Massgeschneiderter Textilbeton für Dachsanierung des Mariendoms in Neviges
Im Juli 2021 wurde die Dachsanierung
des Mariendoms von Neviges nach über fünf Jahren abgeschlossen. Bei den
Arbeiten am wohl bekanntesten Gebäude des unlängst verstorbenen
Pritzkerpreisträgers Gottfried Böhm kam Textilbeton zur Anwendung.
Neviges klingt ein wenig romanisch und Unwissende würden den
Ort wahrscheinlich irgendwo in Frankreich suchen. Aber es ist ein Ortsteil von
Velbert, nordwestlich von Wuppertal in Deutschland. An diesem Ort am Rande des
Ruhrgebietes gab es seit Jahrhunderten eine rege Marienwallfahrt zu einem
Gnadenbild, die vom dortigen Franziskanerkloster organisiert wurde.
Nach dem Zweiten Weltkrieg entschloss sich das zuständige
Erzbistum Köln unter Joseph Kardinal Frings zum Bau eines Wallfahrtsdomes, der
«Maria Königin des Friedens» gewidmet wurde.
Nach einem entsprechenden Architekturwettbewerb wurde
Gottfried Böhm mit der Ausführung beauftragt. Dies geschah nicht zuletzt auch
deshalb, weil das «Bauatelier Böhm», dessen Leitung er 1955 nach dem Tod seines
Vaters Domenicus übernommen hatte, während des Wiederaufbaus bereits zahlreiche
Sakralbauten für das Kölner Erzbistum realisiert hatte.
Darunter befindet auch Gottfried Böhm's erstes eigenes Werk,
die Kapelle «Madonna unter den Trümmern», erbaut 1950 und besser bekannt als
St. Kolumba. Dieser Sakralbau adaptierte einen im Krieg zerstörten Kirchenrest
und wurde 2007 vom Architekten Peter Zumthor mit dem gleichnamigen
Diözesanmuseum ergänzt.

Quelle: Robert Mehl
Blick in den Wallfahrtsdom auf den Altarraum. Im oberen Bildteil sind die Oberlichter zu erahnen.
Inkunabel des Brutalismus
Neviges gilt als Hauptwerk des am 9. Juni 2021 mit 101
Jahren verstorbenen Gottfried Böhm. Sein ursprünglicher Berufswunsch es war es,
Bildhauer zu werden. Der Bau in seiner sägerauen Sichtbetonausführung erscheint
mit der jäh aufstrebenden Dachlandschaft, dem vorgesetzten Schwesternwohnheim
mit zahllosen gerundeten Erkern tatsächlich wie aus Stein gemeisselt.
Der Nevigeser Dom wird dem Brutalismus zugeordnet – eine
besonders monolithische, betonlastige Strömung der späten Moderne. Zu ihr zählt
auch das Kirchenzentrum St. Nicolas im eidgenössischen Hérémence von Walter
Maria Förderer.
In Neviges unterstreicht der sakrale Innenraum den
skulpturalen Eindruck, mutet er doch an wie eine expressive Felsgrotte aus
einem Fantasy-Film, in die vereinzelte Kleinarchitekturen wie Turmbauten oder
Balkonbrüstungen wie zufällig eingestreut sind. In dieser monolithischen
Erscheinung sowie der entsprechenden Umsetzung lagen dann auch die Krux dieses
massiven Betonkörpers: Der Bau war tatsächlich komplett in Ortbeton gegossen
worden und zwar vollkommen ohne Dehnungsfugen.
Auch die geneigten Dachflächen bestehen aus massiven, bis zu
30 Zentimeter starken Betonflächen. Mit Blick auf den offiziellen Namen «Maria
Königin des Friedens» und den in der Nachkriegszeit im Ruhrgebiet noch
omnipräsenten Hochbunkern erscheint der Gedanke, hier von einem «spirituellen
Schutzraum» zu sprechen, nicht abwegig.
