Koch-Areal in Zürich: Vom Schandfleck zur Oase
Darauf musste Zürich lange warten: Nachdem das Koch-Areal während zehn Jahren besetzt war und ebenso lange als Schandfleck galt, wurde Ende Juni endlich der neue Quartierpark eröffnet. Ab Ende 2026 folgen die Wohnhäuser mit über 300 Genossenschaftswohnungen. Ein Blick in den Park sowie auf die turbulente Geschichte des Quartiers.

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht
Blick in Richtung Flurstrasse. Die Koch-Wiese kann erst nach Fertigstellung der Bauarbeiten fertig gepflanzt respektive ausgesäht werden; noch verhindert die Baustelle die Gärtnerarbeiten.
Vor Kurzem war es endlich soweit: Der Koch-Park konnte
feierlich eröffnet werden. Lange musste sich die Stadtbevölkerung gedulden,
doch nun wird sie gebührend belohnt: Mit dem Koch-Park zwischen Albisrieden und
Altstetten ist ein grünes Refugium entstanden, mit Wildblumen und über 200
Bäumen. Der Park soll das «grüne Herz» des neuen Koch-Quartiers bilden, wie
Grün Stadt Zürich auf seiner Webseite schreibt.
Rund um den Park herrscht noch reges Treiben. Der grösste
Teil des 12 000 Quadratmeter grossen Parkes mag fertiggestellt sein, die
Wohnungen sind es noch nicht. Auf den Baustellen wird der Hitze getrotzt, die
Bagger und Bohrer laufen auf Hochtouren. Auf dem Dach des Kraftwerk1-Gebäudes
steht das kürzlich errichtete «Aufrichtungstannli». Der etappenweise Bezug der
noch im Bau befindlichen 327 Wohnungen im Koch-Quartier ist ab Ende 2026
geplant.

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht
Die alten Gleise erinnern an das industrielle Erbe: Wo früher die Koch Wärme AG fabrizierte, entstand eine grüne Oase.
Von der Industriefabrik zum innovativen Stadtpark
Die historischen Gleise und die alte Kohlenlagerhalle
erinnern stark an das industrielle Erbe. Wo heute der Park steht, war früher
die Fabrik der Firma Koch Wärme AG, gegründet 1875. 1926 bezog die Firma,
damals noch unter dem Namen «H. Koch Kohlen Zürich», das Areal. Sowohl
Altstetten wie auch Albisrieden waren bis zu ihrer Eingemeindung 1934
selbständige politische Gemeinden, sozusagen Dörfer vor den Toren Zürichs. 1996
kaufte die UBS das Areal, die Koch Wärme AG wurde 1997 von der A. H. Meyer Holding AG übernommen,
welche vor allem im Bereich Mineralölhandel, aber auch im Automobilgeschäft
sowie im Bereich Immobilien tätig ist.

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht
Alte Ziegel als Teil der Mauer.
Die historische Bedeutung soll erhalten bleiben, wie
Stadtrat André Odermatt bei der Eröffnung im Juni erklärte: «Die sanierte
Kohlelagerhalle bildet das identitätsstiftende Zentrum des Koch-Areals – ein
markanter Zeuge der Industriegeschichte, der als kultureller Anker bewahrt
bleibt. Aus städtebaulicher Sicht ermöglicht die Halle die Verbindung von
Vergangenheit und Zukunft und verleiht dem neuen, durchmischten Quartier einen
einzigartigen Charakter». Die Halle wird nun zum Treffpunkt für die Quartierbewohner
und kommt als überdeckter Aufenthalts- oder Veranstaltungsort zum Einsatz. Der
Dach-Schriftzug «Kohlen Koch Heizoel» verweist auf die historische Nutzung des
Gebäudes und lässt sich bei Bedarf beleuchten.

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht
Die alte Kohlenlagerhalle der Firma Koch Wärme AG. Sie steht unter Denkmalschutz. Bei der Planung wurde sie bewusst leer gelassen; sie bleibt rund um die Uhr zugänglich.
Regenwasser wird vollständig vor Ort verwertet
Entlang der Kohlenlagerhalle befindet sich auf beiden Seiten
ein sogenannter «jardin sauvage»: ein naturbelassener urbaner Garten mit
vielfältigen Grünflächen. Seitlich der Wege finden sich Totholz sowie
wiederverwendete Materialien wie aufgebrochener Beton, die gemeinsam
Biodiversität schaffen. Bereits bestehende, grosse Bäume konnten während der
Bauarbeiten erhalten bleiben. Der Park gilt dank den hellen Bodenbelägen,
umfangreichen Entsiegelungen sowie einer durchdachten Regenwassernutzung als
wichtiger Beitrag zur Hitzeminderung im städtischen Raum. Er grenzt sich somit
klar von Quartieren wie beispielsweise der Europaallee ab. Dazu hat nicht
zuletzt die Tatsache beigetragen, dass das Projekt durch seine verschiedenen
Gebäudetypen und Umsetzungen sehr heterogen daherkommt. Dieses leicht
«Zusammengewürfelte» soll bewusst eine Vielfältigkeit und Individualität
schaffen.

