09:18 KOMMUNAL

Koch-Areal in Zürich: Vom Schandfleck zur Oase

Geschrieben von: Corinne Pitsch-Obrecht (cpo)
Teaserbild-Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Darauf musste Zürich lange warten: Nachdem das Koch-Areal während zehn Jahren besetzt war und ebenso lange als Schandfleck galt, wurde Ende Juni endlich der neue Quartierpark eröffnet. Ab Ende 2026 folgen die Wohnhäuser mit über 300 Genossenschaftswohnungen. Ein Blick in den Park sowie auf die turbulente Geschichte des Quartiers.

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Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Blick in Richtung Flurstrasse. Die Koch-Wiese kann erst nach Fertigstellung der Bauarbeiten fertig gepflanzt respektive ausgesäht werden; noch verhindert die Baustelle die Gärtnerarbeiten.

Vor Kurzem war es endlich soweit: Der Koch-Park konnte feierlich eröffnet werden. Lange musste sich die Stadtbevölkerung gedulden, doch nun wird sie gebührend belohnt: Mit dem Koch-Park zwischen Albisrieden und Altstetten ist ein grünes Refugium entstanden, mit Wildblumen und über 200 Bäumen. Der Park soll das «grüne Herz» des neuen Koch-Quartiers bilden, wie Grün Stadt Zürich auf seiner Webseite schreibt. 

Rund um den Park herrscht noch reges Treiben. Der grösste Teil des 12 000 Quadratmeter grossen Parkes mag fertiggestellt sein, die Wohnungen sind es noch nicht. Auf den Baustellen wird der Hitze getrotzt, die Bagger und Bohrer laufen auf Hochtouren. Auf dem Dach des Kraftwerk1-Gebäudes steht das kürzlich errichtete «Aufrichtungstannli». Der etappenweise Bezug der noch im Bau befindlichen 327 Wohnungen im Koch-Quartier ist ab Ende 2026 geplant.

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Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Die alten Gleise erinnern an das industrielle Erbe: Wo früher die Koch Wärme AG fabrizierte, entstand eine grüne Oase.

Von der Industriefabrik zum innovativen Stadtpark

Die historischen Gleise und die alte Kohlenlagerhalle erinnern stark an das industrielle Erbe. Wo heute der Park steht, war früher die Fabrik der Firma Koch Wärme AG, gegründet 1875. 1926 bezog die Firma, damals noch unter dem Namen «H. Koch Kohlen Zürich», das Areal. Sowohl Altstetten wie auch Albisrieden waren bis zu ihrer Eingemeindung 1934 selbständige politische Gemeinden, sozusagen Dörfer vor den Toren Zürichs. 1996 kaufte die UBS das Areal, die Koch Wärme AG wurde 1997 von der A.H. Meyer Holding AG übernommen, welche vor allem im Bereich Mineralölhandel, aber auch im Automobilgeschäft sowie im Bereich Immobilien tätig ist.

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Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Alte Ziegel als Teil der Mauer.

Die historische Bedeutung soll erhalten bleiben, wie Stadtrat André Odermatt bei der Eröffnung im Juni erklärte: «Die sanierte Kohlelagerhalle bildet das identitätsstiftende Zentrum des Koch-Areals – ein markanter Zeuge der Industriegeschichte, der als kultureller Anker bewahrt bleibt. Aus städtebaulicher Sicht ermöglicht die Halle die Verbindung von Vergangenheit und Zukunft und verleiht dem neuen, durchmischten Quartier einen einzigartigen Charakter». Die Halle wird nun zum Treffpunkt für die Quartierbewohner und kommt als überdeckter Aufenthalts- oder Veranstaltungsort zum Einsatz. Der Dach-Schriftzug «Kohlen Koch Heizoel» verweist auf die historische Nutzung des Gebäudes und lässt sich bei Bedarf beleuchten.

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Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Die alte Kohlenlagerhalle der Firma Koch Wärme AG. Sie steht unter Denkmalschutz. Bei der Planung wurde sie bewusst leer gelassen; sie bleibt rund um die Uhr zugänglich. 

Regenwasser wird vollständig vor Ort verwertet

Entlang der Kohlenlagerhalle befindet sich auf beiden Seiten ein sogenannter «jardin sauvage»: ein naturbelassener urbaner Garten mit vielfältigen Grünflächen. Seitlich der Wege finden sich Totholz sowie wiederverwendete Materialien wie aufgebrochener Beton, die gemeinsam Biodiversität schaffen. Bereits bestehende, grosse Bäume konnten während der Bauarbeiten erhalten bleiben. Der Park gilt dank den hellen Bodenbelägen, umfangreichen Entsiegelungen sowie einer durchdachten Regenwassernutzung als wichtiger Beitrag zur Hitzeminderung im städtischen Raum. Er grenzt sich somit klar von Quartieren wie beispielsweise der Europaallee ab. Dazu hat nicht zuletzt die Tatsache beigetragen, dass das Projekt durch seine verschiedenen Gebäudetypen und Umsetzungen sehr heterogen daherkommt. Dieses leicht «Zusammengewürfelte» soll bewusst eine Vielfältigkeit und Individualität schaffen. 

