Unterer Letten in Zürich: Badsanierung in urbanem Flussraum
In Zürich gibt es eine grosse Dichte an alten öffentlichen Bädern. Eines davon ist das Flussbad Unterer Letten aus dem Jahr 1910. Seit 2023 wird es etappenweise saniert. Ein Einblick in die spannende Geschichte des Limmat-Bads, das bei seiner Entstehung noch am Rand der Stadt lag und heute Teil einer wachsenden, pulsierenden Erholungszone ist.
Quelle: Katrin Ambühl
Aufnahme von Oktober 2024 bei der Instandhaltung bzw. beim Auswechseln der Bodenbretter. Rechts im Bild das Tanzhaus, links das Getreidesilo von Swissmill und das Eisenbahnviadukt.
Quelle: Baugeschichtliches Archiv
Der Stich von ca. 1888 zeigt, wie ländlich der Ort war, wo das Flussbad Unterer Letten 20 Jahre später entstehen sollte.
Die Nachbarsgebäude sind Neubauten und Industriezeugen. Direkt neben dem Bad steht das neue Tanzhaus, eine Architekturperle aus der Feder von Barozzi Veiga aus dem Jahr 2019. Gegenüber vom Flussbad ragt das 118m hohe Getreidesilo von Swissmill in den Himmel, das zweithöchste Gebäude von Zürich. Weiter zu sehen vom Bad aus sind der Eisenbahnviadukt oder die alte Cigarettenfabrik mit Baujahr 1916, heute eine Event-Location. «Es ist kein herausgeputzter Ort, entfernt vom beschaulichen Stadtzentrum», beschreibt die Architektin Marcella Ressegatti die Lage. «Ein Ort mit der Geschichte der Drogenkrise am Letten, aber ein industriell geprägter gewachsener Ort, der auch etwas Verträumtes hat», sagt sie, die zusammen mit Jay Thalmann das Architekturbüro Ressegatti Thalmann führt und mit der Instandsetzung beauftragt wurde.
Wie weit der Untere Letten einmal von der Stadt entfernt war, zeigt ein Stich von ca. 1888, rund 20 Jahre vor dem Bau des Flussbads. Das Eisenbahnviadukt existiert schon, abgesehen davon ist die Szenerie aber ländlich und bäuerlich. Doch die Industrialisierung in Zürich nahm damals rasch Fahrt auf. In dieser Zone wurden Fabriken, ein Wasserkraftwerk und sogenannte Arbeiterwohnkolonien gebaut. Kurz nach der Erbauung des Flussbads Oberer Letten (1896) entstand zwischen 1909 und 1910 in nächster Nähe das zweite am unteren Letten. Das Flussbad ist ein Holzbau auf Pfählen und liegt auf dem Kraftwerkkanal in der Limmat. Vier schindelverkleidete Häuschen prägen den Entwurf von Friedrich Fissler (1875–1964), der Stadtbaumeister und ein bedeutender Vertreter des Heimatstils war. Zunächst umfasste das Flussbad oberhalb im terrassierten Hang gelegene Sonnenterrassen und darüber eine Liegewiese. 1955 wurde das Flussbad – bis 1928 ein reines Männerbad – mit einem Nichtschwimmer- und einem Planschbecken sowie Garderoben und einem Kiosk im Wiesenbereich erweitert. Weitere bauliche Eingriffe waren die Instandsetzung der Stege und Rechen im Flussbad (1990) sowie 2005 die Instandsetzung der oberen Garderobe und ein Neubau für Eingang und Kiosk.
Quelle: Baugeschichtliches Archiv
Altes Flussbad mit oben am terrassierten Hang gelegenen Sonnenterrassen. Flussbad mit Kanalbecken vom Rechen aus gesehen. Aufnahmedatum und Fotograf unbekannt.
