Freizeitflächen statt Kiesgruben: Der «Parc des Carrières» nimmt Form an
Basel Stadt und Allschwil sind bis an die Landesgrenze dicht
bebaut. Der dringend benötigte Grünraum wäre nur noch im Elsass verfügbar.
Zehn Jahre Vorarbeit hat es gebraucht, dass in renaturierten Kiesgruben Stück
für Stück der binationale Landschaftspark «Parc des Carrières» entstehen kann.
All das erfolgt bei laufendem Kiesabbau der Kibag.

Quelle: Courvoisier Stadtentwicklung GmbH
Der Park entsteht nach und nach auf drei Teilflächen, sobald die Kiesvorkommen der Kiesgruben ausgebeutet und mit Aushub wieder verfüllt sind.
Das Förderband der Kibag durchschneidet die Agrarlandschaft,
auf der parallel dazu verlaufenden Strasse fahren im regelmässigen Takt
Lastwagen, die Material aus der Kiesgrube abtransportieren. Diese intensiv
landwirtschaftlich genutzte, von Kiesgruben durchsetzte Kulturlandschaft ist
eine der letzten Freiflächen, die es im gefühlten Niemandsland zwischen Basel
und der Hügellandschaft des elsässischen Sundgau noch gibt. Obwohl im
unmittelbar angrenzenden Gebiet 40'000 Menschen fussläufig wohnen, zieht es
kaum jemanden zum Spaziergang in diese brettebene landwirtschaftliche
Monokultur.
Andreas Courvoisier vom Büro Courvoisier Stadtentwicklung
hatte schon lange ein Auge auf diese im aktuellen Zustand kaum zur Naherholung
taugliche Fläche geworfen. «Das Elsass ist entlang des Rheins reich an
Kiesgruben. Manche werden als Baggerseen interessant zur Nachnutzung, wenn bis
unter den Grundwasserspiegel abgebaut wird. Das ist hier nicht der Fall. Dafür
bieten die wieder aufgefüllten Gruben das Potential, einen Natur- und
Naherholungsraum direkt im dicht besiedelten Gebiet an der Schweizer
Landesgrenze zu schaffen.»

Quelle: Alexandra von Ascheraden
Der Kiesabbau läuft während der Baumassnahmen für den Landschaftspark weiter. Er beeinträchtigt die schrittweise Entstehung des Parks nicht.
Park auf verfüllten Kiesgruben
Die Kibag baut seit den 1980er-Jahren in der Gegend Kies ab. Aufgegebene Gruben wurden wieder verfüllt und erneut zu Landwirtschaftsland. Courvoisiers Idee: Was, wenn man die Kiesgruben vor Allschwil, die in den nächsten Jahren erschöpft sind, ökologisch aufwertet und Schritt für Schritt einen Landschaftspark schafft?
Zu Hilfe kamen ihm zwei Dinge: Die Internationale
Bauausstellung IBA Basel 2020 suchte genau solche grenzüberschreitenden Projekte
und half, sie voranzubringen. Zudem die Tatsache, dass die elf Hektar Land, die
betroffen waren, in den Händen von lediglich drei Besitzern lagen, die allesamt
in der Schweiz ansässig sind. Zwei davon, das Bürgerspital Basel und die
Einwohnergemeinde Basel, sind ohnehin gemeinwohlorientiert. Auch die
privatwirtschaftliche Kibag erkannte schnell, dass ein solcher Landschaftspark
ein Plus wäre.