Trotz des felsartigen Charakters des Mariendomes führte sein
monolithischer Bauprozess bereits kurze Zeit nach seiner Vollendung zu
zahlreichen Dehnungsrissen. Insbesondere die Dachkanten und -kehlen waren davon
betroffen. In der Mitte der Dachflächen zeigten sich hingegen vielfach Risse an
den Betonierabschnitten, die in der Regel horizontal verliefen. Tatsächlich kam
es zügig zu Undichtigkeiten und Wasser drang zunehmend in den Sakralraum ein.
In den 1980er-Jahren wurde diesem Problem damit begegnet,
dass auf allen Dachflächen eine hellgraue Epoxidharz-Beschichtung aufgebracht
wurde. Es erwies sich in der Folge ebenfalls als untauglich, da es sich um
sprödes Material handelt. Der Kunststoff konnte weiterhin bestehenden
Dehnungsbewegungen nicht aufnehmen und riss daher schnell wieder. Die Wasserschäden
kamen zurück, dazu verfärbte sich im Laufe der Jahre das Epoxid
witterungsbedingt.

Quelle: Robert Mehl
Auch die Innenarchitektur ist expressiv angelegt und bindet historische Elemente ein.
Nass- kontra Trockenspritzen
Schon seit geraumer Zeit beschäftigte sich der Ezdiözesanbaumeister Martin Struck mit der Frage, wie man den nach dem Kölner Dom zweitgrössten Kirchenbau des Erzbistums dauerhaft instand setzen könnte. Ein Lösungskonzept bot sich in dem vom Institut für Baustoffforschung (Ibac) der Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) Aachen beforschten Textilbeton.
Eine Forschungsgruppe befasst sich unter der Leitung des Institutsleiters Michael Raupach mit dem Einsatz von Carbonfasermatten als Bewehrung von Spritzbeton, der nachträglich auf geschädigte Betonflächen aufgebracht wird.
Im Prinzip ist dieses Verfahren vergleichbar mit den derzeit
in Magdeburg stattfindenden Sanierungsarbeiten an der dortigen, gleichalten
Hyparschale von Ulrich Müther. Die Baustelle wird jedoch von der TU Dresden
wissenschaftlich begleitet. Der signifikante Unterschied ist, dass in Magdeburg
im Nassspritzverfahren, in Neviges dagegen im Trockenspritzverfahren gearbeitet
wurde beziehungsweise wird.
Während beim Nassspritzen der Beton in einer zentralen
Mischstation angemacht und als Flüssigbeton zum Einsatzort gefördert wird,
werden beim Trockenspritzen das Wasser und der trockene, pulverförmige Mörtel
separat zum Bestimmungsort gebracht und erst beim Austreten an der Düsenspitze
miteinander vermischt.

Quelle: Robert Mehl
Der Hauptzugang zum Wallfahrtsdom erfolgt über die Via Sacra. Die runden Erker links gehören zum Schwesternwohnheim, das zum Ensemble gehört.
Der grosse Vorteil des Trockenspritzverfahrens besteht in den erheblich längeren Förderwegen sowie im fast vollständigen Ausbleiben von so genannten «Stoppern», sprich Verstopfungen im Leitungsweg. Wenn überhaupt, treten diese eigentlich nur direkt an der Austrittsdüse auf und können in der Regel schnell behoben werden. Beim Nassspritzverfahren sind die Transportwege des Materials auf 40 bis 50 Meter begrenzt und erfordern für längere Strecken eine Zwischenpumpe.
Mit dem Trockenspritzverfahren konnte dagegen die gesamte Dachlandschaft des Nevigeser Doms mit der zentralen Hauptpumpe im Mischzelt beschickt werden. Die Schlauchlängen betrugen dabei bis zu 100 Meter und überwanden gleichzeitig bis zu 30 Höhenmeter vom Domhof bis zum Domdach.
Während der eigentlichen Spritzarbeiten war ein Arbeiter in Vollschutz dazu
abgestellt, im Mischzelt die Pumpe stetig mit jeweils 25 Kilogramm schweren
Säcken zu befüllen. Angesteuert wurde die Maschine jedoch mittels einer Fernbedienung
unmittelbar vom Auftragort aus.