Komplexe Instandhaltung
Die Architektinnen, deren Büro ganz in der Nähe des Flussbads an der Limmat liegt, schätzen das über die Jahrzehnte pragmatisch Gewachsene, sehen das Additive als grosse Qualität. «Uns geht es darum, daran weiterzubauen, so dass das Bad technisch und funktional weitere hundert Jahre bestehen kann», sagt Ressegatti. Anfangs hat das Architekturbüro nicht nur die Planung, sondern auch die Bauleitung verantwortet. «Es sah zunächst nach einer einfachen Instandhaltung aus. Doch mit der Zeit tauchten immer mehr Themen auf», sagt Ressegatti. Ursprünglich hätte das Projekt in einer Etappe ausserhalb der Sommeröffnungszeiten realisiert werden sollen, doch es dehnte sich schliesslich auf drei Etappen aus. Deshalb und wegen der Komplexität übernahm schliesslich das Büro dierealisatorin.ch die Bauleitung. Es hatte bereits die Bauleitung für den Umbau des historischen Frauenbads am Stadthausquai Zürich von 2021 bis 2022 verantwortet.
Nach zwei Jahren Bauzeit ausserhalb der Sommeröffnungszeit fallen den Badegästen 2025 wohl die herausgeputzten Häuschen im Flussbad auf. Sie wurden mit neuen Schindeln verkleidet. Alle vier Häuschen sind mit Laubengängen verbunden. Hier wurden beim Dach unter der Einfachdeckung die doppelten Holzspliesse mit Aluminiumplättchen verstärkt, damit sie weniger feucht werden und seltener ersetzt werden müssen. Beim Dach des Flussbads wurden soweit möglich alle alten Ziegel restauriert und wieder aufgesetzt. «Doch kaum war das Dach fertig, wurde es mit Graffiti versprayt», sagt die Architektin Ressegatti. Weil bei einer Reinigung in Flussnähe das Risiko von Chemikalien, die ins Gewässer geraten könnten, zu hoch war und eine notwendige Auffangvorrichtungen für das Reinigungswasser an dieser Stelle aufwändig und teuer gewesen wäre, gab es nur eine Lösung: Die versprayten Ziegel mit neuen auszutauschen.
Quelle: Baugeschichtliches Archiv
Unterer Letten mit um 1955 hinzugekommenem Nichtschwimmer- und Planschbecken im Wiesenbereich.
Nichts für Warmduscher
Herausforderungen gab es zudem bei den Bauteilen im Wasser. «Der Betonunterzug war wegen eines elastischen Verputzes in weit schlechterem Zustand als der Augenschein und Sondagen vermuten liessen. Die Kanalmauer war unterspült, was zu erwarten war», rekapituliert die Architektin. Wegen Pegelschutz, Fischschutz-Argumenten aber vor allem wegen der Logistik sei die Instandsetzung aufwendig gewesen. Alle Maschinen und Materialien mussten beim EWZ etwas oberhalb im Limmatkanal eingewässert und so zum Bad transportiert werden. Bezüglich Technik mussten ebenfalls Kompromisse gemacht werden, erzählt die Architektin: «Eigentlich waren Warmwasserduschen geplant, doch Sonnenkollektoren oder ähnlich wären zu gross für die Anlage geworden und schlecht verträglich mit dem denkmalgeschützten Gebäude. Weil man hier aber nicht nachhaltig erzeugte Energie vermeiden wollte, hat die Stadt darauf verzichtet.» Insgesamt sei ihr Hauptanliegen gewesen, optische Ruhe ins Gebäude zu bringen, die Symmetrie wiederherzustellen. Aus diesem Grund versetzten die Architektinnen die Toiletten an den Rand. Zudem wurde mehr Platz beim Eingang geschaffen.
Die nächste und letzte bauliche Intervention, die nach Saisonschluss im Herbst 2025 in Angriff genommen wird, ist die vielleicht wichtigste. Die rückseitige Fassade zum Kloster-Fahr-Weg. «Wie im Originalbau wird die Fassade neu wieder mit Fenstern ausgestattet», sagt Ressegatti. Dies sei entscheidend für die architektonische Offenheit vom Weg sowie vom Badinnern aus, fügt sie an. Die Fassade wurde in der Zeit der Drogenszene am Letten komplett mit Holz verschalt. Mit dieser Massnahme wird zwar die Sanierung des Flussbads Unterer Letten abgeschlossen sein. Doch es gibt diverse Pläne und Projekte für eine zukünftige Nutzung des ganzen Areals zwischen Platzspitz und Letten (siehe Box). Das ehemalige Industriegebiet dürfte sich langfristig zu einem noch attraktiveren Erholungsraum mausern.
