Lockdown: Stromverbrauch zeigt Wirtschaftslage
Der Lockdown im Frühling führte zu einem wirtschaftlichen Einbruch in der Schweiz. Laut einer Studie der Universität Bern ging die Produktion zwischen 7 und 11 Prozent zurück. Die Autoren nutzten Daten zum stündlichen Stromverbrauch als Basis.
Quelle: Markus Kräft, pixelio.de
Während des Lockdowns sank der Stromkonsum; zudem verlagerte er sich zum Teil ins Home Office.
„Während konventionelle ökonomische Indikatoren wie etwa die Entwicklung des Bruttoinlandproduktes nur zeitverzögert zur Verfügung stehen, stellt der stündliche Elektrizitätsverbrauch die wirtschaftliche Situation in Echtzeit dar“, sagt Doina Radulescu vom KPM. Sie hat zusammen mit Doktorand Benedikt Janzen hat die Auswirkungen des Lockdowns auf den Elektrizitätskonsum in der Schweiz sowie in den einzelnen Kantonen im Rahmen einer Studie analysiert und daraus Aussagen über die wirtschaftlichen Folgen der Covid19-Massnahmen abgeleitet.
Produktion zwischen 7 und 11 Prozent gesunken
Um den Rückgang des stündlichen Elektrizitätskonsums unverfälscht analysieren zu können, verwendeten die Autoren von Swissgrid zur Verfügung gestellte Daten zur stündlich verbrauchten Energie. Zudem bereinigten die Wissenschaftler die Daten, indem sie Klimaverhältnisse sowie zeitliche Einflussfaktoren wie Feiertage, Wochentage und Uhrzeiten kontrollierten. Dabei zeigte sich: Die schweizweite Stromnutzung hat von Beginn des Lockdowns bis hin zu den ersten Lockerungen vom 26. April um 4.6% abgenommen.
Werden nur Werktage analysiert, beträgt der Rückgang der Stromlast gar 7.4%. „Nimmt man kurzfristig eine direkte Beziehung zwischen Elektrizitätsverbrauch und Produktion an, bedeutet ein Rückgang des Elektrizitätskonsums von 4.6% umgerechnet einen Produktionsrückgang im Industrie-, Transport-, Dienstleistungs- und Landwirtschaftssektor von etwa 7%“, erklärt Radulescu. Dies allerdings laut Radulescu unter der Annahme, dass zwei Drittel des Elektrizitätskonsums in der Schweiz den Unternehmen zugeschrieben werden können. So bedeutet der Rückgang der stündlichen Stromlast von 7.4% an den Werktagen, dass sich die Produktion um rund 11% verringert hat.
„Mit der schrittweisen Lockerung der Massnahmen erreichte auch der Elektrizitätskonsum langsam wieder sein Ausgangsniveau“, so Ko-Studienautor Janzen. Wenn man die Änderung im Vergleich zu 2019 über den längeren Zeitraum zwischen Januar und September betrachtet, so beträgt die Reduktion der Stromlast 2%, was einen Output-Rückgang von etwa 3% im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Auch in diesem Fall fällt der Rückgang stärker aus, wenn man nur die Werktage betrachtet: Die Abnahme des Stromverbrauchs beträgt 2.8% und der Produktionsrückgang im Industrie-, Transport-, Dienstleistungs- und Landwirtschaftssektor somit etwa 4.2%.
Weniger CO2-Emissionen aus Stromimporten
Die drastische Reduktion der Stromnachfrage beeinflusste auch die bei der Stromproduktion freigesetzten CO2-Emissionen: Zwar wird der Strom in der Schweiz hauptsächlich durch Wasser- oder Kernkraft erzeugt und ist damit eher emissionsarm. Aber in den Wintermonaten und im Frühjahr wird auch Strom aus anderen Quellen aus dem benachbarten Ausland importiert, um den hiesigen Bedarf zu decken.
In den sechs Wochen nach Beginn des Lockdowns sanken die CO2-Emissionen pro importierte Kilowattstunde um 32.7%. „Grund dafür ist die verringerte Nachfrage nach Strom sowie die vorteilhaften Wetterbedingungen für erneuerbare Energien“, so Janzen. Beides führte dazu, dass es zu einem Überangebot an Strom kam, die Elektrizitätspreise stark sanken und fossile Energieträger aus dem Markt verdrängt wurden. Dies hatte vor allem in Deutschland eine zeitweilig starke Veränderung des Produktionsmix hin zu erneuerbaren Energieträgern als Folge.
Homeoffice verlagert wirtschaftliche Aktivität
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass gerade in Krisenzeiten Schätzungen des Bruttoinlandsproduktes fehlerbehaftet sind und oft nach unten revidiert werden müssen. „Ein Blick auf den Elektrizitätsverbrauch kann hier Abhilfe leisten“, weiss Radulescu. Wie bereits andere Studien belegten, stelle der Elektrizitätskonsum einen geeigneten Indikator der wirtschaftlichen Aktivität eines Landes dar. Allerdings weist sie darauf hin, dass es durch Homeoffice zu einer teilweisen Verlagerung der wirtschaftlichen Aktivität weg von den Unternehmen hin zu den Haushalten gekommen sei.
Im Hinblick auf die Reduktion der CO2-Emissionen – die weltweiten Emissionen etwa in Zusammenhang mit Elektrizitätsproduktion oder Verkehr – ist laut Radulescu erwarten, dass diese nur von temporärer Natur sind: „Wenn eine Verlangsamung von Investitionen und Innovationen im Bereich umweltfreundlicher Technologien wegen der wirtschaftlichen Krise stattfindet und Klimaziele weniger Priorität erhalten, so kann es sein, dass die kurzfristigen Reduktionen langfristig durch einen Anstieg aufgehoben werden.“ (mgt/mai)
Unterschiede zwischen den Kantonen
Die schweizweiten Massnahmen wirkten sich regeionl zum Teil sehr unterschiedlich auf die stündliche Stromlast aus: Während im Norden und Osten der Schweiz die Reduktion am geringsten ausgeprägt war, verzeichneten vor allem die Kantone im Westen und Süden einen starken Rückgang des Elektrizitätskonsums. "Die Unterschiede lassen sich vor allem dadurch erklären, dass die Massnahmen unterschiedlich streng umgesetzt wurden und dadurch, dass einzelne Kantone weitere Massnahmen ergriffen", sagt Radulescu. "Zudem beeinflusst die wirtschaftliche Struktur eines Kantons die Höhe des Lastrückgangs."
Starke Stromreduktion im Tessin
Somit verzeichneten diejenigen Kantone eine besonders starke Stromreduktion , die entweder zusätzlich zu den Massnahmen des Bundes weitere
Einschränkungen eingeführt haben – wie etwa das Tessin – oder Kantone, deren
Wirtschaft durch den verhältnismässig stark eingeschränkten
Dienstleistungssektor geprägt sind.
Die Reduktion in industrielastigen Kantonen
fiel hingegen geringer aus. So war der Rückgang im Kanton Wallis mit 17.3% am
drastischsten ausgeprägt, während in den industrialisierten Kantonen Basel-Land
und Basel-Stadt eine Reduktion der stündlichen Stromlast um nur 3.8% zu
beobachten war. (mgt/mai)