Fortschritt durch Technik
Dass ein eingespieltes, motiviertes Team der Schlüssel zum Erfolg
einer solchen anspruchsvollen Aufgabe ist, weiss Lenard Domann, Bauleiter bei
der Torkret GmbH. Das Unternehmen war mit der Durchführung der Sanierung
beauftragt. Die Torkret GmbH ist auf Bauwerkssanierungen mit Textilbeton
spezialisiert. Domann hat das Projekt in Neviges selber drei Jahre betreut
und weiss nicht nur um die Bedeutung einer guten Baustelleneinrichtung zur
Mitarbeitermotivation.
Er berichtet auch von einer gelungenen Aussenkommunikation.
Für die Bauabwicklung sei es nicht förderlich, wenn man mit den Anwohnern nur
über das Ordnungsamt kommuniziert. So gab es eingangs eine Bürgerveranstaltung
sowie eine Hinweistafel, worauf Termine für lärmintensive Arbeiten angekündigt
wurden. Darüber hinaus stand das Baustellenbüro jederzeit offen. Anwohneranliegen
konnten unmittelbar besprochen und oft auf dem kleinen Dienstweg gelöst werden.
Für die Sanierungsarbeiten war die insgesamt 2875
Quadratmeter grosse Dachfläche in sechs Bauabschnitte aufgeteilt worden. Sie
bestanden grob aus den drei markanten Dachspitzen (A-, B- und C-Pyramide), dem
Glockenturm, den umgebenden Pultdächern und der Sakramentskapelle.
Drohnenflug über das teilweise sanierte Dach des Wallfahrtsdoms. (Quelle: Torkret GmbH)
Die variierenden Grössen der Bauabschnitte erklären sich aus den jährlich wechselnden Budgetgrössen. Auch wurde der kleinste Bauabschnitt, das Glockenturmdach, mit Geldern der Wüstenrot-Stiftung finanziert, die in Deutschland Projekte in den Bereichen Denkmalpflege, Wissenschaft, Forschung, Bildung, Kunst und Kultur unterstützt.
Auch der erste Bauabschnitt der
Sakramentskapelle war nicht übermässig gross. Sie diente als «Versuchsobjekt»,
an dem die Arbeitsweise unter realen Bedingungen auf Funktionalität überprüft
wurde.
Im Vorfeld wurden umfangreiche Versuche an der RWTH
durchgeführt, um zu testen, welches System aus Carbonfasern und Spritzbetonmörtel
die besten Ergebnisse erbrachte. Die Sakramentskapelle war die abschliessende
Bewährungsprobe.
Bei den wissenschaftlichen Versuchen konnte sich ein
Carbongelege der Albstädter Solidian GmbH durchsetzen, das zuvor in Epoxidharz
getränkt und anschliessend besandet wurde. Letzteres erhöhte signifikant die
Haftungskomponente und verhinderte sowohl ein seitliches Herausziehen der Carbonfasern,
wie auch ein vertikales Reissen des Betons im Bereich des Enthaftungsstreifens.
Art der Sanierung
Die Sanierungsarbeiten folgten alle demselben Schema:
Zunächst strahlten die Arbeiter mit dem Sandstrahler die alte Epoxidharzschicht
ab und wuschen anschliessend mit einem Hochdruckstrahler die Dachflächen ab.
Damit traten die Risse deutlich zutage, da mit dem Sandstrahlen die scharfen
Risskanten wegbrachen. Die Risse wurden mit einem speziellen Füllspachtel
geschlossen und mit einem jeweils 20 Zentimeter überlappenden Haftungsstreifen
aus Carbon belegt, der mit einem flexiblen Spachtel fixiert wurde.