Quelle: Juliet Haller, Baugeschichtliches Archiv
Aufnahme von Oktober 2024 bei der Instandhaltung bzw. beim Auswechseln der Bodenbretter. Rechts im Bild das Tanzhaus, links das Getreidesilo von Swissmill und das Eisenbahnviadukt.
«Das erste Wasser-, Luft- und Sonnenbad Zürichs»
Quelle: Katrin Ambühl
Matthias Köhler, Projektleiter Bauberatung Denkmalpflege im Amt für Städtebau.
Das Flussbad Unterer Letten ist im Inventar der Denkmalpflege Zürich eingetragen. Das Amt hatte somit ein Wort mitzureden beim Umbau. Matthias Köhler, Projektleiter Bauberatung Denkmalpflege im Amt für Städtebau, gibt Einblick in die historischen Hintergründe und die Wandlung des Flussbads.
Können Sie etwas sagen zur Einordnung der Badeanstalt Unterer Letten in der Vielfalt aller städtischen Bäder?
Mit der Eingemeindung und der Ansiedlung von Industriebetrieben erlebten Aussersihl und Wipkingen ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein starkes Wachstum. Viele der für die Arbeiterschaft erbauten Wohnräume verfügten damals nur eingeschränkt über Zugang zu eigenen Badezimmern. Gemeinschaftliche hygienische und sanitäre Einrichtungen spielten daher für die Arbeiterschaft eine zentrale Rolle. Dazu zählten neben öffentlichen Badeanstalten auch See- und Flussbäder.
Welche Bäder sind die ältesten?
Die ersten Bäder entstanden in der Innenstadt. Die heute ältesten sind das Flussbad Schanzengraben 1863/64, das Frauenbad am Stadthausquai 1888 und das Seebad Utoquai 1890. Mit der Eingemeindung 1893 entstanden auch in den neuen Aussenquartieren Flussbäder. 1896 wurde im heutigen Industriequartier am oberen Letten ein Flussbad eröffnet. 1910 folgte das Flussbad Unterer Letten. Wie das ältere wurde auch das neue Bad am Kraftwerkkanal erstellt.
Was sind die Unterschiede zwischen den Flussbädern Oberer und Unterer Letten?
Das erste Bad am Oberen Letten von 1896 war ein für das 19. Jahrhundert typisches, geschlossenes Kastenbad auf dem Wasser. Es diente primär dem Aufenthalt im Wasser. Anfang des 20. Jahrhunderts entstand eine neue Körperkultur, die den Aufenthalt an Luft und Sonne als gesundheitsfördernd entdeckte. Neben dem hygienischen Nutzen galt das Interesse nun vermehrt auch der Freizeit und der gesunden Erholung. So wandelte sich das Hygiene-Bad des 19. Jahrhunderts zum «Wasser-, Luft- und Sonnenbad» des 20. Jahrhunderts. Das Flussbad Unterer Letten war mit seinen Sonnenterrassen im Hang und der Liegewiese somit das erste öffentliche Bad in der Stadt Zürich, das dieser neuen Idee nachkam und dabei bewusst die Topografie des Ortes in die Badanlage mit einbezog. Das heutige Bad am Oberen Letten, das 1951/52 erbaut wurde, ist gewissermassen eine Neuinterpretation dieses Bautyps in moderner Formensprache.
Der aktuelle Zustand des Bads war gemäss Architektinnen ein Flickwerk. Teilen Sie diese Meinung?
Das Bad wurde immer wieder repariert oder nur leicht angepasst. Auch bei den aktuellen Baumassnahmen handelt es sich zu grossen Teilen um eine Reparatur, was im Unterschied zu einer «Gesamtmassnahme», bei welcher in der Regel mehr verändert wird, gewissermassen einem Flickwerk entspricht. Mit einer solchen Reparatur kann im positiven Sinne eine möglichst ressourcenschonende Ertüchtigung einzelner Bauteile, mit dem grösstmöglichen Erhalt der Originalsubstanz erreicht werden. Die Massnahmen werden dokumentiert, waren allerdings nicht alle von Anfang an sicht -oder erwartbar. Die bisher gewichtigste Intervention war der Totalersatz der bis anhin noch (leicht angepassten) bauzeitlichen Geländer. Dies war aufgrund der Anpassung an heutige Normen nötig.