Quelle: Büro LAP’S, Verein Parc des Carrières
Visualisierung des Landschaftsparks: So soll der «Parc des Carrières» nach seiner Vollendung im Jahr 2029 aussehen.
Sieben Jahre zur Einigung
Der Landschaftspark befindet sich jetzt in der Entstehung.
Die neu gestaltete Kernzone wird schliesslich elf Hektar umfassen. Sie kommt
auf ehemaligen Kiesgruben zu liegen, die zwischen 2021 und 2029 renaturiert
werden sollen. Dazu kommen weitläufige, landwirtschaftlich oder als
Familiengärten genutzte Umgebungsflächen sowie drei Kilometer neu geschaffene
ökologische Korridore für den Langsamverkehr.
Einfach war das Ganze nicht. Die ersten Projektskizzen
entstanden bereits 2011. Bis sämtliche rechtlichen, organisatorischen und
finanziellen Fragen geklärt waren, vergingen sieben Jahre. Kein Wunder, es gab
wegen des grenzüberschreitenden Charakters dieses Projekts ungewöhnlich viele
Beteiligte, deren Anliegen alle unter einen Hut gebracht werden mussten.
Zudem musste die binationale Raumplanung in zwei Ländern mit
völlig unterschiedlichen Verwaltungsstrukturen in Einklang gebracht werden.
Daher fuhren erst 2021 die Baumaschinen auf, die das erste Puzzlestück konkret
in die Landschaft bringen sollten: einen velotauglichen Zubringerweg aus
Richtung Basel und Allschwil und einen von Hegenheimer Seite. Zudem entstand
ein Kinderspielplatz, der im Moment noch etwas verloren zwischen einem
Weizenfeld und dem Bauzaun der noch aktiven Kiesgrube liegt.
Betrieb steht hinter dem Projekt
In der Nähe des Spielplatzes hat die Kibag vorsorglich in
von Lichtschranken gesteuerte Barrieren investiert. Sie sollen dafür sorgen,
dass Kieslader und der durch die zunehmende Ausgestaltung des Landschaftspark
zunehmende Fuss- und Veloverkehr unfallfrei aneinander vorbeikommen.
Kibag-Regionalleiter Thomas Ghelma steht voll hinter dem
Projekt: «Wir bauen hier etwa 100'000 Kubikmeter Kies pro Jahr ab und werden
das auch in den kommenden Jahren so weiterführen. Daher unterstützen wir den
Gemeindeverband Saint-Louis Agglomération bei der Koordination zwischen
Grubenbetrieb und Parkbauten.»
Dazu gehören etwa Sicherheitsmassnahmen wie die genannten Barrieren auch Sicherheitszäune um das Kiesabbaugebiet und die Unterstützung von Anlässen wie etwa Führungen im Grubenareal Auch nach dem Ablauf der jetzigen Bewilligung, die noch bis 2029 laufe, verfüge die Kibag über weitere Reserven für etwa zwanzig Jahre in der Gegend, berichtet Ghelma. So könne der regionale Bedarf an Kies auch nach Ablauf der aktuellen Bewilligung sichergestellt werden.
”Wir bauen hier etwa 100'000 Kubikmeter Kies pro Jahr ab und werden das auch in den kommenden Jahren so weiterführen.
Thomas Ghelma, Regionalleiter Baustoffe, Kibag Gruppe
Thomas Ghelma, Regionalleiter Baustoffe, Kibag Gruppe

Quelle: Alexandra von Ascheraden
In der Nähe des Spielplatzes wurden Barrieren errichtet, die dafür sorgen, dass Kieslaster und der zunehmende Fuss- und Veloverkehr unfallfrei aneinander vorbeikommen.
Koordination grosses Thema
Die Koordination zwischen laufendem Kiesabbau und Landschaftspark bleibt auch in Zukunft Thema. Die Beteiligten gehen davon aus, dass man das gut koordinieren kann. Der Landschaftspark wird auch möglich, weil dafür kein Landerwerb nötig wurde. Die Kibag, sowie die beiden anderen Landbesitzer auch, stellt ihr Land über einen Zeitraum von vierzig Jahren für die Einrichtung des Parks zur Verfügung. Von den Beteiligten hat lediglich die privatwirtschaftlich betriebene Baustoffunternehmen um eine (moderate) jährliche Entschädigung gebeten.
Der «Parc des Carrières» solle der erste Baustein zur
Entwicklung dieser im Moment noch unattraktiven Zone werden. «Ein erster
Schritt wird die Aufwertung der Biodiversität sein. Er wird sich in bereits
vorhandene Vernetzungsflächen einfügen», erklärt Florence Prudent, die von
Seiten Saint-Louis Agglomeration auf Elsässer Seite die Fäden spinnt. Extensiv
bewirtschaftete Heuwiesen, kleine Feuchtgebiete und Baumgruppen und
Gebüschinseln mit heimischen Arten werden dazu ihren Beitrag leisten.