Über diese Rissbandage wurde dann das eigentliche
Carbongelege geführt, das nach dem Aushärten des Spritzbetons die dauerhafte
Lastverteilung sicherstellte. Konkret bestand der Schichtaufbau aus acht
Millimeter Spritzbeton, der direkt auf den Altbeton-Untergrund oder die Rissbandage
aufgebracht wurde. Darauf folgte eine erste Lage der Carbonbewehrung, die mit
einem weiteren Spritzbetonauftrag von vielleicht zwei Millimetern in diesen
integriert wurde.
Unmittelbar an diese Arbeiten schloss sich der gleichartige Aufbau der zweiten Lage an: Wieder wurden acht Millimeter Spritzbeton aufgetragen, auf diesen eine zweite Carbonlage gelegt, welche erneut mit einer zwei Millimeter starken Spritzbetonschicht fixiert wurde. Sofort wurde über alles eine abschliessende acht Millimeter starke Schutzlage aufgetragen.
So
stellten die Arbeiter in einem durchgehenden frisch-in-frisch-Prozess eine
insgesamt 28 Millimeter starke Spritzbetonschicht mit zwei darin integrierten
Carbonbewehrungen her. Diese liess man, abgedeckt unter Folien, sieben Tage
lang erhärten.
Anschliessend wurde die Fläche «gesweept»; das heisst ganz
leicht mit Strahlmittel angestrahlt und hinterher mit einem Hochdruckstrahler
abgewaschen. Dann erfolgte der Auftrag der sieben Millimeter starken und mit
Pigmenten gefärbten Abschlussschicht. Die Gesamtauflage des Spritzbetons sollte
im Ganzen 35 Millimeter betragen, ein Millimeter Toleranz war zulässig.

Quelle: Robert Mehl
Ein noch unbearbeitetes Carbongelege der Firma Solidian im Materiallager. Es misst 6 mal 1,20 Meter
Frisch-in frisch-Arbeitsprozess
Mit einer Messlehre überprüfte der Düsenführer regelmässig
das Erreichen der erforderlichen Schichtdicke. Seine beiden Assistenten legten
die Carbonbewehrung immer locker auf den weichen Untergrund auf, ohne ihn
hineinzudrücken. Das Material wurde dann – wie erwähnt – mit einem weiteren,
zwei Millimeter starken Spritzvorgang fixiert. Dies ging jedoch unmittelbar in
den Schichtaufbau der folgenden Spritzbetonlage über.
Da die Bewehrungsmatten in einer Lage sich nicht
überlappten, sondern stumpf aneinander stiessen, war es für die Lastverteilung
essentiell erforderlich, dass die beiden Carbonlagen in ihren Stössen
zu-einander versetzt waren.
Um den erwähnten frisch-in-frisch Arbeitsprozess
sicherzustellen, legte man sich täglich, abhängig vom jeweiligen
Schwierigkeitsgrad, ein realistisches Pensum fest, das – so schätzt der Polier
Frank Wiemhoff – nie grösser als 30 Quadrat-meter war. Ein reibungsloser Ablauf
dieser zügig zu erfolgenden Arbeiten erforderte eine penible Vorbereitung: So
waren die Carbongelege, die standardmässig im Format 5 mal 1,2 Meter
angeliefert wurden, im Vorfeld für den Bedarf zuzuschneiden, testweise
aufzuhängen, ihren Einbauort zu kennzeichnen, wieder abzuhängen und an
geeigneter Stelle griffbereit zwischenzulagern.
Erschwert wurde diese Vorbereitung durch den Umstand der
Zweilagigkeit. Lag die erste Lage noch verhältnismässig nah am Untergrund,
schwebte die Zweite fast zwei Zentimeter vor diesem in der Luft. Dies machte
ein Vorschneiden der Grate und Kehlen besonders anspruchsvoll.
Darüber hinaus endete die untere Lage immer an den
Flächenenden, während die obere Lage, des finalen Verbundes wegen, zu diesem
versetzt verlief. Die Matten umfassten also als gewinkelte Formteile die Grate
oder füllten die Kehlen aus. Diese dreidimensionalen Elemente wurden vom
Hersteller Solidian als vorgekantete Gelegestücke fertig angeliefert.