Gab es betreffend Unterzug/Wasserkonstruktion auch denkmalpflegerische Argumente?
Rein denkmalpflegerisch betrachtet, wäre eine zurückhaltendere Reparatur wünschenswert gewesen. Dies hätte aber zur Folge gehabt, dass die heutigen Normsicherheitsbeiwerte nicht hätten erreicht werden können. Erschwerend kam hinzu, dass erst mit den eigentlichen Massnahmen, dem Abarbeiten der Betonoberfläche, der tatsächliche Zustand sichtbar wurde, der in Teilen schlechter und in anderen Teilen wiederum besser als erwartet war. Mit Blick auf die schlechteren Bereiche wäre ein Belassen des unbekannten Zustands zu risikobehaftet gewesen. Aus Sicht der Denkmalpflege verliefen die Arbeiten unproblematisch, da die Oberfläche des Betonträgers ohnehin bereits mit einer dünnen, modernen Mörtelschicht überarbeitet war und der Träger ja insgesamt erhalten wurde. Eine Herausforderung war die minimal grössere Dicke im Zusammenhang mit der Lage der Treppenabgänge sowie die möglichst authentische Erscheinung der mit Sanierungsmörtel neu aufgetragenen Betonoberfläche. (ka)
Quelle: Marcella Ressegatti
Frisch renovierte Nordost-Fassade mit einem der schindelverkleideten Häuschen.
Ein städtisches Areal im Fluss
Quelle: Amt für Städtebau
Visualisierung des verbreiterten Kloster-Fahr-Weges mit Blick auf das Getreidesilo von Swissmill. Die Bauarbeiten sollen 2028 beginnen.
Der Flussraum an der Limmat unterhalb des Platzspitzes soll in Zukunft mit verschiedenen Massnahmen und Projekten aufgewertet werden. Die Sanierung des Flussbads Unterer Letten wird 2026 abgeschlossen sein, doch gibt es Pläne zu einer allfälligen Erweiterung des Flussbads. Derzeit wird dazu eine Machbarkeitsstudie durchgeführt vom Architekturbüro Ressegatti Thalmann, das auch für den Umbau des Unteren Lettens zuständig ist. Auf Basis dieser Machbarkeitsstudie wird die Stadt Zürich das weitere Vorgehen definieren.
Im März 2024 hat der Stadtrat die Verabschiedung des Berichts «Zukunft Areal Kraftwerk Letten: Nutzungsszenarien und Vorgehen» beschlossen. Er bildet die Grundlage für die künftige Nutzung des Areals. Folgende Massnahmen sind bisher durchgeführt worden: Das Kesselhaus, das vom Elektrizitätswerk Zürich (EWZ) nicht mehr für den Betrieb genutzt wird, soll instandgesetzt werden und mit einer Schulschwimmanlage ausgerüstet werden. Ein Architekturwettbewerb dazu ist bereits abgeschlossen. Im Burrischopf, der ab ca. 2027 voraussichtlich zu einer Energiezentrale des EWZ umgebaut wird, gibt es seit Frühling 2024 bis zum Baustart eine quartierorientierte Zwischennutzung. Zudem wurde der ehemalige Parkplatz neben dem Kraftwerk Letten mit dem erwähnten Stadtratsbeschluss als Freiraum gesichert. Grün Stadt Zürich plant ein Projekt mit den Hauptthemen Aufenthaltsqualität, Ökologie und Hitzeminderung.
Schliesslich gibt es noch ein städtisches Projekt zur Verbreiterung des Kloster-Fahr-Wegs. Im Abschnitt Lettenviadukt bis Wipkingerbrücke ist dieser teilweise nur einen Meter breit. Er soll ab 2028 möglichst verbreitert und hindernisfrei gestaltet werden vom Tiefbauamt Zürich. (ka)