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Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

In der alten Kohlenlagerhalle, neu dem grössten überdachten Aufenthaltsraum der Stadt, gibt es neu auch eigens geschaffene Sitzgelegenheiten: Stühle mit «KOCH»-Schriftzug.

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Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Eine willkommene Erfrischung an heissen Sommertagen: Ein langer Brunnen mit Frischwasser für die Parkbesucher.

Ein zukunftsweisender Ansatz zeigt sich auch im Regenwassermanagement: Sämtliches Regenwasser bleibt auf dem Gelände, wird aufgefangen, weiterverwendet, verdunstet oder versickert – ein Abfluss erfolgt nicht. Zu diesem Zweck entwickelten die Planer spezielle Speicherelemente, sogenannte Wassertöpfe, die über ein hohes Fassungsvermögen verfügen. Durch ihre feinen Poren kann das Wasser nach aussen dringen und dort allmählich verdunsten. So wird nicht zuletzt zum Schutz der Wasserressourcen beigetragen. Apropos Regen: Unter dem schützenden Dach der Kohlenlagerhalle lässt sich gut das Spektakel des herabstürzenden Dachwassers beobachten.

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Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Die sogenannten Wassertöpfe speichern das Regenwasser.

Über 300 Wohnungen, aber kaum frei verfügbar

Das Erfreuliche vorweg: Auf dem Koch-Areal entstehen über 300 günstige Wohnungen und schaffen so einen Mehrwert für über 900 Menschen. Dies ist nicht zuletzt auch für Familien eine tolle Nachricht, ist es doch gerade für sie oft schwer, bezahlbaren Raum in der Stadt zu finden. Allerdings: Zwar erwarb die Stadt im Jahr 2013 das Areal und vergab daraufhin vergünstigte Baurechte an die Genossenschaften Kraftwerk1 und Allgemeine Baugenossenschaft Zürich (ABZ) mit dem Ziel, preisgünstigen Wohnraum zu schaffen. Ein weiteres Baurecht auf dem Gelände erhielt die Immobilienentwicklerin Senn zur Errichtung eines Gewerbebaus. 

Aber: Obwohl fast 330 neue Wohnungen entstehen, wird die Anzahl öffentlich ausgeschriebener Wohnungen verschwindend klein sein. Die beiden Genossenschaften ABZ und Kraftwerk1 vergeben die Wohnungen primär respektive ausschliesslich an ihre Mitglieder. Mitglied kann bei der ABZ allerdings erst werden, wer einen unbefristeten Mietvertrag hat. Aktuell hat die ABZ 9000 Mitglieder. Die Chancen, eine der 204 neuen Wohnungen im Koch-Quartier zu ergattern, dürften also gering sein. Ähnlich tönt es bei Kraftwerk1. Erschwerend hinzu kommt, dass sich bei Kraftwerk1 nur Mitglieder für die Koch-Park-Wohnungen bewerben dürfen, welche sich bis Ende letzten Jahres registriert hatten. Aktuell hat die Genossenschaft 5500 Mitglieder, nur gerade 700 davon wohnen in einer der bestehenden drei Siedlungen. Der Run auf die 123 neuen Wohnungen dürfte daher gewaltig sein.

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Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Im Vordergrund die Überbauung von Senn (Gewerbehaus), im Hintergrund bei den Kränen zu sehen die Wohnsiedlung der Genossenschaft Kraftwerk1.

Aus Besetzung wird Begegnung

Dem Koch-Areal geht eine lange und berühmt-berüchtigte Geschichte voraus. Als die Stadt Zürich das Koch-Areal Ende 2013 der damaligen Eigentümerin UBS für 70 Millionen Franken abkaufte, lastete bereits eine Hypothek auf dem Grundstück: Im März desselben Jahres hatten Autonome das Areal in Beschlag genommen und für sich beansprucht. Sie sorgten in den Folgejahren immer wieder für zahlreiche Lärmklagen und Eklats. So hatte denn diese Hypothek auch eine feste Dauer von zehn Jahren: So lange nämlich liess die Stadt die Hausbesetzer gewähren, ehe sie im Februar 2023, einen Tag vor Baubeginn, das Areal endlich räumen liess – unter Protest. Kritiker monierten in der Vergangenheit, das Koch-Areal sei ein Mahnmal für die «Laisser-Faire»-Politik der Stadt Zürich. Von Rechtsungleichheit und Imageschäden für die Stadt war die Rede. Linke Kreise argumentierten, autonome Zentren seien wichtig für die Kultur in der Stadt und es müsse auch Platz haben für Kreatives. 