Da für diesen Bedarf kein ausreichend präzises 3D-Aufmass
der Dachflächen vorlag, wurde der Gelegebedarf von Hand aufgemessen und die
Formteilmasse dem Zulieferer übermittelt. Die ebenen Gelegeflächen wurden
tatsächlich mit der Trennscheibe auf Mass gebracht, da es keine andere
effektive Art existiert, Carbon zu schneiden. Für alle Zuschnitte hatte man
sich auf eine Winkelgenauigkeit von 10-Grad-Schritten geeinigt: So führte etwa
sowohl ein 68er-Winkel, wie ein 74er-Winkel zu einem 70-Grad-Formteil.
Optimierte Arbeitskraft
Durch eine zunehmende Optimierung der Arbeitsabläufe konnte
das Baustellenteam dauerhaft von acht auf sechs Kräfte reduziert werden.
Gearbeitet wurde grundsätzlich in zwei Kolonnen, die – um sich nicht zu stören
– zwei möglichst weit voneinander entfernte Teilflächen bearbeiteten.
Das erste Team bestand aus zwei Kräften, die den Zuschnitt
vornahmen, das zweite Team führte die Spritzarbeiten aus. Diese Arbeiten
erfolgten mit Atemschutz. Der aufkommende Staub sollte zum einen aus
gesundheitlichen Gründen das andere Team nicht behelligen, ausserdem waren
unnötige Staubablagerungen auf der als nächstes zu spritzenden Teilfläche zu
minimieren.
Das Spritzbeton-Team bestand aus vier Personen: Einem
Düsenführer – eine Aufgabe, die der Polier Frank Wiemhoff durchgehend selber
wahrnahm, zwei Assistenten, die die provisorisch angehefteten Gelege während
der Spritzarbeiten kontrollierten und gegebenenfalls zusätzlich andrückten,
sowie einem Arbeiter, der im Mischzelt unter Vollschutzmontur den Betonmörtel
nachfüllte, der in 25 Kilogramm-Säcken von der Firma Sto angeliefert wurde.
Ihm oblag auch die bereits erwähnte Pigmentzugabe. Denn
während die unteren beiden Spritzbetonschichten aus regulärem «StoCrete TS 100»
bestanden, wurde für die sieben Millimeter starke Deckschicht «StoCrete TS 100
v 1» eingesetzt. Dieser Spritzmörtel wurde aus Weissbeton erstellt und war
daher besonders gut zu färben.
Gottfried Böhm hatte noch persönlich das Mischungsverhältnis
festgelegt: Auf zwei Sack Betonmörtel, also auf 50 Kilogramm Gesamtmenge,
sollten 40 Gramm gelbe Pigmente und acht Gramm Rotpigmente beigemischt werden.
Dies ergab eine Tönung der neuen Betonoberfläche, die der Bestandsfarbe am
ehesten entsprach und den monolithischen Gesamtcharakter wieder herstellte.
Vor- und Nachbereitung
Grundsätzlich waren alle Dachflächen mit Folie abgedeckt:
Entweder waren sie frisch sandgestrahlt und gereinigt und auf diese Weise vor
Verschmutzung geschützt. Oder die Folie bedeckte den frisch aufgebrachten
Beton, weil eine Folienabdeckung eine anerkannte Technik zum Feuchthalten des
Betons bei dessen Abbindeprozess ist.
Für diesen sind generell fünf Tagen
vorgesehen, die in Neviges auf sieben Tage verlängert wurde. Aufgedeckt wurde
jeweils nur die Teilfläche, die an dem Tag zur Bearbeitung anstand. Zuerst
wurde der Bereich noch einmal mit einem Hochdruckstrahler abgewaschen, danach
begann das Aufspritzen des Betons.
Beim Trockenspritzverfahren entsteht anfangs ein starker
Rückschlag. Dies hat nichts mit der Bedeutung aus der Waffentechnik zu tun,
sondern ist ein Vorgang, bei dem in den ersten Sekunden die bis zu vier
Millimeter grossen, annähernd trockenen Mörtelzuschläge vom Untergrund abprallen
und zu Boden fallen. Erst allmählich bildet sich eine dünne Betonschlämme, in
der das Korn Halt findet und von dem nachfolgenden Material noch einmal
festgedrückt und tatsächlich auch verdichtet wird.