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht
In der alten Kohlenlagerhalle, neu dem grössten überdachten Aufenthaltsraum der Stadt, gibt es neu auch eigens geschaffene Sitzgelegenheiten: Stühle mit «KOCH»-Schriftzug.

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht
Eine willkommene Erfrischung an heissen Sommertagen: Ein langer Brunnen mit Frischwasser für die Parkbesucher.
Ein zukunftsweisender Ansatz zeigt sich auch im Regenwassermanagement: Sämtliches Regenwasser bleibt auf dem Gelände, wird aufgefangen, weiterverwendet, verdunstet oder versickert – ein Abfluss erfolgt nicht. Zu diesem Zweck entwickelten die Planer spezielle Speicherelemente, sogenannte Wassertöpfe, die über ein hohes Fassungsvermögen verfügen. Durch ihre feinen Poren kann das Wasser nach aussen dringen und dort allmählich verdunsten. So wird nicht zuletzt zum Schutz der Wasserressourcen beigetragen. Apropos Regen: Unter dem schützenden Dach der Kohlenlagerhalle lässt sich gut das Spektakel des herabstürzenden Dachwassers beobachten.

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht
Die sogenannten Wassertöpfe speichern das Regenwasser.
Über 300 Wohnungen, aber kaum frei verfügbar
Das Erfreuliche vorweg: Auf dem Koch-Areal entstehen über 300 günstige Wohnungen und schaffen so einen Mehrwert für über 900 Menschen. Dies ist nicht zuletzt auch für Familien eine tolle Nachricht, ist es doch gerade für sie oft schwer, bezahlbaren Raum in der Stadt zu finden. Allerdings: Zwar erwarb die Stadt im Jahr 2013 das Areal und vergab daraufhin vergünstigte Baurechte an die Genossenschaften Kraftwerk1 und Allgemeine Baugenossenschaft Zürich (ABZ) mit dem Ziel, preisgünstigen Wohnraum zu schaffen. Ein weiteres Baurecht auf dem Gelände erhielt die Immobilienentwicklerin Senn zur Errichtung eines Gewerbebaus.
Aber: Obwohl fast 330 neue Wohnungen entstehen, wird die
Anzahl öffentlich ausgeschriebener Wohnungen verschwindend klein sein. Die
beiden Genossenschaften ABZ und Kraftwerk1 vergeben die Wohnungen primär
respektive ausschliesslich an ihre Mitglieder. Mitglied kann bei der ABZ
allerdings erst werden, wer einen unbefristeten Mietvertrag hat. Aktuell hat
die ABZ 9000 Mitglieder. Die Chancen, eine der 204 neuen Wohnungen im
Koch-Quartier zu ergattern, dürften also gering sein. Ähnlich tönt es bei
Kraftwerk1. Erschwerend hinzu kommt, dass sich bei Kraftwerk1 nur Mitglieder
für die Koch-Park-Wohnungen bewerben dürfen, welche sich bis Ende letzten Jahres
registriert hatten. Aktuell hat die Genossenschaft 5500 Mitglieder, nur gerade
700 davon wohnen in einer der bestehenden drei Siedlungen. Der Run auf die 123
neuen Wohnungen dürfte daher gewaltig sein.