Quelle: Courvoisier Stadtentwicklung GmbH
Der Kiesabbau läuft während der Baumassnahmen für den Landschaftspark weiter.
Kein «ruhiger» Park
Ghelma ergänzt: «Die Nachnutzung unserer Kiesabbauflächen als Park statt wie sonst durch Landwirtschaftsflächen hat seinen besonderen Reiz. Dieses Projekt macht in diesem Raum Sinn, da es als Ausgleich zu den entstehenden Bauten in der nahen Agglomeration steht.»
Ein «ruhiger» Landschaftspark im wörtlichen Sinne wird in
diesem Niemandsland zwischen Frankreich und der Schweiz trotzdem nicht
entstehen, das ist allen Beteiligten bewusst. Einerseits braucht gerade die
Bevölkerung im angrenzenden, dicht bebauten Allschwil und Basel Grünraum in
Gehdistanz für die Naherholung und wird den Park sicher gern annehmen.
Andererseits, daran allerdings sind die Anwohner gewöhnt, liegt der künftige «Parc des Carrières» direkt in der Einflugschneise des nahen Flughafens Basel. Coronabedingt ist der Flugplan im Moment ausgedünnt. Normalerweise donnern aber ständig startende Passagiermaschinen über diesen Landstrich.
”Der Park soll der erste Baustein zur Entwicklung dieser im Moment noch unattraktiven Zone sein. Erster Schritt wird die Aufwertung der Biodiversität sein und sich in bereits vorhandene Vernetzungsflächen einfügen.
Florence Prudent, Beauftragte für grenzüberschreitende Angelegenheiten Saint-Louis Agglomeration
Florence Prudent, Beauftragte für grenzüberschreitende Angelegenheiten Saint-Louis Agglomeration
Der Erholung scheint der Lärm keinen Abbruch zu tun – sonst wären die Parzellen in der angrenzenden Kleingartenkolonie, die auf Elsässer Grund liegt, aber grossmehrheitlich in Schweizer Hand ist, wohl kaum derart begehrt. Der Kiesabbau in der Parzelle direkt neben dem Spielplatz wird vermutlich gegen Ende Jahr abgeschlossen sein und danach fortlaufend mit sauberem Bauaushub gefüllt, bevor sie renaturiert wird und die Landschaftsbauer ans Werk gehen können. Erst dann kann der Landschaftspark bis an Allschwil heranwachsen.
Diese Parzelle bildet Etappe 3 und wird dann in etwa fünf Jahren die letzte sein, die dem Park zugeschlagen wird. Etappe 1 und 2 liegen weiter in Norden Richtung Bourgfelden. Parzelle 1 ist bereits aufgefüllt.
«Wir mussten jedoch abwarten, dass die Wiederherstellung von den zuständigen Behörden abgenommen wurde. Das hat sich wegen Corona verzögert. Wir werden im September mit den Bauarbeiten loslegen können», räumt Florence Prudent ein. Die südlich daran anschliessende Parzelle 2 wird in ein bis zwei Jahren soweit sein, Parzelle 3, die direkt am bereits realisierten Spielplatz liegt, in drei bis fünf Jahren.

Quelle: Alexandra von Ascheraden
Der Veloweg zum Park ist ab Allschwil bereits fertig und und einladend gestaltet.
Bauschutt verhindert Turm
Als optisches Wahrzeichen in der hügellosen Ebene wollten die Verantwortlichen eigentlich noch einen Aussichtsturm neben dem Spielplatz errichten. Das scheitert momentan daran, dass man früher beim Auffüllen der Kiesgruben nicht so umweltsensibel vorging wie heute, wo in die drei Parzellen, die eines Tages den Landschaftspark beherbergen, lediglich sauberer Bodenaushub eingefüllt wird.
«Als wir den Grund unter dem geplanten Standort des Turms sondiert haben, sind wir auf Bauschutt gestossen, der die Fundamente nicht getragen hätte», berichtet Prudent. Nun sucht man Alternativen. Es werden noch Jahre vergehen, bis der Park umgesetzt ist. Wichtige dabei sind nicht nur der ökologische Mehrwert und die Freizeitflächen – es entstehen auch grenzüberschreitende Kontakte zwischen den zahlreichen beteiligten Akteuren, was künftigen Projekten nur nützen kann.
Man hat eigens einen Verein gegründet, der für die Umsetzung
des Parks zuständig ist. Das hat sich als die tauglichste Rechtsform erwiesen,
um alle einzubinden. «Es braucht für solch ein Projekt Impuls und
Beharrlichkeit, engagierte Köpfe und funktionsfähige Strukturen. Es ist für uns
alle sehr befriedigend, dass wir hier so viel erreicht haben», fasst Andreas
Courvoisier zusammen.
«Symbolisches grünes Eintrittstor»
Vielleicht ist das ja erst der Anfang? Die IBA Basel schildert ihre Vision für den «Parc des Carrières» so: «Grüne Korridore verbinden den Langsamverkehr mit den umliegenden Gemeinden. Es soll ein symbolisches «grünes Eintrittstor in die Agglomeration» entstehen, das sich zu den grossen Landschaftsräumen hin öffnet.
Setzt man den grenznahen Raum auf
diese Weise als Ressource ein, kann er eine starke symbolische Verbindung für
einen gemeinsamen Ort der Begegnung über die Grenze hinweg schaffen sowie ein
Motor für städtebauliche Projekte in einem sich rasant entwickelnden Areal
sein.»
Courvoisiers Hoffnung: «Bald soll hier der Autobahnzubringer
Bachgraben entstehen, kurz «Zuba», der das boomende Bachgraben-Gebiet
erschliesst und Hegenheim vom Durchgangsverkehr entlastet. Ich bin
zuversichtlich, dass alle Akteure ein Bewusstsein haben für eine integrale,
schonende Planung. Sodass die grosse grüne Landschaftskammer erhalten bleibt
und die Bebauung an dessen Rändern konzentriert wird.»