Der Massenanteil des sogenannten Rückschlags ist empirisch
bekannt und wird als Verlust mit einkalkuliert. Er muss regelmässig
eingesammelt und ebenso das vollkommen eingehauste Gerüst regelmässig gereinigt
werden. Der Rückschlag kann nicht mehr eingesetzt werden, es handelt sich dabei
aber um besonders recyclingfähigen Bauschutt. Für das Einsammeln wurden auf der
Dachfläche zahlreiche temporäre Dämme errichtet, an denen sich der Abraum
sammelte und dort mit Schaufeln abgeschöpft werden konnte.

Quelle: Robert Mehl
Ansicht des Domvorplatzes: Die Dacharbeiten sind weitgehend abgeschlossen, die Dacheinrüstung ist im Rückbau.
Präzises Arbeiten von Hand
Die oberste, mit Pigmenten versehene Deckschicht wurde nach
Abschluss der Spritzarbeiten als Ganzes von Hand mit Reibebrettern abgerieben.
Kleine Fehlstellen, die zutage traten, wurden mit Traufel und Zungenkelle
beigearbeitet. Tatsächlich ist die Entscheidung, die Dachflächen abzureiben und
nicht zu glätten, eine weitere formale Entscheidung, die ebenfalls noch von
Gottfried Böhm persönlich getroffen wurde, da dieses eine grössere Annäherung
an den Bestand brachte.
Der Spritzbeton zieht erstaunlich schnell an, was schon
spürbar während des Abreibens erfolgt. Insofern ist zügig der nächste Arbeitsschritt
anzugehen: das horizontale Profilieren der Dachflächen analog zum Vorbild, das
eine Brettschalung nachahmen soll. Grundsätzlich beginnt man oben am Firstgrad
und arbeitet sich hinab zur Traufe.
Appliziert wurde ein erhabener Streifen, den die Arbeiter
erzeugten, indem sie die etwa vier Meter lange Richtlatte mit der Waage ins
Wasser brachten und oberhalb von ihr mit der Traufel linealartig entlang zogen.
Gehalten wurde die Richtlatte von den beiden Assistenten, die sie anschliessend
um eine Traufelbreite nach unten verschoben, wo sich das ganze Manöver
wiederholte.
Nun wurden vorsichtig die Putzhaken entfernt und die
eingeschalten Randbereiche wieder freigelegt. Sie waren mit Schalbrettern
geschützt worden, um seitliche Verschmutzungen zu vermeiden. War es jedoch
erforderlich, einen Betonierabschnitt fugenlos an einen zuvor angelegten
anzuschliessen, musste dieser im Vorfeld auf eine Breite von 20 Zentimetern
angestrahlt und aufgeraut werden.

Quelle: Elke Wetzig, Wikimedia Commons
Gottfried Böhm, hier auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2015, war trotz seines hohen Alters im vergangenen Herbst noch zu einer Stippvisite auf der Baustelle, um die Sanierungsarbeiten zu begutachten.
Letzter Besuch auf der Baustelle
Die Fertigstellung der Sanierungsarbeiten fiel annähernd mit dem, trotz des hohen Alters überraschenden Tod des Baumeisters Gottfried Böhm zusammen. Von architektonischer Seite wurde das Projekt von seinem Sohn Peter koordiniert. Seit 2015 betreut dieser als Professor an der Universität Trier, das Lehrgebiet Bauen und Gestalten mit massiven Baustoffen (Ziegelstoffe und Beton).
Tatsächlich hat Gottfried Böhm noch hundertjährig im Herbst
2020 Neviges einen Baustellenbesuch abgestattet. Samt Rollator gelangte er mit
dem regulären Baustellenaufzug auf das Dach und war während der Anlage einer
Spritzbeton-oberfläche anwesend.