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht
Im Vordergrund die Überbauung von Senn (Gewerbehaus), im Hintergrund bei den Kränen zu sehen die Wohnsiedlung der Genossenschaft Kraftwerk1.
Aus Besetzung wird Begegnung
Dem Koch-Areal geht eine lange und berühmt-berüchtigte Geschichte voraus. Als die Stadt Zürich das Koch-Areal Ende 2013 der damaligen Eigentümerin UBS für 70 Millionen Franken abkaufte, lastete bereits eine Hypothek auf dem Grundstück: Im März desselben Jahres hatten Autonome das Areal in Beschlag genommen und für sich beansprucht. Sie sorgten in den Folgejahren immer wieder für zahlreiche Lärmklagen und Eklats. So hatte denn diese Hypothek auch eine feste Dauer von zehn Jahren: So lange nämlich liess die Stadt die Hausbesetzer gewähren, ehe sie im Februar 2023, einen Tag vor Baubeginn, das Areal endlich räumen liess – unter Protest. Kritiker monierten in der Vergangenheit, das Koch-Areal sei ein Mahnmal für die «Laisser-Faire»-Politik der Stadt Zürich. Von Rechtsungleichheit und Imageschäden für die Stadt war die Rede. Linke Kreise argumentierten, autonome Zentren seien wichtig für die Kultur in der Stadt und es müsse auch Platz haben für Kreatives.
Tatsächlich hat die Stadt Zürich einen anderen Weg für Hausbesetzer gewählt
als Städte wie beispielsweise Bern. Wie der Tagesanzeiger 2016 zitierte:
«Stadtpräsidentin Corine Mauch gab bekannt, dass sich der Stadtrat […] intensiv
mit dem Thema befasst habe. Er sei zum Schluss gekommen, dass sich die bisherige
Politik im Umgang mit Hausbesetzungen bewährt habe und dass daran festgehalten
werden solle: keine Räumung und kein Abriss auf Vorrat, weil sonst der
Bewachungsaufwand enorm wäre.» Am 15. Februar
2023 wurde das Areal schliesslich geräumt. Nur einen
Tag später fuhren die Bagger auf und die
Bauarbeiten respektive der Rückbau konnte beginnen. Und so wird nun nach langen
Jahren aus dem Ort des Protestes ein Ort der Begegnung. Der Park ist öffentlich
zugänglich und soll allen Stadtbewohnern als Rückzugsort und Erholungsgebiet
dienen. Ein echter Freiraum, für alle.
Unter dem folgenden Link kann der Baufortschritt auf dem Areal live via Webcam verfolgt werden: kochquartier.ch

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht
Er bleibt auch in Zukunft: Der Zirkus Chnopf. Der Zirkus Chnopf ist ein gemeinnütziger Verein, der sich der Förderung junger Talente in den Bereichen Artistik und Physical Theater widmet, wie er selber auf seiner Webseite schreibt. Jedes Jahr von Juni bis September organisiert der Zirkus ein Freilichtspekakel und tourt damit auch durch die Schweiz. Das Ensemble besteht zu einem Teil aus Profis; dazu kommen junge Talente im Alter von 14-20 Jahren. Statt einem Eintritt bezahlen die Besucher einen Beitrag an die Hutkollekte am Ende der Vorstellung.
Neue Gesetzgebung: Hausbesetzung

Quelle: Vogler, Gertrud: Zürich/F 5107-Na-13-153-003 (Schweizerisches Sozialarchiv)
Die Hausbesetzung erfüllt den Tatbestand von Artikel 186 des
Schweizerischen Strafgesetzbuches, namentlich Hausfriedensbruch. Allerdings
wurde die gesetzliche Grundlage nicht überall gleichermassen strikt umgesetzt.
Da Hausfriedensbruch ein Antragsdelikt ist, muss zuerst ein Strafantrag
gestellt werden, bevor die Polizei Massnahmen ergreifen kann. Die Stadt Zürich
hatte ausserdem zusätzlich weitere Bedingungen aufgeführt, welche ein
Eingreifen der Polizei respektive eine Räumung eines Grundstückes rechtfertigen
sollten, so eine Abbruch-/Baubewilligung, eine konkrete Neunutzung oder eine
akute Bedrohung der Sicherheit oder des Denkmalschutzes.
Damit könnte allerdings bald Schluss sein: Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer in der Schweiz können künftig leichter gegen Besetzungen vorgehen. Der Nationalrat hat Anfang Juni die letzte Differenz zum Ständerat bei der entsprechenden Vorlage ausgeräumt. Die grosse Kammer fällte ihren Entscheid mit 110 zu 72 Stimmen ohne Enthaltungen. Damit setzte sich im Rat eine Mehrheit aus SVP, FDP und Mitte durch. Das Geschäft ist bereit für die Schlussabstimmung. Die Vorlage sieht im Wesentlichen zwei Änderungen des Zivilgesetzbuches vor: Zum einen dürfen Hauseigentümer Besetzer künftig innert angemessener Frist, nachdem sie von einer Besetzung erfahren haben, selbst vertreiben. Nach aktuell geltendem Recht ist solche Selbsthilfe nur zulässig, wenn sie sofort erfolgt.
Bei der zweiten Änderung geht es darum, dass Hauseigentümer
rascher eine Zwangsräumung des Grundstücks erwirken können sollen. Im Fokus
stehen laut Parlamentsunterlagen insbesondere Fälle, in denen Zahl und
Identität der Besetzerinnen und Besetzer unbekannt ist. (cpo/sda)