«Davos Qualitätssystem für Baukultur»: Eine Checkliste für gutes Bauen
Das Bundesamt für Kultur hat mit internationalen Partnern
das «Davos Qualitätssystem für Baukultur» entwickelt. Es soll anhand eines
Fragebogens und mit Checklisten eine objektive Begutachtung von Bauprojekten
ermöglichen. Die Fachleute nehmen die Initiative des Bundes mit gemischten
Gefühlen auf.

Quelle: Ben Kron
In den 1930er-Jahren erbaute Kranhalle im Basler Rheinhafen: Auch profane Nutzbauten können Zeugen einer hohen Baukultur sein und die Qualität ihrer Umgebung positiv beeinflussen.
Das Anliegen ist nicht neu: 2010 haben der Schweizerische
Ingenieur- und Architektenverein (SIA) und der Bund Schweizer Architekten (BSA)
den Runden Tisch «Baukultur Schweiz» ins Leben gerufen. Mit dem gemeinsamen
Anliegen, unsere Lebensräume nachhaltig und mit hoher Qualität zu gestalten.
Als Ziel setzte man sich die systematische Vernetzung der Akteure, die
Sensibilisierung der Öffentlichkeit und die Verankerung von Baukultur auf
Bundesebene.
Mit dem Begriff Baukultur werden alle Handlungen und
Massnahmen erfasst, mit denen Menschen ihre Umwelt verändern und gestalten. Er
geht also weit über die Baukunst oder Architektur hinaus, auch künstlerische
Aspekte, Verkehrsbauwerke und Aspekte der Orts- und Stadtplanung fliessen mit
ein und nicht zu vergessen die lokale Geschichte und Überlieferung. Dieses über
die Architektur hinausgehende Verständnis von Baukultur hat schon der römische
Baumeister Vitruv im ersten Jahrhundert vor Christus propagiert. In seinen zehn
Büchern über Architektur stellt der antike Architekt drei wesentliche
Anforderungen an einen Bau, die da sind seine Festigkeit, Nützlichkeit und
Schönheit.
33 Staaten beteiligt
Wie vom SIA erhofft, ist der Begriff der Baukultur
inzwischen in Bern angekommen. Das Bundesamt für Kultur (BAK) hat gemeinsam mit
internationalen Partnern das «Davos Qualitätssystem für Baukultur» erarbeitet,
im Nachgang der 2018 verabschiedeten Erklärung von Davos «Eine hohe Baukultur
für Europa». Neben der Schweiz als Initiatorin haben 33 weitere Staaten die
Erklärung unterzeichnet und sich zu ihren Zielen verpflichtet, dazu auch der
Europarat, die Europäische Union, die Unesco und zahlreiche nichtstaatliche
Organisationen.
In der Erklärung heisst es: «Die gebaute Umwelt muss
dringend in einem ganzheitlichen, auf die Kultur ausgerichteten Ansatz
betrachtet werden, und es braucht eine humanistische Vision, wie wir die Orte,
in denen wir leben, und das Vermächtnis, das wir hinterlassen, gemeinsam
gestalten.» Hohe Baukultur drückt sich aus in einer «bewussten und debattierten
Gestaltung für alle baulichen und landschaftsrelevanten Tätigkeiten» und stellt
nicht nur funktionale, technische und ökonomische Anforderungen, sondern
betrachtet auch die sozialen und psychologischen Bedürfnisse der Bevölkerung.
Fragebogen zu acht Kriterien
Zur Umsetzung all dieser Forderungen haben die
Unterzeichneten zusammen das «Davoser Qualitätssystem für Baukultur»
erarbeitet, womit sich baukulturelle Qualitäten beurteilen lassen. Bewertet
werden sollen dabei aber nicht nur Gebäude, sondern «alle raumwirksamen
Tätigkeiten, vom handwerklichen Detail bis hin zur grossmassstäblichen
Stadtplanung und Landschaftsentwicklung». Hierfür haben die Autoren fünfzehn
Orte in Slowenien, Deutschland und der Schweiz bewertet und anschliessend das
System vereinfacht, bis es nun das BAK europaweit in vier Sprachen
veröffentlicht hat.
Es bietet einen Fragebogen zu den acht Kriterien Gouvernanz,
Funktionalität, Umwelt, Wirtschaft, Vielfalt, Kontext, Genius Loci und
Schönheit, um ein Projekt auf seine Qualität hin überprüfen zu können. Dabei
will das Qualitätssystem einerseits soziale, emotionale und kulturelle Werte
berücksichtigen und andererseits auch technische und funktionale Aspekte
gewichten.
Konkret enthält das System ein Bewertungsformular mit
Fragenkatalog für jedes der acht Kriterien. Dieser Katalog kann angepasst und
bei Bedarf auch erweitert werden, ja nach der spezifischen Situation eines Orts
oder Projekts. Ein Leitfaden beschreibt dabei die Kriterien und stellt präzise
und konkrete Fragen zu den gewünschten Qualitäten. Mit einem umfangreichen
Bewertungsformular, das vor Ort ausgefüllt wird, lässt sich die Baukultur
danach Schritt für Schritt überprüfen, wie mit einer Checkliste. Am Ende steht
eine unerbittliche Skala zur Frage, ob beim entsprechenden Aspekt Baukultur «in
sehr hohem Masse» vorliegt, oder schlechtestenfalls «überhaupt nicht».
System für alle Beteiligten
Das Bewertungssystem richtet sich an alle, die sich mit
Planen und Bauen auseinandersetzen. Sie sollen das Davoser Qualitätssystem für
partizipative Prozesse nutzen, für die Vermittlung von Baukultur in der
Öffentlichkeit, als Bestandteil eines politischen oder rechtlichen Prozesses,
als Kriterienkatalog bei Wettbewerben und Ausschreibungen und auch als
Leitfaden für die Überprüfung eigener Projekte.
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