und Toulouse, obwohl es eine U-Bahn gibt, mit über 60 % einen relativ hohen Autoanteil.»
Allerdings merkt Prieto-Curiel an, dass sich im Durchschnitt jedoch ein deutlicher Effekt beobachten lässt: «Nehmen wir an, eine Stadt hat eine Million Einwohner. Den Berechnungen zufolge fallen bei Vorhandensein einer U-Bahn etwa 370 Millionen Autofahrten pro Jahr an. In einer Stadt von gleicher Grösse mit Straßenbahn, aber ohne U-Bahn steigt diese Zahl auf 700 Millionen, also um beinahe das Doppelte.» Laut Prieto-Curiel können sich bereits kleine Veränderungen spürbar auswirken: «In Wien zum Beispiel würde eine Reduzierung des täglichen Anteils der Autofahrten von 27 Porzent auf 26 Prozent fast 4 Prozent weniger Autofahrten bedeuten – das sind etwa sechs Millionen Fahrten pro Jahr weniger.»
Mit dem Aufkommen der Autos verschwanden viele Tramnetze
Seine Blütezeit erlebte das Tram in den 1930er-Jahren: Damals hatten weltweit etwa 900 Städte ein Strassenbahnnetz. Als aber Autos immer populärer und erschwinglicher wurden, verschwanden viele Strassenbahnnetze wieder: Zur Mitte des 20. Jahrhunderts gab es bereits zwei Drittel nicht mehr, und Anfang der 1990er Jahre verfügten weniger als 300 Städte über eine Strassenbahn.
Quelle: Gemeinfrei
Das Tram von Lugano war ein Pionierprojekt: Die Strassenbahn ist zwischen 1896 und 1959 in Betrieb gewesen und gilt als erste Bahn Europas, die mit Drehstrom betrieben worden ist. Ab Mitte der 1950er-Jahre ist das Netz, das um das Seebecken führte, nach und nach verkleinert und schliesslich ganz mit Autobussen ersetzt worden. ( Die Postkarte zeigt die Piazza Giardino.)
Dies änderte sich in den letzten Jahrzehnten, mancherorts gab es ein regelrechtes Tram-Revival: Im 2020 verfügten der Studie zufolge wieder etwas mehr als 400 Städte über Strassenbahnen, die jährlich schätzungsweise 14,7 Milliarden Fahrgäste befördern. Weltweite Hochburg dieses Verkehrsmittels ist Europa: Hier befinden sich beinahe 60 Prozent der gesamten Netzlänge, und auf dieser sind wiederum 75 Prozent aller Fahrgäste unterwegs.Zum Vergleich: Im 2020 waren weltweit rund 190 Städte mit U-Bahnen ausgestattet – sie beförderten jedoch 58,3 Milliarden Fahrgäste pro Jahr, damit ist die jährliche Passagierzahl beinahe vier Mal so hoch wie jene der Strassenbahnen.
«Öffentliche Verkehrssysteme in ihrer Wirksamkeit sehr unterschiedlich»
«Wenn es aber darum geht, den Autoverkehr zu reduzieren, zeigt die Studie deutlich, dass öffentliche Verkehrssysteme in ihrer Wirksamkeit sehr unterschiedlich sind», resümiert Preito-Curiel. Da Strassenbahnen in der Regel langsamer sind und eine geringere Kapazität haben als U-Bahnen, reduzieren sie laut Prieto-Curiel die Autonutzung nicht im selben Ausmass. Deutlich zeigt die Studie laut dem Wissenschaftler aber auch, dass öffentliche Verkehrsmittel mit hoher Kapazität ein wichtiger Motor für nachhaltige urbane Mobilität sind: «Selbst eine geringe Reduzierung des Autoverkehrs kann erhebliche kollektive Vorteile bringen.»
Somit bleibt die Wahl des besten öffentlichen Transportmittels eine zentrale Frage für Städte. U-Bahnen können zwar viele Menschen schnell über grosse Entfernungen befördern, weil sie aber eher teuer sind, sind sie auch an weniger Orten unterwegs. Strassenbahnen werden oft als günstigere Alternative angesehen. (mai/mgt)