Tatsächlich hat die Stadt Zürich einen anderen Weg für Hausbesetzer gewählt als Städte wie beispielsweise Bern. Wie der Tagesanzeiger 2016 zitierte: «Stadtpräsidentin Corine Mauch gab bekannt, dass sich der Stadtrat […] intensiv mit dem Thema befasst habe. Er sei zum Schluss gekommen, dass sich die bisherige Politik im Umgang mit Hausbesetzungen bewährt habe und dass daran festgehalten werden solle: keine Räumung und kein Abriss auf Vorrat, weil sonst der Bewachungsaufwand enorm wäre.» Am 15.Februar 2023 wurde das Areal schliesslich geräumt. Nur einen Tag später fuhren die Bagger auf und die Bauarbeiten respektive der Rückbau konnte beginnen. Und so wird nun nach langen Jahren aus dem Ort des Protestes ein Ort der Begegnung. Der Park ist öffentlich zugänglich und soll allen Stadtbewohnern als Rückzugsort und Erholungsgebiet dienen. Ein echter Freiraum, für alle.

Unter dem folgenden Link kann der Baufortschritt auf dem Areal live via Webcam verfolgt werden: kochquartier.ch

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Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Er bleibt auch in Zukunft: Der Zirkus Chnopf. Der Zirkus Chnopf ist ein gemeinnütziger Verein, der sich der Förderung junger Talente in den Bereichen Artistik und Physical Theater widmet, wie er selber auf seiner Webseite schreibt. Jedes Jahr von Juni bis September organisiert der Zirkus ein Freilichtspekakel und tourt damit auch durch die Schweiz. Das Ensemble besteht zu einem Teil aus Profis; dazu kommen junge Talente im Alter von 14-20 Jahren. Statt einem Eintritt bezahlen die Besucher einen Beitrag an die Hutkollekte am Ende der Vorstellung.

Neue Gesetzgebung: Hausbesetzung

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Quelle: Vogler, Gertrud: Zürich/F 5107-Na-13-153-003 (Schweizerisches Sozialarchiv)

Die Hausbesetzung erfüllt den Tatbestand von Artikel 186 des Schweizerischen Strafgesetzbuches, namentlich Hausfriedensbruch. Allerdings wurde die gesetzliche Grundlage nicht überall gleichermassen strikt umgesetzt. Da Hausfriedensbruch ein Antragsdelikt ist, muss zuerst ein Strafantrag gestellt werden, bevor die Polizei Massnahmen ergreifen kann. Die Stadt Zürich hatte ausserdem zusätzlich weitere Bedingungen aufgeführt, welche ein Eingreifen der Polizei respektive eine Räumung eines Grundstückes rechtfertigen sollten, so eine Abbruch-/Baubewilligung, eine konkrete Neunutzung oder eine akute Bedrohung der Sicherheit oder des Denkmalschutzes.

Damit könnte allerdings bald Schluss sein: Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer in der Schweiz können künftig leichter gegen Besetzungen vorgehen. Der Nationalrat hat Anfang Juni die letzte Differenz zum Ständerat bei der entsprechenden Vorlage ausgeräumt. Die grosse Kammer fällte ihren Entscheid mit 110 zu 72 Stimmen ohne Enthaltungen. Damit setzte sich im Rat eine Mehrheit aus SVP, FDP und Mitte durch. Das Geschäft ist bereit für die Schlussabstimmung. Die Vorlage sieht im Wesentlichen zwei Änderungen des Zivilgesetzbuches vor: Zum einen dürfen Hauseigentümer Besetzer künftig innert angemessener Frist, nachdem sie von einer Besetzung erfahren haben, selbst vertreiben. Nach aktuell geltendem Recht ist solche Selbsthilfe nur zulässig, wenn sie sofort erfolgt.

Bei der zweiten Änderung geht es darum, dass Hauseigentümer rascher eine Zwangsräumung des Grundstücks erwirken können sollen. Im Fokus stehen laut Parlamentsunterlagen insbesondere Fälle, in denen Zahl und Identität der Besetzerinnen und Besetzer unbekannt ist. (cpo/sda)

Geschrieben von

Redaktorin Baublatt

Begeistert von Bauprojekten aller Art. Weitere Interessensbereiche sind Geschichte, Politik, Management und Gesellschaft. Zudem ist sie für die Kolumnen zuständig und steht deshalb in Kontakt mit allen grossen Verbänden.

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